Entscheidungsdatum: 08.07.2013
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 196 46 412.9-43
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2013 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein und der Richter Dr. Egerer, Dr. Kortbein und Dr. Lange
beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle C 09 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. 10. 2011 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zur Entscheidung über den Hilfsantrag 5 zurückverwiesen.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
I.
Die Anmelderin Frau T… in Q…, reichte am 11. November 1996 beim Deutschen Patentamt die Patentanmeldung mit der Bezeichnung
„Farbensystem und Verwendung dieser Farben als Pigmente“
ein, die am 14. Mai 1998 in Form der DE 196 46 412 A1 veröffentlicht wurde.
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 wies die Prüfungsstelle für Klasse C 09 D des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurück.
Als Zurückweisungsgrund ist unter Bezugnahme auf die Prüfbescheide, insbesondere auf den Prüfbescheid vom 11. Juni 2010, neben mangelnder Einheitlichkeit des Gegenstands des Anspruchs 1, insbesondere mangelnde Patentfähigkeit im beanspruchten Umfang ausgeführt. In dem Beschluss ist unter anderem auf die im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften Bezug genommen:
(1) Ullmann’s Encyclopedia of Industrial Chemistry (1992), S. 271, 272, 281, 282, 298-335.
(2) US 5 489 639 A
(3) US 4 769 310 A
(4) DE 37 38 330 A1
(5) Philips Anleitungsbuch für Mineralogie CE 1460 (1977/2).
Gegen die Zurückweisung hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 15. November 2011 Beschwerde eingelegt und zunächst die Erteilung des Patents mit den zuletzt vorgelegten Unterlagen beantragt, im Übrigen die kurzfristige Erstellung neuer Ansprüche angekündigt.
Mit dem Schriftsatz vom 23. Januar 2012, der nach Ladung zur mündlichen Verhandlung und auf fernmündliche Anfrage des Berichterstatters hin wegen unauffindbarer Anspruchsfassung noch einmal per Fax am 15. Februar 2013, im Original eingegangen 18. Februar 2013, übermittelt wurde, hat die Anmelderin geänderte Ansprüche 1 bis 13 eingereicht.
In der vor dem Verhandlungstermin erbetenen Zwischenverfügung vom 12. März 2013 wurde der Anmelderin mitgeteilt, dass – nach vorläufiger Einschätzung – die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss und die Zurückweisungsgründe mangelnde Einheitlichkeit und mangelnde Patentfähigkeit nicht zu beanstanden seien.
Des Weiteren wurde in der Zwischenverfügung dargelegt, dass die Einheitlichkeit auch mit der nunmehr geltenden, geänderten Anspruchsfassung erheblich in Frage gestellt sei, ebenso die Offenbarung des Gegenstands der Ansprüche 1 bis 4.
Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass der nunmehr beanspruchte Gegenstand, der zwingend eine Bestrahlung mit diversen Strahlenquellen umfasst, sofern noch neu, jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Im Hinblick darauf, dass die Bestrahlung offenbar den Kern der Erfindung darstellt, wurden seitens des Senats in einer kurzen Internet-Recherche drei Druckschriften ermittelt, die beispielhaft dafür stehen, dass mit der Bestrahlung von Mineralien verbundene Farbveränderungen bereits seit langem bekannt sind.
(6) American Mineralogist 8 (1923) 171-180
(7) American Mineralogist 32 (1947) 31-43
(8) American Mineralogist 63 (1978) 219-229.
Der Anmelderin wurde deswegen mitgeteilt, dass auch der nunmehr beanspruchte Gegenstand jedenfalls mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei, die Beschwerde deshalb voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.
Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2013 hat die Anmelderin zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eine abermals geänderte Anspruchsfassung mit Ansprüchen 1 bis 11 als Hauptantrag sowie Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht. Die Ansprüche nach Hauptantrag haben folgenden Wortlaut:
Zur Beurteilung der Patentfähigkeit dieser neuen Ansprüche wurde zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 27. Juni 2013 noch auf (9) Holleman-Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie, 71.-80. Aufl., Walter de Gruyter & Co., Berlin 1971, S. 924 bis 925 hingewiesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beschwerdeführerin abermals geänderte Ansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 4 sowie einen einzigen Anspruch gemäß Hilfsantrag 5 überreicht. Die Ansprüche der in der mündlichen Verhandlung überreichten Haupt- und Hilfsanträge haben folgenden Wortlaut:
Hauptantrag
Hilfsantrag 1
Hilfsantrag 2
Hilfsantrag 3
Hilfsantrag 4
Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen ausgeführt, die Druckschrift (6) gebe keine Hinweise, welche Mineralien auszuwählen seien. Die Druckschrift (7) offenbare nicht die Bestrahlung mit Gammastrahlen und es werde darin auch keine Lehre zur dauerhaften Farbveränderung vermittelt. Die Druckschrift (8) erkläre lediglich auftretende Effekte, nicht jedoch ihre Ursachen, während der Auszug aus dem Lehrbuch (9) den Fachmann nicht zur Herstellung von Pigmenten anleite.
Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat den Antrag gestellt,
den Beschluss der Prüfungsstelle C 09 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. 10. 2011 aufzuheben
und das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 11 gemäß Hauptantrag,
hilfsweise mit den Ansprüchen 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 1,
hilfsweise mit den Ansprüchen 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 2,
hilfsweise mit den Ansprüchen 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 3,
hilfsweise mit den Ansprüchen 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag 4,
hilfsweise mit dem Anspruch gemäß Hilfsantrag 5,
jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2013,
im Übrigen mit der Beschreibung, Seiten 2 bis 145, gemäß Offenlegungsschrift zu erteilen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Anmelderin ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (PatG § 73). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zur Entscheidung über den Hilfsantrag 5. Bezüglich der Gegenstände des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 hat die Beschwerde keinen Erfolg.
1. Die Ausführungen zur Einheitlichkeit betreffend die Sachansprüche und zur Patentfähigkeit in dem angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Denn die Einheitlichkeit sowohl der ursprünglichen, auf Farbpulver sowie auf ein Farbensystem gerichteten Sachansprüche (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 145 bis 146 Anspr 1 und 2) als auch der dem Zurückweisungsbeschluss zugrunde liegenden, auf Farbpulver sowie auf eine Farbpulversammlung gerichteten Sachansprüche 1 und 2, eingegangen am 29. Oktober 2010, scheitert an den beiden verschiedenen Gegenständen dieser Sachansprüche und der Art der Formulierung als product-by-process Ansprüche und daraus folgend daran, dass die jeweils bezogenen Verfahren ein zahlenmäßig und stofflich unbegrenztes Kollektiv von gegebenenfalls mit weiteren Stoffen versetzten Farbpulvern umfassen, das weder eine gemeinsame stoffliche Basis oder Leitstruktur aufweist, noch nach gemeinsamen, definierten Verfahrens- bzw. Arbeitsweisen herstellbar ist und deshalb auch kein gemeinsames Dach zu bilden vermag.
Des Weiteren scheitert die Patentierung zum einen an der mangelnden Abgrenzbarkeit der in den Sachansprüchen in Bezug genommenen Verfahren und damit der einzeln und im Kollektiv beanspruchten Farbpulver als Verfahrensprodukte im beanspruchten Umfang, zum anderen an der mangelnden erfinderischen Tätigkeit dieser Verfahrens- und Arbeitsweisen.
Mit der nunmehr vorgelegten Anspruchsfassung mit den Ansprüchen 1 bis 11 nach Hauptantrag sowie mit den entsprechenden Anspruchsfassungen der Hilfsanträge 1 bis 5 wurde zwar die Einheitlichkeit hergestellt. Jedoch mangelt es den nunmehr eingeschränkt beanspruchten Verfahren nach Hauptantrag sowie nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 an der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen sowie an der Patentfähigkeit.
