Entscheidungsdatum: 26.03.2012
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2006 029 417
…
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Feuerlein, der Richterin Schwarz-Angele sowie der Richter Dr. Egerer und Dr. Lange
beschlossen:
1. Die Beschwerde der Patentinhaberin wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Beschlusses des Deutschen Patent- und Markenamts vom 25. März 2010 richtig lauten muss: „Das Patent 10 2006 029 417 wird widerrufen“.
2. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.
I.
Auf die am 27. Juni 2006 unter Inanspruchnahme der Priorität US 11/184776 vom 20. Juli 2005 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 10 2006 029 417 mit der Bezeichnung
„Verfahren zur Herstellung eines 9, 10 Diarylanthracens“
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 14. Februar 2008.
Nach Prüfung des dagegen eingelegten Einspruchs, in dem der vollständige Widerruf wegen fehlender Neuheit und wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, sowie betreffend geänderter Unterlagen wegen mangelnder Offenbarung beantragt worden war, ist das Patent mit Beschluss der Patentabteilung 44 des Deutschen Patent- und Markenamts in der Anhörung vom 25. März 2010 widerrufen worden. Dem Beschluss lagen gemäß Hauptantrag neu gefasste Patentansprüche 1 bis 8, eingegangen am 18. November 2008, zugrunde mit dem Patentanspruch 1 folgenden Wortlauts:
„1. Verfahren zur Herstellung eines substituierten oder unsubstituierten 9,10-Diarylanthracens, umfassend:
Reagierenlassen einer metall-organischen substituierten oder unsubstituierten Arylverbindung mit einem substituierten oder unsubstituierten Anthrachinon, um ein substituiertes oder unsubstituiertes Diol zu liefern, und
Reagierenlassen des substituierten oder unsubstituierten Diols mit einem Reduktionsmittel, um das substituierte oder unsubstituierte 9,10-Diarylanthracen zu liefern, dadurch gekennzeichnet, dass das substituierte oder unsubstituierte 9.10-Diarylanthracen durch die folgende Formel (1) repräsentiert wird
worin R1 und R2 jeweils unabhängig ausgewählt sind aus den folgenden Gruppen: Gruppe 1: Wasserstoff; oder Alkylgruppe, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; Gruppe 5: Alkoxyl, Amino, Alkylamino oder Arylamino, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; und Gruppe 6: Halogenatome; und
worin R3 und R4, die gleich oder unterschiedlich sind, individuell ausgewählt sind aus der Gruppe 4: unsubstituiertes oder substituiertes Heteroaryl, umfassend von 5 bis 24 Kohlenstoffatome, worin die Kohlenstoffatome einen kondensierten heterocyclischen Ring vervollständigen können; und dem Arylamino aus der Gruppe 5, die oben beschrieben ist.“
Des Weiteren lagen dem Beschluss zugrunde,
gemäß Hilfsantrag 1 Patentansprüche 1 bis 8, eingeg. 19. März 2010, mit dem Patentanspruch 1 folgenden Wortlauts:
„1. Verfahren zur Herstellung eines substituierten oder unsubstituierten 9,10-Diarylanthracens, umfassend:
Reagierenlassen einer metall-organischen substituierten oder unsubstituierten Arylverbindung mit einem substituierten oder unsubstituierten Anthrachinon, um ein substituiertes oder unsubstituiertes Diol zu liefern, und
Reagierenlassen des substituierten oder unsubstituierten Diols mit einem Reduktionsmittel, um das substituierte oder unsubstituierte 9,10-Diarylanthracen zu liefern, dadurch gekennzeichnet, dass das substituierte oder unsubstituierte 9.10-Diarylanthracen durch die folgende Formel (1) repräsentiert wird
worin R1 und R2 jeweils unabhängig ausgewählt sind aus den folgenden Gruppen: Gruppe 1: Wasserstoff; oder Alkylgruppe, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; Gruppe 5: Alkoxyl, Amino, Alkylamino oder Arylamino, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; und Gruppe 6: Halogenatome; und
worin R3 und R4, die gleich oder unterschiedlich sind, Arylamino aus der Gruppe 5, die oben beschrieben ist, darstellen.
