Entscheidungsdatum: 21.09.2017
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2012 017 650.3
…
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 21. September 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw und der Richter Schell und Dr. Jäger sowie der Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. November 2014 wird aufgehoben und das Patent 10 2012 017 650 erteilt.
Bezeichnung:
Wundheilsalbe zur Heilung alter, vereiterter und unheilbarer Diabetesgangränwunden.
Anmeldetag: 6. September 2012.
Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 5 vom 6. September 2012
sowie Beschreibung Seiten 1 bis 2 vom 6. September 2012.
I
Mit Beschluss vom 19. November 2014 hat die Prüfungsstelle für Klasse A 61 K des Deutschen Patent- und Markenamtes die Patentanmeldung mit dem amtlichen Aktenzeichen 10 2012 017 650.3 und der Bezeichnung
"Wundheilsalbe zur Heilung alter, vereiterter und unheilbarer Diabetesgangränwunden"
zurückgewiesen.
Der Zurückweisungsbeschluss ist im Wesentlichen damit begründet, dass in den Druckschriften
D3 Al-Waili, N. S., "Clinical and mycological benefits of topical application of honey, olive oil and beeswax in diaper dermatitis", Clinical Microbiology and Infection, 2005, 11, S. 160 bis 163
D4 Al-Waili, N. S. et al., "The Safety and Efficacy of a Mixture of Honey, Olive Oil and Beeswax for the Management of Hemorrhoids and Anal Fissure, a Pilot Study", The Scientific World Journal 2006, 6, S. 1998 bis 2005
D5 US 5,980,875 A
D6 Al-Waili, N. S. et al., "Honey for Wound Healing, Ulcers and Burns; Data Supporting Its Use in Clinical Practice", The Scientific World Journal 2011, 11, S. 766 bis 787
D7 Molan, P. C., "Potential of Honey in the Treatment of Wounds and Burns", American Journal of Clinical Dermatology, 2001, 2, S. 13 bis 19
D8 Simon, A. et al., "Medical Honey for Wound Care – Still the 'Latest Resort'?", eCAM 2009, 6, S. 165 bis 173
Heilsalben aus Bienenhonig, Bienenwachs und Olivenöl und deren wundheilungsfördernde, entzündungshemmende, antimikrobielle und antimykotische Wirkung beschrieben werde. Des Weiteren sei die Verwendung von Rinderknochenmaterial in Arzneimitteln, wie sich aus
D1 Landkreis Cloppenburg, "BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie)", 3 Seiten, URL: http://www.lkclp.de/tierhaltungernaehrung/tierseuchenshybekämpfung/ BSE%20(Bovine%20Spongiforme%20Enzephalopathie).php, [abgerufen am 10.01.2014]
D2 EUR-Lex – 52011XC0305(04) – DE, "Leitlinien für die Minimierung des Risikos der Übertragung von Erregern der Spongiformen Enzephalopathie tierischen Ursprungs durch Human- und Tierarzneimittel (EMA/410/01 Rev. 3)", Amtsblatt Nr. C 073 vom 05.03.2011, S. 0001 bis 0018
ergebe, mit Gefahren insbesondere hinsichtlich einer BSE-Infektion verbunden, die bei haushaltsüblichen Garverfahren nicht vermieden werden könnten. Ein Nachweis, dass die anmeldungsgemäße Zusammensetzung mit der weiteren Komponente Rinderknochenmark gegenüber dem Stand der Technik gemäß D3 bis D8 einen überraschenden Effekt aufweise und wiederholbar sei, habe der Anmelder nicht erbracht. Daher beruhe die anmeldungsgemäße Wundheilsalbe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders, mit der er sein Patentbegehren auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 bis 5 weiterverfolgt.