2. Anspruch 1 gemäß dem gegenüber dem Zurückweisungsbeschluss geänderten, nunmehr geltenden Hauptantrag betrifft ein
1) Verfahren zur Herstellung eines Farbpulvers
1.1) zur Verwendung als Pigment
umfassend die Schritte
2) Auswahl eines Ausgangsstoffes aus der Gruppe bestehend aus Achat, Aktinolith, Amazonit, Analzim,...Zirkonoxid,
2.1) zur Behandlung mit gamma-Strahlung
oder
3) Auswahl eines Ausgangsstoffes aus der Gruppe bestehend aus Andalusit, Anorthosit, Asbest,…Titandioxid,
3.1) zur Behandlung mit Elektronenstrahlung.
4) Behandlung des Ausgangsstoffs in zwei oder mehr Verfahrensschritten durch mechanische, chemische, thermische oder physikalische Behandlung,
4.1) mindestens einer der Verfahrensschritte ist eine Bestrahlung mit Elektronenstrahlung oder gamma-Strahlung
4.2) zur Veränderung der optischen Erscheinung zur Erzeugung des Pigments.
In dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entfallen die alternativen Merkmale 3 und 3.1 sowie das Merkmal 2.1 mit der Folge, dass aus Merkmal 4.1 die Bestrahlung mit Elektronenstrahlen gestrichen ist.
In dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 kommt gegenüber Hilfsantrag 1 als weiteres Merkmal hinzu:
4.1.1) mit gamma-Strahlung zwischen 0,01 und 600 Mrad.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 greift den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag wieder auf, behält die Merkmale 1, 1.1, 2.1, 3.1, 4 bis 4.2 bei allerdings geänderten Zusammensetzungen der Stoffgruppen der Merkmale 2 und 3 bei und ergänzt das Verfahren durch das Merkmal
4.3) auf eine thermische Behandlung folgt direkt eine Anwendung von Elektronen- oder gamma-Strahlung.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 geht aus von dem Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3, schränkt die Stoffgruppen der Merkmale 2 und 3 weiter ein und gestaltet das Verfahren durch das Merkmal
4.4) auf eine chemische Behandlung folgt direkt eine thermische Behandlung
anstelle des Merkmals 4.3 aus.
Hilfsantrag 5 weist nurmehr einen einzigen Anspruch auf, der sich auf braunen Bornit, Fundort Lac Musset, Quebec, Kanada als Ausgangsstoff (vgl. Mineral 17 S. 142) und die Verfahrensmaßnahmen des Ausführungsbeispiels/der Farbnummer 502 (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 50 Z. 29 bis 35) beschränkt.
3. Zur Offenbarung des Gegenstands des jeweiligen Anspruchs 1 des geltenden Hauptantrags sowie der geltenden Hilfsanträge 1 bis 5 und damit zur Frage nach der Zulässigkeit dieser Ansprüche ist Folgendes festzustellen.
Die jeweiligen Ansprüche 1 nach geltendem Hauptantrag und geltenden Hilfsanträgen 1 bis 4 greifen nunmehr ein Kollektiv von Ausgangsstoffen gemäß den Merkmalen 2 oder 3 des beanspruchten Verfahrens oder in modifizierter Zusammenstellung heraus, das aus den ursprünglichen Unterlagen in diesen Zusammenstellungen und in dem Zusammenhang der Verfahrensmerkmale 2.1, 3.1 und 4.1 nicht zu entnehmen war.