Gemäß Hilfsantrag 2 lagen dem Beschluss Patentansprüche 1 bis 8 zugrunde, überreicht in der Anhörung am 25. März 2010, mit Patentanspruch 1 folgenden Wortlauts:
„1. Verfahren zur Herstellung eines substituierten oder unsubstituierten 9,10-Diarylanthracens, umfassend:
Reagierenlassen einer metall-organischen substituierten oder unsubstituierten Arylverbindung mit einem substituierten oder unsubstituierten Anthrachinon, um ein substituiertes oder unsubstituiertes Diol zu liefern, und
Reagierenlassen des substituierten oder unsubstituierten Diols mit einem Reduktionsmittel, um das substituierte oder unsubstituierte 9,10-Diarylanthracen zu liefern, dadurch gekennzeichnet, dass das substituierte oder unsubstituierte 9.10-Diarylanthracen durch die folgende Formel (1) repräsentiert wird
worin R1 und R2 jeweils unabhängig ausgewählt sind aus den folgenden Gruppen: Gruppe 1: Wasserstoff; oder Alkylgruppe, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; Gruppe 5: Alkoxyl, Amino, Alkylamino oder Arylamino, umfassend von 1 bis 24 Kohlenstoffatome; und Gruppe 6: Halogenatome; und
worin R3 und R4, die gleich oder unterschiedlich sind, unsubstituiertes oder substituiertes Heteroaryl, umfassend von 5 bis 24 Kohlenstoffatome, worin die Kohlenstoffatome einen kondensierten heterocyclischen Ring vervollständigen können, darstellen“.
Der Widerruf des Patents wurde, was den Hauptantrag und Hilfsantrag 1 anbelangt, mit mangelnder Ausführbarkeit/Nacharbeitbarkeit im beanspruchten Umfang sowie, was den Hilfsantrag 2 anbelangt, mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber den Druckschriften US 2003/0165715 (4) oder Tetrahedron Lett. 45 (2004) 467-472 (6) in Kombination mit Bull. Soc. Chim. Fr. 33 (1905) 1104-1121 (1) begründet. Als nächstkommender Stand der Technik wurden in dem angefochtenen Beschluss die Druckschriften (4) und (6) angesehen.
Gegen diesen Beschluss hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt.
In der mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011 nachgereichten Beschwerdebegründung beantragt die Patentinhaberin, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent auf Basis der Patentansprüche 1 bis 8, eingereicht am 18. November 2008, aufrecht zu erhalten, hilfsweise die Aufrechterhaltung auf Basis der Patentansprüche 1 bis 8 (Hilfsantrag 1), eingereicht mit Schreiben vom 19. März 2010, weiter hilfsweise auf Basis der Patentansprüche 1 bis 8 (Hilfsantrag 2), eingereicht während der Anhörung am 25. März 2010, ferner hilfsweise auf Basis der Patentansprüche 1 bis 4 (Hilfsantrag 3), eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Ferner hilfsweise beantragt sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
Die dem Schreiben vom 26. Juli 2011 beigefügten Patentansprüche 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 3 lauten:
1. Verfahren zur Herstellung von 2-tert-Butyl-9,10-bis-(ß-naphthyl)-anthracen, umfassend
Reagierenlassen von 2- Bromnaphthalin mit n-Butyllithium, währenddessen die Reaktionstemperatur von -78 oC bis auf Raumtemperatur erhöht wird,
Abkühlen der Reaktion auf -78 oC, Zugabe von 2-tert-Butyl-anthrachinon zu der Reaktion und anschließendes Rühren der Reaktion bei Raumtemperatur,
Abschrecken der Reaktion mit gesättigter, wässriger Ammoniumchloridlösung, um ein Diol zu erhalten, und
Reagierenlassen des Diols mit Zinn(II)chlorid-Dihydrat oder wasserfreiem Vanadiumchlorid bei 50 oC, um 2-tert-Butyl-9,10-bis-(naphthyl)-anthracen zu erhalten.