Der Patentanspruch 1 lautet folgendermaßen:
„
„
Der Anmelder macht sinngemäß geltend, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und damit patentfähig sei. Zum einen betreffe der angeführte Stand der Technik hinsichtlich Honig, Bienenwachs und Olivenöl enthaltende Zusammensetzungen nicht die Behandlung von Diabetesgangränwunden. Zum anderen gebe es keine Spontanheilung von Diabetesgangränwunden. Vielmehr bewirke die anmeldungsgemäße Kombination aus den vier Bestandteilen die angestrebte Heilung, die beispielsweise mit Honig allein, obwohl dieser antiseptisch wirke und eine heilende Wirkung habe, nicht erreicht werde. Die durch Fotografien dokumentierten Berichte vom 10. Mai und 30. Juni 2016 belegten zudem die Wirkung der anmeldungsgemäßen Wundheilsalbe und damit das Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit. Im Übrigen sei die Erfindung zweimal erfolgreich an der Person des Anmelders erprobt worden.
Der Anmelder beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Beschluss vom 19. November 2014 aufzuheben und das Patent auf Basis der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.
Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II
1. Die Beschwerde des Anmelders ist zulässig und führt zu dem im Tenor angegebenen Ergebnis.
2. Bezüglich der Offenbarung der Patentansprüche 1 bis 5 bestehen keine Bedenken, da diese den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 5 entsprechen.
3. Die Wundheilsalbe nach Patentanspruch 1 ist neu.
In keinem der entgegengehaltenen Dokumente werden Salben mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 beschrieben.
Aus den Druckschriften D3 bis D5 sind Wundsalben aus Honig, Bienenwachs und Olivenöl und deren wundheilungsfördernde, entzündungshemmende, antibakterielle und antimykotische Wirkung in der klinischen Anwendung bekannt. So offenbart D3 eine Heilsalbe aus gleichen Volumenanteilen Naturhonig, kalt gepresstem Olivenöl und Bienenwachs zur Behandlung von Windeldermatitis (vgl. D3 S. 160 Titel und Abstract, S. 161 li. Sp. vorle. Abs. und re. Sp. Abs. 2, S. 162 li. Sp. Abs. 2 und 3). D4 betrifft eine wirksame Heilsalbe aus gleichen Volumenanteilen Honig, Olivenöl und Bienenwachs bei der Behandlung von Hämorrhoiden und Analfissuren (vgl. D4 S. 1998 Titel, Abstract Abs. 1 und 3, S. 1999 Abs. 2, S. 2000 Abs. "Intervention and Doses"). D4 weist darüber hinaus explizit auf die antimikrobielle, entzündungshemmende und heilungsfördernde Wirkung der Mischung hin, die sich von den Eigenschaften der Bestandteile Honig, Olivenöl und Bienenwachs herleitet, die ebenfalls in D4 detailliert aufgezeigt werden (vgl. D4 S. 2001/2002 seitenübergr. Abs. und S. 2002 Tab. 4). D5 betrifft die Verwendung von Zusammensetzungen, die Honig, Bienenwachs und Olivenöl enthalten, zur topischen Behandlung von beispielsweise Geschwüren, Wunden und Verbrennungen, wobei wiederum auf die heilungsfördernde und antimikrobielle Wirkung von Honig hingewiesen wird (vgl. D5 Patentanspruch 1, Sp. 2 Z. 12 bis 21 und 34 bis 48, Sp. 2/3 spaltenübergr. Abs., Sp. 3 Z. 31 bis 34, Sp. 4 Z. 5 bis 19, Sp. 4/5 Beispiele 1 und 7, Sp. 9/10 Abs. "Wound Healing Treatment" und "Burn Healing Treatment"). Die Lehren dieser Druckschriften unterscheiden sich von der anmeldungsgemäßen Wundheilsalbe durch das Fehlen der vierten Komponente Rinderknochenmark. Auch die Behandlung von Diabetesgangränwunden wird in diesen Druckschriften nicht offenbart.