Die ursprünglichen Unterlagen sehen ausgewählte Farbpulver bzw. Ausgangsstoffe zwar in den ursprünglichen Ansprüchen 6 bis 21 vor (vgl. DE 196 46 412 A1 Anspr 6 bis 21 und die darin aufgelisteten Farb- bzw. Experimentnummern). In Anspruch 6 (vgl. z. B. Nr. 57.1 bis 57.3, 88, 89), Anspruch 7 (vgl. z. B. Nr. 1104, 1139, 1147, 1148, 1187), Anspruch 8 (vgl. z. B. Nr. 346 bis 354), Anspruch 9 (vgl. z. B. Nr. 712 bis 714), Anspruch 10 (vgl. z. B. Nr. 41, 42, 47 bis 51), Anspruch 11 (vgl. z. B. Nr. 96 bis 99), Anspruch 12 (vgl. z. B. Nr. 139 bis 143), Anspruch 13 (vgl. z. B. Nr. 248 bis 251), Anspruch 15 (vgl. Nr. 179), Anspruch 16 (vgl. z. B. Nr. 56, 461 bis 464), Anspruch 17 (vgl. z. B. Nr. 1, 2, 4, 6, 9), Anspruch 18 (vgl. z. B. Nr. 3, 5, 7, 8, 10), Anspruch 19 (vgl. z. B. Nr. 1498, 1499, 1565), Anspruch 20 (vgl. z. B. Nr. 1, 2, 4, 6, 9) und Anspruch 21 (vgl. z. B. Nr. 71, 1365 bis 1370) ist jedoch keine Bestrahlung vorgesehen, erst recht nicht eine Bestrahlung mit gamma-Strahlung (Merkmal 2.1) oder Elektronenstrahlung (Merkmal 3.1), so dass ein Offenbarungsnachweis über diese Ansprüche bereits deshalb nicht zu führen ist. Entsprechendes gilt für die ursprüngliche Beschreibung (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 2 bis 10, insbes S. 5 Z. 20 bis 27, 39 bis 46).
Was die Möglichkeit einer Stütze der Offenbarung durch den ursprünglichen Anspruch 14 anbelangt, der ausnahmslos bestrahlte Ausgangsstoffe, Zwischenprodukte und deren Abmischungen erfasst, sind unter diesen Anspruch auch solche Farbnummern bzw. Experimente subsumiert, die Bestrahlung mit einem UV-Laser betreffen, welche ausweislich der Definition in der Beschreibung der Anmeldung allerdings nicht unter Bestrahlung mit gamma- oder Elektronenstrahlen fällt (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 5 bis 6, insbes S. 5 Z. 64 bis 68 i. V. m. z. B. Exp.Nr. 1010 oder 1096), so dass die Offenbarung des jeweiligen Anspruchs 1 nach geltendem Hauptantrag sowie nach den geltenden Hilfsanträgen 1 bis 4 insgesamt nicht gegeben ist und damit diese Ansprüche allesamt unzulässig sind.
Ob auch die in den geltenden Anträgen vorgenommenen nachträglichen punktuellen Streichungen von bestimmten Ausgangsstoffen aus den aufgelisteten Kollektiven zulässig sind, kann ebenso dahinstehen wie die Frage nach der Offenbarung weiterer Merkmale der jeweiligen Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 im ursprünglichen Zusammenhang.
Als zulässig zu erachten ist dagegen der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag 5, der sich auf ein einziges Ausführungsbeispiel unter Aufnahme sämtlicher Verfahrensparameter, soweit beschrieben, bezieht (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 50 Z. 29 bis 35).