2. Verfahren zur Herstellung von 2-tert-Butyl-9,10-bis-(ß-naphthyl)-anthracen gemäß Anspruch 1, ferner umfassend:
Trocknen und Reinigen des 2-tert-Butyl-9,10-bis-(ß-naphthyl)-anthracens durch eine Kaufman-Säule und Sublimation bei 320 oC.
3. Verfahren gemäß Anspruch 1 oder 2, wobei das Diol durch die Formel (3) dargestellt wird:
In der mündlichen Verhandlung stellt der Vertreter der Patentinhaberin den Antrag,
den Beschluss des Patentamts aufzuheben und das Patent zu erteilen auf Grundlage des Hauptantrags, vorgelegt mit Schreiben vom 18. November 2008,
hilfsweise auf Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 3 gemäß Schriftsatz vom 26. Juli 2011.
Die Vertreter der Einsprechenden stellen den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Patentinhaberin ist frist- und formgerecht eingelegt worden und zulässig (PatG § 73). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Denn dem Verfahren zur Herstellung substituierter oder unsubstituierter 9,10-Diarylanthracene gemäß Patentanspruch 1 in den Fassungen des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 sowie speziell dem Verfahren zur Herstellung von von 2-tert-Butyl-9,10-bis-(ß-naphthyl)-anthracen gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 mangelt es jedenfalls an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
1. Patentanspruch 1 der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung betrifft ein
1) | Verfahren zur Herstellung eines substituierten oder unsubstituierten 9, 10-Diarylanthracens umfassend |
2) | Umsetzen einer metallorganischen substituierten oder unsubstituierten Arylverbindung mit einem substituierten oder unsubstituierten Anthrachinon zu einem ggf. substituierten Diol, |
3) | Umsetzen des erhaltenen ggf. substituierten Diols mit einem Reduktionsmittel zu einem ggf. substituierten 9, 10-Diarylanthracen der Formel (1) mit Substitunenten R1 bis R4. |
In Patentanspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 werden die Substitunenten in der Formel (1) gegenüber dem Hauptantrag eingeschränkt oder modifiziert.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist weiter eingeschränkt auf
1.1) | die Herstellung von 2-tert-Butyl-9,10-bis-(ß-naphthyl)-anthracen (TBADN) |
2.1) Umsetzen von 2-Bromnaphthalin mit n-Butyllithium
2.1.1) unter Erhöhung der Reaktionstemperatur von -78 oC auf Raumtemperatur
2.1.2) Abkühlen des Reaktionsgemisches auf -78 oC
2.2) Zugabe von 2-tert-Butyl-anthrachinon zum Reaktionsgemisch
2.2.1) Rühren bei Raumtemperatur
2.3) Abschrecken des Reaktionsgemisches mit gesättigter wässriger NH4Cl-Lösung
3.1) Umsetzen mit ZInn (II)chlorid-Dihydrat oder mit wasserfreiem Vanadiumchlorid bei 50 oC.
In den Anspruchsfassungen gemäß Hauptantrag und gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 besteht ein Widerspruch betreffend die Bedeutung Heteroaryl und Arylamino der Reste R3 und R4 im Hinblick auf die als Edukte ausschließlich zum Einsatz gelangenden metallorganischen Arylverbindungen, der auch in den weiterhin beibehaltenen Unteransprüchen 5 und 6 zum Ausdruck kommt.
Dieser Klarheitsmangel, der an sich keinen Widerrufsgrund darstellt, ist bei gegenüber der erteilten Fassung neu formulierten Patentansprüchen – wie vorliegend der Fall – für die Frage der Zulässigkeit relevant und deshalb von Amts wegen zu prüfen.