Die Druckschriften D6 bis D8 beschäftigen sich jeweils mit Honig und dessen antibakterieller, entzündungshemmender und heilungsfördernder Wirkung bei der topischen Behandlung schwer heilender, infizierter Wunden und Geschwüre, die gemäß D6 und D7 auch diabetischen Ursprungs sein können (vgl. D6 S. 766 Titel und Abstract, S. 769 Tab. 1 Zeile "Egypt[64]", S. 770 Tab. 2 und Abs. 1 Satz 4, S. 771 Abs. 1, S. 773 Abs. 3, S. 774 Abs. 3; vgl. D7 u. a. S. 13 Abstract und S. 14 Tab. I, S. 18 Abs. "5. Conclusion"; vgl. D8 S. 165 Abstract, S. 166 Tab. 1 le. Eintrag, S. 172 li. Sp. Abs. "Conclusion"). Allerdings offenbaren diese Druckschriften keine Zusetzung, die als weitere Komponenten Bienenwachs, Olivenöl oder Rinderknochenmark enthalten, und keine Angabe einer Behandlung von Gangränwunden, die eine Sonderform der diabetischen Fußerkrankung darstellen.
Die übrigen dem Senat vorliegenden Entgegenhaltungen D1 und D2 können die Neuheit der Wundheilsalbe nach Patentanspruch 1 ebenfalls nicht angreifen, da sie allgemeinen Stand der Technik zu BSE und Rinderknochenmark betreffen.
4. Die Wundheilsalbe nach Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Anmeldung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Salbe für die Behandlung von alten, vereiterten und unheilbaren Diabetesgangränwunden bereitzustellen (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. S. 2 Abs. 3 der ursprünglich eingereichten Unterlagen).
Die Anmeldung löst diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch die Zusammensetzung mit den Merkmalen:
1 Zusammensetzung insbesondere Wundheilsalbe zur Heilung alter, vereiterter und unheilbarer Diabetesgangränwunden, enthaltend oder umfassend
2 Bienenhonig,
3 Bienenwachs,
4 Olivenöl und
5 Rinderknochenmark
Diese Lösung der Aufgabe wird dem Fachmann, einem berufserfahrenen Diabetologen, der gegebenenfalls mit einem Pharmazeuten mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Herstellung von Salben zusammenarbeitet, durch die Lehre von keiner der Druckschriften D1 bis D8 nahegelegt. Die Heilsalben aus einer Mischung von Honig, Bienenwachs und Olivenöl betreffenden Druckschriften D3 bis D5 beschreiben zwar die antibakterielle, entzündungshemmende und heilungsfördernde Wirkung dieser Mischungen und D4 sogar die Wirkungen der Einzelkomponenten, so dass diese zur topischen Behandlung von Geschwüren, Wunden und dermatologischen Entzündungen eingesetzt werden können (vgl. D3 bis D5 a. a. O. und D4 S. 2002 Tab. 4). Diese Druckschriften geben aber weder einzeln noch in Zusammenschau einen Hinweis auf die zusätzliche Verwendung von Rinderknochenmark und auf die Behandlung von diabetischen Gangränwunden. Der Fachmann hatte insbesondere keine Veranlassung, Rinderknochenmark als weitere wesentliche Komponente für die Heilsalbe in Betracht zu ziehen. Zudem ist die Verwendung von Rinderknochenmark gemäß D1 und D2 mit dem Risiko einer spongiformen Enzephalopathie-Infektion infolge eines Einsatzes von BSE-infizierten Materials verbunden, weshalb der Fachmann von der Verwendung von Rinderknochenmark eher abgehalten war (vgl. D1 S. 1 Abs. "Welche Teile von Wiederkäuern werden als Risikomaterial eingestuft?"; vgl. D2 S. 6 Kap. 3.3 Abs. 3, S. 15 Anhang Z. 14).