4. Aber selbst wenn man die Offenbarung durch abermalige Änderung der Anspruchsfassungen in Hauptantrag und/oder in den Hilfsanträgen 1 bis 4 und damit die Zulässigkeit herstellen wollte, mangelt es einem Verfahren zur Herstellung eines Farbpulvers zur Verwendung als Pigment, welches zumindest eine Bestrahlung mit gamma-Strahlung oder mit Elektronenstrahlung (Merkmale 2.1, 3.1) umfasst, gegebenenfalls mit vorheriger chemischer und/oder thermischer Behandlung (Merkmale 4.3, 4.4), an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die in den ursprünglichen Unterlagen zwar nicht bzw. nicht explizit angegeben, jedoch darin zu erkennen ist, neue Farbpulver bereitzustellen bzw. herzustellen, die ein „System“ der Naturfarben bilden und das ganze sichtbare Spektrum abdecken und die eine enorme Vielfalt, eine nahezu unendliche Reihe von Farben, Tönen und Schimmern von Weiß bis Schwarz über alle Regenbogenfarben darstellen. Die große Anzahl von natürlichen Mineralien oder industriellen Pigmenten, die in der Natur vorkommen, deckten bei weitem nicht die Gesamtheit des sichtbaren Spektrums ab, wobei praktisch keine blauen oder grünen Minerale oder Pigmente existierten (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 2 Z. 5 bis 7 i. V. m. Z. 23 bis 26).
Die Herstellung von Farbpulvern durch Behandlung von mineralischen Ausgangsstoffen umfassend zumindest den Verfahrensschritt einer Behandlung durch gamma-Strahlung oder Elektronenstrahlung hat für den Fachmann, einen Diplom-Chemiker der Fachrichtung Anorganische Chemie bzw. Komplexchemie oder einen Mineralogen, der jeweils mit dem Einfluss physikalischer und chemischer Behandlung, insbesondere auch Strahlenbehandlung, von Mineralien und/oder chemischen Komplexverbindungen und den damit gegebenenfalls verbundenen Farbänderungen befasst und vertraut ist, aufgrund des Standes der Technik nahegelegen.
Wie bereits aus den im Verlauf des Prüfungsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ermittelten vorveröffentlichten Druckschriften (1) bis (5) hervorgeht, ist die physikalische und/oder chemische Behandlung von mineralischen Ausgangsstoffen oftmals mit Farbänderungen verbunden, wobei diese Farbänderungen bzw. Färbungen auch von Bedeutung in der industriellen Anwendung solcher mineralischer Pigmente sein kann. Die Farbänderung von mineralischen Pulvern durch thermische und/oder chemische Behandlung (vgl. Merkmale 4.3, 4.4), beispielsweise Änderung des Redox- und/oder Komplexzustands der Metallzentren, gehört zum Grundwissen des anorganischen Chemikers und des Mineralogen.
Insbesondere aus den Druckschriften (2) bis (4) geht die Bestrahlung von pigmenthaltigen Stoffen mit Lasern unter Farbänderung und damit eine Arbeitsweise hervor, die von der hier vorliegenden Patentanmeldung auch weiterhin umfasst ist (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 5 Z. 62 bis S. 6 Z. 5 i. V. m. mit den aufgrund der Wendung „umfassend“ offenen Anspruchsfassungen gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 4). In diesem Zusammenhang bleibt trotz des auf die Bestrahlung mit gamma- oder Elektronenstrahlen bezogenen Merkmals 4.2 im Übrigen offen, welche der vom anspruchsgemäßen Verfahren umfassten Verfahrensschritte eine Farbänderung bewirken oder insgesamt an der Farbbildung beteiligt sind. Wie dem Fachmann geläufig, ist die Färbung des in Abhängigkeit von der jeweiligen physikalischen und gegebenenfalls chemischen Behandlung erzielten Produktgemisches bedingt durch dessen chemische Zusammensetzung und kommt summarisch in dem UV-VIS-Spektrum zum Ausdruck. Von einer Reinsubstanz im analytischen Sinn ist aufgrund der Lehre der vorliegenden Anmeldung nicht auszugehen.