Die Leseart „Aryl“ anstelle von „Heteroaryl“ wird auch durch die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrags 3 sowie durch sämtliche Ausführungsbeispiele gestützt, wonach als Substituenten in 9- und 10-Position des Anthracens ß-Naphthyl, Phenyl sowie 2-Tolyl und damit ausnahmslos Arylsubstituenten eingeführt werden, wobei in Ausführungsbeispiel III zudem die Frage offen bleibt, ob als Edukt tatsächlich 2-Bromtoluol oder, entsprechend dem als Endprodukt ausgewiesenen 2-t-Butyl-9,10-diphenylanthracen, Brombenzol einzusetzen ist (vgl. DE 10 2006 029 417 B4 S 10 [0046] bis [0048]).
2. Was die Frage der ursprünglichen Offenbarung und damit der Zulässigkeit des Gegenstands des Streitpatents in den nunmehr verteidigten Fassungen anbelangt, so bestehen - obwohl von der Einsprechenden und Beschwerdegegnerin in dieser Form nicht geltend gemacht - deshalb von Amts wegen sehr erhebliche Bedenken bezüglich der vorstehend unter Punkt 1 dargelegten Lesart „Aryl“ oder „Heteroaryl“ und der damit verbundenen mangelnden Klarheit.
In die Patentansprüche 1 gemäß geltendem Hauptantrag sowie gemäß den geltenden Hilfsanträgen 1 und 2 wurden Definitionen für R1 bis R4 aus dem erteilten bzw. dem ursprünglichen Anspruch 3 in unterschiedlicher Kombination der Reste R1 bis R4 zueinander aufgenommen. Die in diesen neu gefassten Ansprüchen vorgenommenen Substituentenkombinationen waren in dieser Form ursprünglich sowie im Streitpatent jedenfalls nicht hervor- bzw. herausgehoben, weder in den Ausführungsbeispielen noch in der allgemeinen Beschreibung, so dass durchaus in Zweifel steht, ob im Nachhinein der Schwerpunkt zu solchen bestimmten Stoffkollektiven hin verschoben werden darf, die ursprünglich nicht in dieser Form hervorgehoben waren, beispielsweise mangels Ausführungsbeispielen bezüglich 9,10-Diarylamino-substituierter Anthracene oder 9,10-Di-Heteroaryl-substituierter Anthracene (vgl. BPatG 16 W (pat) 51/78 v 14.08.1980 - Änderung einer Strukturformel; GRUR 1983, 735-737).
Ähnliche Bedenken sehen die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts bei der nachträglichen Formulierung eines Disclaimers (vgl. G 1/03, G 2/03 jeweils v 08. 04.2004).
Bezüglich Hilfsantrag 3 bestehen ebenfalls Bedenken wegen der nur teilweisen, selektiven Aufnahme von Merkmalen aus den Ausführungsbeispielen, die in dieser Kombination und in dieser nachträglich ausgewählten Form aus der ursprünglichen Beschreibung nicht ohne Weiteres herzuleiten sind.
3. Was den Widerrufsgrund der mangelnden Ausführbarkeit bzw. Nacharbeitbarkeit des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 hinsichtlich der Bedeutung „Arylamino“ der Reste R3 und R4 anbelangt, so teilt der Senat die Ausführungen der Patentabteilung in dem angefochtenen Beschluss zu den diesbezüglichen chemischen Erfordernissen (vgl. a. a. O. S. 13 c) Abs. 1 bis 4). Für die Einführung von Arylamino-Resten in die 9- und 10-Position des Anthracengerüsts gibt es im Streitpatent kein Ausführungsbeispiel, und auch aus der Beschreibung des Streitpatents geht keine diesbezügliche Arbeitsweise hervor.