Das Argument, die anmeldungsgemäße Zusammensetzung weise gegenüber dem Stand der Technik keinen die erfinderische Tätigkeit begründenden überraschenden Effekt auf und sei nicht wiederholbar, kann nicht durchgreifen. Ein überraschender Effekt ist kein zwingendes Erfordernis für die erfinderische Tätigkeit (vgl. Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl., § 4 Rn. 146; Busse/Keukenschrijver PatG, 8. Aufl., § 4 Rn. 17). Der Anmelder hat in den Berichten vom 10. Mai 2016 und 30. Juni 2016 mit Fotografien belegt, dass die Behandlung einer diabetischen Fußgangrän mit der anmeldungsgemäßen Wundheilsalbe erfolgreich wiederholt durchgeführt werden konnte. Die anmeldungsgemäße Aufgabe wird somit gelöst. Da zudem Rinderknochenmark für den Senat ohne Zweifel Bestandteile enthält, die sich auf die Wundheilung auswirken, und eine Kombination von Rinderknochenmark mit der vorbeschriebenen Zusammensetzung aus Honig, Bienenwachs und Olivenöl nicht nahegelegen hat, kommt es nicht darauf an, ob bereits mit der gemäß D3 bis D5 vorbeschriebenen Zusammensetzung aus drei Komponenten ein die Lösung bewirkender Effekt erzielt werden könnte. Vielmehr ist es für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit ausreichend, dass mit der nicht nahegelegten, anmeldungsgemäßen Zusammensetzung aus vier Komponenten die Behandlung von Diabetesgangränwunden möglich ist, also ein Bedürfnis erfüllt und ein technischer Fortschritt erzielt wird (vgl. Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl. § 4 Rn. 78ff. und 103ff.). Die Wirksamkeit hat der Anmelder in seinem Vortrag bestätigt, nach dem er mit seiner Erfindung zweimal erfolgreich an sich selbst Gangränwunden geheilt hat (vgl. Schriftsatz vom 22. August 2017 Z. 13 bis 16 i. V. m. S. 2 Abs. 3 der ursprünglich eingereichten Unterlagen).
Dass Rinderknochenmark bei der Herstellung von Arzneimitteln wegen der BSE-bedingten Problematik in der Regel aufgrund von Infektionen vermieden wird (vgl. D2), spricht ebenfalls nicht gegen ein Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit. Durch D2 wird lediglich ein Vorurteil in den einschlägigen Fachkreisen dokumentiert, das die Fachwelt daran gehindert hat, in Richtung auf die geschützte Lehre zu arbeiten. Der Anmelder hat mit der erfolgreichen Anwendung seiner Wundheilsalbe bei der Behandlung von Diabetesgangränwunden dieses Vorurteil überwunden, was als Zeichen dafür zu werten ist, dass die Erfindung nicht nahegelegen hat (vgl. Schulte/Moufang, 10. Aufl., § 4 Rn. 159).
Die Druckschriften D6 bis D8 betreffen jeweils die Verwendung von Honig als einzige wirksame Komponente zur antibakteriellen und heilungsfördernden topischen Behandlung von Wunden und Geschwüren (vgl. D6 bis D8 a. a. O.). Diese Druckschriften liegen daher ferner als die Druckschriften D3 bis D5 und können den Anmeldegegenstand ebenfalls weder einzeln noch in Zusammenschau mit den anderen angeführten Dokumenten nahelegen. An dieser Beurteilung ändert auch die Erwähnung von diabetischen Fußwunden bzw. Geschwüren in D6 nichts (vgl. D6 S. 769 Tab. 1 Einträge "Egypt[64]", S. 770 Abs. 1, S. 771 Abs. 1, S. 773 Abs. 3, S. 773/774 seitenübergr. Abs., S. 774 Abs. 3). Denn die diabetischen Wunden bzw. Geschwüre werden in D6 nicht im Zusammenhang mit der Behandlung von Diabetesgangränwunden aufgezeigt, so dass der Fachmann keine Veranlassung hatte, von der Behandlung diabetischer Fußwunden und Geschwüre auf eine Behandlung von diabetischen Fußgangrän, d. h. von Diabetes bedingter Gewebsnekrose am Fuß zu schließen. Zudem gibt die D6 keine Hinweise auf die weiteren Komponenten der anmeldungsgemäßen Zusammensetzung.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich damit nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
5. Nachdem die Wundheilsalbe nach dem Patentanspruch 1 alle Kriterien der Patentfähigkeit erfüllt, ist Patentanspruch 1 gewährbar. Gleiches gilt für die besonderen Ausgestaltungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 betreffenden Patentansprüche 2 bis 5, für die die vorstehenden Ausführungen zum Patentanspruch 1 gleichermaßen gelten.