Aber auch das Hervorrufen von Farbänderungen in Mineralien und in mineralischen Pulvern durch Bestrahlung speziell mit gamma-Strahlung oder Elektronenstrahlung (vgl. Merkmale 2.1, 3.1 bzw. 4.1, 4.1.1), gegebenenfalls einer bestimmten Energie (vgl. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sowie Unteransprüche in den übrigen Anträgen), ist dem Fachmann grundsätzlich seit langem bekannt, wie aus der in den Zwischenverfügungen vom 12. März 2013 und vom 27. Juni 2013 zitierten vorveröffentlichten Literatur, darunter ein anerkanntes Lehrbuch, hervorgeht.
In dem Lehrbuch der Anorganischen Chemie von Holleman-Wiberg (9) sind die Bestrahlung und die damit verbundenen Farbänderungen von Natriumchlorid und von Flussspat und damit solcher Substanzen beschrieben, die ursprünglich auch als Ausgangsstoffe von der vorliegenden Patentanmeldung umfasst waren (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 142 Z. 39 bis 64, S. 143 Z. 7) und von den nunmehr geltenden Ansprüchen durch Streichung ausgenommen sind. Die Farbänderungen beruhen auf den sogenannten mineralischen Farbzentren (vgl. (9) insbes S. 925 Absatz nach Fig. 195).
Wie des Weiteren aus dem Übersichtsartikel von K. Nassau „The Origins of Color in Minerals“, American Mineralogist 63 (1978) 219-229 (8), hervorgeht, sind die Zusammenhänge zwischen Energiezustand und Farbe in Mineralien bereits vielfach untersucht, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie beispielsweise auf Basis der Kristallfeld- oder Molekularorbitaltheorie (vgl. (8) Introduction, The Crystal Field Formalism, The Molecular Orbital Formalism i. V. m. z. B. Table 1 bis Table 5). Exemplarisch sind aus (8) Hinweise auf den Einfluss der Bestrahlung auf die Färbung von Amethyst zu entnehmen, wobei durch thermische Behandlung auch Gelb- oder Grünfärbung erzeugt werden kann (vgl. (8) S. 223 li Sp. le Abs.). Speziell die Bestrahlung von Rauchquarz mit Röntgenstrahlen, gamma-Strahlung, Neutronenstrahlen u. a. führt zu charakteristischen Farbänderungen (vgl. (8) S. 222 re Sp. le Abs. bis S. 223 li Sp. Abs. 1).
Abgesehen von den Ausführungen zu speziellen Mineralien in (8) hat es für den Fachmann ausgehend von (8) ohne Weiteres nahegelegen, auch andere Mineralien und mineralische Pulver mit unter anderem gamma-Bestrahlung zu behandeln und die damit verbundenen Farbänderungen zu untersuchen (vgl. (8) S. 224 re Sp. vorle Abs. i. V. m. S. 228 re Sp. „Concluding Remarks“). Dass sich mineralische Farbpulver zur Anwendung als Pigmente eignen, versteht sich von selbst und bedarf keiner besonderen Erwähnung oder gar konkreter Ausführungen. Sie ergibt sich im Übrigen bereits aus der Bezugnahme auf den Stand der Technik in der Einleitung der vorliegenden Anmeldeunterlagen (vgl. DE 196 46 412 A1 S. 2 Z. 23 bis 24).
Grundlegende Arbeiten zur Farbänderung von Mineralien durch Bestrahlung reichen zeitlich weit zurück, wie anhand des Fachartikels von S.C.Lind and D.C.Bardwell, „The Coloring and Thermophosphorescence produced in Transparent Minerals and Gems by Radium Radiation“, American Mineralogist 8 (1923) 171-180 (6), deutlich wird. In (6) wird beschrieben, dass die Bestrahlung verschiedener Mineralien mit einer Radiumquelle, die alpha-, beta- und gamma-Strahlung und damit eine Arbeitsweise gemäß dem jeweils geltenden Anspruch 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 umfasst, zur Bildung unterschiedlichster Farben führt, die mehr oder minder thermostabil sind (vgl. (6) S. 172 Abs. 3 i. V. m. Experimenten an verschiedenen Mineralien S. 172 le Abs. bis S. 177 unten).