Was den seitens der Einsprechenden und Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren (vgl. PA Schrifts v. 2. März 2010 S. 1 vorle Abs bis S. 2 Abs. 3) sowie in der mündlichen Verhandlung aufgezeigten Mangel anbelangt, wie ausgehend von metallorganischen Arylverbindungen als Edukten in 9- und 10-Position durch Heteroarylreste substituierte Anthracene herzustellen sind, handelt es sich dabei ersichtlich um diesbezüglich unklare Anspruchsfassungen in Haupt- und Hilfsantrag 2. Dieser Mangel an Klarheit in dem gegenüber der erteilten Fassung geänderten Patentanspruch 1 stellt per se bereits die Zulässigkeit des Haupt- und Hilfsantrags 2 erheblich in Frage (vgl. vorstehend unter Punkten 1 und 2).
Insofern als gemäß Patentansprüchen 5 und 6 in den nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Anspruchsfassungen ausschließlich metallorganische gegebenenfalls substituierte Arylverbindungen und auch in den Ausführungsbeispielen keine Heteroarylverbindungen als Edukte zum Einsatz gelangen, geht für den Fall, dass die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin von dem unklar formulierten Patentanspruch 1 weiterhin 9, 10-diarylsubstituierte Anthracene umfasst sieht, dies zu ihren Lasten und sie muss weiterhin diesbezüglich den Neuheitseinwand gegen sich gelten lassen. Denn in der Leseart Aryl fehlte es den so formulierten Patentansprüchen 1, 5 und 6 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 2 bereits an der erforderlichen Neuheit gegenüber zahlreichen der vorgebrachten Druckschriften.
Eine Entscheidung über die Frage der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen und damit über die Zulässigkeit sowie über die Ausführbarkeit kann dahingestellt bleiben, da es dem Gegenstand des Streitpatents in den verteidigten Fassungen, sofern noch neu, jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht
4. Was die von der Einsprechenden und Beschwerdeführerin im Einspruchsschriftsatz angegriffene Neuheit anbelangt, so wurde die Neuheit gegenüber den betreffenden Druckschriften durch eine stoffliche Abgrenzung über die Bedeutung der Reste R1 bis R4 versucht, was Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2 anbelangt, sowie über die konkrete Bedeutung von R1 gleich t-Butyl und R3 und R4 jeweils gleich ß-Naphthyl hergestellt, was den Hilfsantrag 3 anbelangt.
In der Leseart „Aryl“ statt „Heteroaryl“ für die Substituenten in 9- und 10-Position des Anthracengerüsts (vgl. vorstehend unter Punkt 1) stünden die vorveröffentlichten Druckschriften Bull. Soc. Chim. Fr. 33 (1905) 1104-1121 (1), US 2003/016515 (4), Tetrahedron Lett. 45 (2004) 467-472 (6) dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des Haupt- und des Hilfsantrags 2 bereits neuheitschädlich entgegen (vgl. (1) S. 1104 le Abs. bis S. 1105 Z. 2 i. V. m. Formel II, S. 1106, 1108 Reaktionsgleichungen i. V. m. S. 1115 le Abs bis 1116 Abs. 5; (4) S. 17 [0101] bis [0102]; (6) S. 469 Schema 3 i. V. m. S. 471 re Sp. note 22).
Die weitere Frage, ob die nach Art eines Disclaimers beabsichtigte Abgrenzung im Hinblick auf die ursprüngliche Offenbarung zulässig ist (vgl. vorstehend unter Punkt 2), da sie über die neuheitschädlich vorbeschriebenen Verbindungen weit hinausgeht und damit willkürlich vorgenommen ist, kann dahinstehen.