Es war deshalb für den Fachmann naheliegend, auch ausgehend von (6) Mineralien und mineralische Pulver beliebiger Zusammensetzung sowie geographischer und geologischer Herkunft auf ihre Farbänderung durch Bestrahlung hin zu untersuchen.
Sofern die Patentinhaberin dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, in (6) werde eine Strahlenmischung eingesetzt, so vermag dieser Einwand bereits insofern nicht zu überzeugen, als die beanspruchten Verfahren nicht auf den Einsatz von gamma-Strahlung oder Elektronenstrahlung beschränkt sind, sondern im Hinblick auf die Wendung „umfassend“ beliebige weitere physikalische und chemische Arbeitsweisen, darunter auch die in der ursprünglichen Beschreibung ausgewiesenen anderen Strahlenarten, umfassen. Ob und unter welchen Bedingungen die in den Experimenten der vorliegenden Anmeldung beschriebenen Färbungen tatsächlich stabil sind, kann aufgrund fehlender Angaben und Daten in den Anmeldeunterlagen nicht beurteilt werden. Es versteht sich allerdings von selbst, dass für den praktischen Einsatz entsprechend den jeweiligen Verwendungsansprüchen nur solche Pigmente zum Einsatz gelangen können, die unter den Anwendungsbedingungen (z. B. Licht, Temperatur, Feuchtigkeit) eine ausreichende Langzeitstabilität aufweisen.
Insofern sind auch die diesbezüglich gegenüber der Lehre von (6) vorgebrachten Einwände ohne Einfluss auf die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit.
Auch die Einwände der Anmelderin, wonach die Druckschrift (6) keinen Hinweis gebe, welche Mineralien auszuwählen seien, die Druckschrift (8) lediglich bei der Bestrahlung auftretende Effekte beschreibe und der Auszug aus dem Lehrbuch (9) den Fachmann nicht zur Herstellung von Pigmenten anleite, greifen nicht. Denn die Verfahren gemäß den jeweiligen Ansprüchen 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 sehen neben dem obligaten Bestrahlungsschritt durch gamma- oder Elektronenstrahlung zwar weitere physikalische (u. a. mechanische und/oder thermische) und/oder chemische Verfahrensschritte vor, die jedoch im beanspruchten Umfang nicht näher spezifiziert sind. Dies ist im beanspruchten Umfang auch nicht möglich und für den Fachmann auch nicht erforderlich.
Schließlich liegt die grundsätzliche Eignung von mineralischen Farbpulvern, wie bereits ausgeführt, sowie die gegebenenfalls erforderliche Aufbereitung und Aufarbeitung für den Fachmann in Analogie zu den unzähligen bereits zum Einsatz gelangten mineralischen Pigmenten auf der Hand. Erfinderisches Zutun ist dazu jedenfalls in dem beanspruchten Umfang nicht erforderlich.
Ausschlaggebend ist deshalb allein die Beurteilung des technischen Beitrags, der in dem nunmehr gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 beanspruchten Umfang in dem Verfahrensschritt der Behandlung verschiedener mineralischer Ausgangsstoffe mit gamma- oder Elektronenstrahlung und einer dadurch bewirkten Farbänderung zu erkennen ist (vgl. Merkmale 2.1, 3.1 i. V. m. 2 bzw. 3 sowie 4.1 und 4.2), auf erfinderische Tätigkeit.
5. Bezüglich des auf die Behandlung des Minerals Bornit, einem CuFe-Sulfid der Stöchiometrie Cu5FeS4, beschränkten Verfahrens gemäß Hilfsantrag 5 kann der Senat die Patentfähigkeit nicht abschließend beurteilen.
Das Deutsche Patent- und Markenamt wird deshalb den nunmehr beanspruchten Gegenstand in diesem Umfang auf seine Patentfähigkeit zu prüfen haben.