5. Gegenüber den Druckschriften Bull.Soc.Chim.Fr. 33 (1905) 1104-1121 (1), US 2003/016515 (4), Tetrahedron Lett. 45 (2004) 467-472 (6) mangelt es dem beanspruchten Verfahren in der Fassung des Hauptantrags sowie in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2 in der Leseart „Heteroaryl“ für die Substituenten in 9- und 10-Position des Anthracengerüsts jedenfalls an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
Aus der aus dem Jahr 1905 stammenden Veröffentlichung (1), die ausweislich des Titels einen Beitrag zu g-substituierten, d. h. in 9-, 10-Position substituierten Anthracenderivaten betrifft, geht bereits ein Verfahren zur Herstellung substituierter oder unsubstituierter 9, 10-Diarylanthracene (vgl. (1) S. 1104 le Abs. bis S. 1105 Z. 2 i. V. m. Formel II - Merkmal 1) durch Umsetzung einer metall-organischen gegebenenfalls substituierten Arylverbindung mit einem gegebenenfalls substituierten Anthrachinon zu einem strukturell entsprechenden Diol (vgl. (1) S. 1106 Reaktionsgleichung i. V. m. S. 1115 le Abs. bis 1116 Abs. 3 - Merkmal 2) und nachfolgender Reduktion (vgl. (1) S. 1108 Reaktionsgleichung i. V. m. S. 1116 Abs. 1 bis Abs. 5 – Merkmal 3) hervor.
Entsprechendes gilt für die Lehren der Druckschriften (4) und (6), die ebenfalls jeweils ein gattungsgemäßes Verfahren zur Herstellung von gegebenenfalls substituierten 9, 10-Diarylanthracenen gemäß Merkmal 1 über die Verfahrensschritte gemäß den Merkmalen 2 und 3 betreffen (vgl. (4) z. B. S. 17 [0101] bis [0102]; (6) S 469 Schema 3 i. V. m. S 471 re Sp. note 22).
Insofern als gemäß Hauptantrag sowie gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 sich weder die Umsetzung zum Zwischenprodukt Diol noch die Weiterreaktion durch Reduktion des Diols zu einem entsprechend substituierten 9, 10-Diarylanthracen (Merkmal 3) nicht auf spezielle Reagenzien und Reduktionsmittel, sondern lediglich auf spezielle Substituenten in 9, 10-Position sowie auf spezielle Reste R1 und R2 beschränkt, handelt es sich um ein typisches Analogieverfahren, dessen Ausführung und individuelle Ausgestaltung keines erfinderischen Zutuns bedarf.
Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags sowie in der Fassung des Hilfsantrags 2 ist deshalb mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar.
6. Nicht erfinderisch ist auch das streitpatentgemäße Verfahren in der auf die Herstellung von TBADN unter Anwendung der speziellen Arbeitsweisen der Merkmale 2.1 bis 3.1 eingeschränkte Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3. Denn der Fachmann konnte analoge Umsetzungen unter Einsatz strukturell identischer bzw. vergleichbarer Edukte bereits aus (4) und (6) entnehmen (vgl. (4) S. 17 Beisp 4 und 5), wobei die Verfahrensschritte der Merkmale 2 und 3 in nahezu identischer Ausgestaltung kopiert und kombiniert sind (vgl. (4) [0101] - Merkmale 2.1, 2.1.2, 2.2, 2.2.1 2.3, (6) S. 469 Schema 3 i. V. m. S. 471 re Sp. note 22 – Merkmal 3.1).
Was die experimentellen Abweichungen in einzelnen Merkmalen anbelangt, so bewegen sich diese im Rahmen routinemäßig wiederkehrenden Optimierens üblicher Arbeitsweisen und Reaktionsparameter und erschließen sich deshalb dem Fachmann allein schon aufgrund seines Wissens und Könnens, so die Erhöhung der Reaktionstemperatur während der Reduktion mit Zinn (II) chlorid-Dihydrat und die damit verbundene Verkürzung der Reaktionszeit (vgl. (6) S. 471 re Sp. note 22, 10 h bei Raumtemperatur, da ohne Angaben, gegenüber 3h bei 50 oC gemäß Beisp I bis III des Streitpatents - Merkmal 3.1) sowie die zwischenzeitliche Erhöhung der Reaktionstemperatur auf Raumtemperatur und nachfolgende Abkühlung (Merkmale 2.1.1 und 2.1.2) und das „Abschrecken“ des Reaktionsgemisches mit gesättigter wässriger Ammoniumchlorid-Lösung (Merkmal 2.3). Entsprechendes gilt für das Trocknen und Reinigen des TBADN gemäß Patentanspruch 2 nach Hilfsantrag 3, die übliche und deshalb dem Fachmann geläufige Reinigungsverfahren gerade für schwer lösliche organische Verbindungen darstellen.
7. Die jeweiligen Unteransprüche der einzelnen Anträge fallen mit dem Patentanspruch 1, auf den sie mittelbar oder unmittelbar rückbezogen sind, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges enthalten, da die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im Umfang von Anspruchssätzen begehrt hat, die zumindest einen nicht rechtsbeständigen Anspruch enthalten. Auch haben sich im Verlauf der mündlichen Verhandlung keine weiteren Anhaltspunkte für ein stillschweigendes Begehren einer weiter beschränkten Fassung ergeben. Infolgedessen brauchte auf die übrigen Patentansprüche bei dieser Sachlage nicht gesondert eingegangen zu werden. Das Patent war deshalb insgesamt zu widerrufen. (BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; Fortführung von BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät).
III.
Die Zurückweisung der Beschwerde erfolgte mit der Maßgabe, dass der Tenor des patentamtlichen Beschlusses richtig gestellt wurde. Während im Termin zur Anhörung der zutreffende Tenor: „Das Patent … wird widerrufen“ verkündet wurde, lautete der Tenor des später abgesetzten schriftlichen und unterzeichneten Beschlusses: „Der Einspruch …gegen das Patent … wird widerrufen“. Zwar findet sich zu Beginn der schriftlichen Begründung wieder der zutreffende Tenor, die Ausfertigung hingegen lautet auf die unrichtige Beschlussformel. Ein derartiger Tenorierungsfehler kann nur mit einem von allen Mitgliedern der Patentabteilung gefassten Berichtigungsbeschluss beseitigt werden (Schulte Patentgesetz 8. Auflage § 47 Rdn. 16; Zöller ZPO 29. Auflage § 319 Rdn. 15). Die - wie hier geschehen - bloße Übersendung des sich in den Akten befindlichen richtigen Tenors genügt hierfür nicht.
IV.
Die Beschwerdegebühr war gemäß § 80 Abs. 3 PatG aus Gründen der Billigkeit zurückzuzahlen. Eine solche Anordnung ist auch ohne Antrag des Beschwerdeführers und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens möglich (Schulte a. a. O. § 80 Rdn. 110 ff, § 73 Rdn. 126 ff).
Die Rückzahlung der Gebühr ist wegen mehrerer und zum Teil schwerwiegender Verfahrensfehler gerechtfertigt.
1. Die Patentabteilung hat im Termin zur Anhörung am 25. März 2010 das Patent widerrufen und diese Entscheidungen auch verkündet. Die Begründung dieser Entscheidung ist aber erst am 20. Januar 2011 erfolgt und der Beschwerdeführerin am 22. Februar 2011 zugestellt worden. Zwischen dem Erlass der Entscheidung und dem Vorliegen der Begründung sind damit nahezu elf Monate vergangen.
Nach einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB 1/92 vom 27. April 1993, NJW 93, 2603) ist ein Urteil dann nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben sind. In der Begründung ist ausgeführt, die Entscheidungsgründe dienten auch der Sicherung der Beurkundung sowohl der mündlichen Verhandlung als auch des Beratungsergebnisses. Dies verlange, dass die Erinnerung der Richter noch hinreichend verlässlich sei. Es entspreche aber allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Erinnerung mit fortschreitender Zeit zunehmend verblasse. Nach einer Frist von fünf Monaten könne davon ausgegangen werden, das das Beratungsergebnis - aufbauend auf dem vorhandenen Fachwissen - eher rekonstruiert als reproduziert werde. Dies gelte für alle Gerichtsbarkeiten (Rdn. 18), denn in Hinblick auf das Erinnerungsvermögen der Richter ließen sich Unterschiede zwischen den Gerichtszweigen nicht ausmachen.
Diese Grundsätze finden nach überwiegender Rechtsmeinung auch auf das patentgerichtliche Verfahren Anwendung (siehe Busse/Keukenschrijver Patentgesetz 6. Auflage § 100 Rdn. 97; Benkard/Rogge Patentgesetz 10. Auflage § 100 Rdn. 40). Darüber hinaus müssen sie auch im patentamtlichen Verfahren Geltung besitzen, denn das Verfahren vor dem Patentamt ist strengen Regeln unterworfen und einem justizmäßigen Verfahren weitgehend angenähert (Benkard/Schäfers Patentgesetz 10. Auflage § 34 Rdn. 35). Der Beschluss des Patentamts im Einspruchsverfahren war hier gemäß § 59 Abs. 4 PatG i. V. m. § 47 Abs. 1 PatG zu begründen und diese Begründung muss den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen genügen. Eine Begründung, die erst elf Monate nach Erlass des Beschlusses erfolgt, bietet nicht mehr die Gewähr dafür, dass sie unmittelbar aus der Anhörung, der Beratung und Beschlussfassung entstanden ist.
2. Die Begründung des patentamtlichen Beschlusses ist, auch wenn sie rechtzeitig erfolgt wäre, nicht ordnungsgemäß unterschrieben, denn die Unterschriften befinden sich nicht am Ende der Begründung, sondern sie sind nur auf dem Zuleitungsformular für den zentralen Schreibdienst angebracht. Derartige „Oberschriften“ sind nicht zulässig, denn sie bieten keine Gewähr dafür, dass die Unterzeichner den Inhalt der Begründung auch gelesen und sich zu eigen gemacht haben (vgl. hierzu BPatG vom 27. Juli 2009, 20 W (pat) 65/04, das einen Zurückweisungsbeschluss, der nur auf dem vom DPMA für das Anmeldverfahren verwendeten Formular unterzeichnet wurde, für unwirksam hält; sowie BGHZ 113, 48 und BGH NJW 1992, 829, nach denen Neben- und Oberschriften keine Beweiskraft für Privaturkunden nach § 416 ZPO entfalten können).
3. Die Begründung des Beschlusses ist von einem anderen Vorsitzenden unterzeichnet worden, als dem bei der Anhörung und Beschlussfassung anwesenden Vorsitzenden der Patentabteilung 44. Es findet sich weder ein Vertretungsvermerk, noch ein Hinweis, weshalb der damalige Vorsitzende an der Unterzeichnung verhindert war. Eine aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangene Entscheidung kann nur von den Mitgliedern der Patentabteilung unterzeichnet werden, die bei der Anhörung und Beschlussfassung auch mitgewirkt haben. Dies ergibt sich für das patentgerichtliche Verfahren aus § 93 Abs. 3 PatG und es stellt darüber hinaus einen allgemeinen Verfahrensgrundsatz dar (§ 309 ZPO). Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach der mündlichen Verhandlung in das schriftliche Verfahren übergegangen wird und im Verlauf dieses Verfahrens der Beschluss gefasst wird, was hier aber nicht geschehen ist. Ist ein Mitglied der Patentabteilung nach der Beschlussfassung verhindert, z. B. weil er ausgeschieden ist, so gelten wie im Zivilprozess die Regeln des § 315 Abs. 1 ZPO, wonach dies bei der Unterschrift zu vermerken ist (vgl. hierzu Schulte a. a. O. § 47 Rdn. 8; BPatGE 24,190; BGH, BlPMZ 1995, 68 - Spinnmaschine).
Diese Verfahrensfehler rechtfertigten an sich die Zurückverweisung des Verfahrens an das Patentamt ohne eigene Sachentscheidung gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG, was jedoch hier nicht zweckmäßig erscheint, denn in der Sache selbst hat das Patentamt richtig entschieden.