Entscheidungsdatum: 17.10.2017
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 103 36 913
…
…
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richter Schell und Dr. Jäger sowie der Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
Die Beschwerden der Einsprechenden und der Patentinhaberin werden zurückgewiesen.
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. November 2015 hat die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 103 36 913 mit der Bezeichnung
„Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials“
beschränkt aufrechterhalten.
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 6 nach Hauptantrag lauten wie folgt:
„1. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatrohlings, der Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase enthält, zur Herstellung einer dentalen Restauration.
6. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatglases, das für die Bildung von Lithiummetasilicat geeignete Keime enthält, zur Herstellung einer dentalen Restauration.“
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:
„1. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatrohling, der Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase enthält, zur Herstellung einer dentalen Restauration, wobei der Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase durch maschinelle Verarbeitung oder durch Heißpressen zu einer gewünschten Geometrie geformt wird, um eine dentale Restauration zu bilden, und wobei der Lithiumsilicatrohling nach einem Verfahren herstellbar ist, bei dem:
(a) eine Schmelze eines Ausgangsglases gebildet wird, die die Anfangskomponenten SiO2, Li2O, K2O, Al2O3 und P2O5 als Hauptkomponenten, aber kein La2O3 enthält,
(b) die Schmelze des Ausgangsglases in eine Form gegossen wird, um einen Ausgangsrohling zu bilden, und der Glasrohling auf Raumtemperatur abgekühlt wird,
(c) der Ausgangsglasrohling einer ersten Wärmebehandlung bei einer ersten Temperatur unterworfen wird, um ein Glasprodukt zu ergeben, welches Keime enthält, die für die Bildung von Lithiummetasilicatkristallen geeignet sind, und
(d) das Glasprodukt aus Stufe c) einer zweiten Wärmebehandlung bei einer zweiten Temperatur unterworfen wird, die höher als die erste Temperatur ist, um den Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicatkristallen als Hauptkristallphase zu erhalten.“
Die Patentabteilung hat ihre Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der auf die Verwendung beliebiger Lithiumsilicatrohlinge mit Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase zur Herstellung dentaler Restaurationen gerichtete Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag der ursprünglichen Offenbarung nicht zu entnehmen und damit unzulässig erweitert sei. Dagegen seien die Patentansprüche 1 bis 30 gemäß Hilfsantrag sowohl ursprünglich offenbart als auch aus der Patentschrift herleitbar. Dies gelte insbesondere auch für das Merkmal „kein La2O3“, dessen Aufnahme in den Patentanspruch 1 zu einer Beschränkung des erteilten Anspruchs führe. Ferner seien die beanspruchten Gegenstände neu und erfinderisch. Keine der in das Einspruchsverfahren eingeführten Entgegenhaltungen
D1 DE 197 50 794 A1
D2 DE 24 51 121 A1
D3 M.P. Borom et al., “Strength and Microstructure in Lithium Disilicate Glass-Ceramics”, Journal of the American Ceramic Society, 1975, 58, Seiten 385 bis 391
D4 US 4,515,634
D5 EP 0 160 797 A1
D6 WO 02/045614 A1
D7 US 2003/0073563 A1
D8 W. Höland et al., “Control of nucleation in glass ceramics”, Phil. Trans. R. Soc. Lond. A, 2003, 361, Seiten 575 bis 589
D9 DE 29 49 619 A1
D10 Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, „Nachschmelzen von Ivoclar-Patentbeispielen, Ergebnisbericht,“ 28. Mai 2015, 8 Seiten
D11 W. Höland und G. Beall, “GLASS-CERAMIC TECHNOLOGY”, American Ceramic Society, 2002, Westerville OH, USA; Seiten 75 bis 83, 222 und 223
D12 DE 1 696 473 B
D13 US 2001/0031446 A1
D14 J. Deubener et al., “Induction time analysis of nucleation and crystal growth in di- and metasilicate glasses”, Journal of Non-Crystalline Solids, 1993, 163, Seiten 1 bis 12
D15 P.W. McMillan et al., “The Structure and Properties of a Lithium Zinc Silicate Glass-Ceramic”, Journal of Materials Science, 1966, 1, Seiten 269 bis 279
offenbare die Verwendung eines Lithiumsilicatrohlings mit den Merkmalen nach Patentanspruch 1. Im Übrigen werde der Fachmann ausgehend von D1, einer Druckschrift, die Lithiumsilicatrohlinge für die dentale Restauration betreffe, nicht dazu angeregt, La2O3 in der Lithiumsilicatrezeptur zu vermeiden, da dieses für die vorteilhaften Eigenschaften der hergestellten Lithiummaterialien verantwortlich sei. Auch die weiteren Druckschriften lieferten keine Hinweise in Richtung einer Verwendung eines La2O3-freien Lithiumsilicatrohlings zur dentalen Restauration, der als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat aufweise.
Gegen diesen Beschluss haben sowohl die Einsprechende als auch die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt.
Zur Stütze ihres Vorbringens verweist die Einsprechende auf folgende weitere Druckschriften:
D16 Anlagenkonvolut:
Schott, Nacharbeitung des Beispiels 13 aus der DE 103 36 913 B4, Schott ID 46802, Dezember 2015, 3 Seiten
Annex A: Schott, Temperung (Kristallisation) und anschließende XRD-Analyse der Glaskeramikschmelze VSM 46802, 11.2.2016, 3 Seiten
D17 WO 2013/053866 A2
D18 W.F. Hammetter und R.E. Loehman, “Crystallization Kinetics of a Complex Lithium Silicate Glass-Ceramic”, Journal of the American Ceramic Society, 1987, 70, Seiten 577 bis 582
D19 Anlagenkonvolut:
D19A Schott, Nacharbeitung von Beispiel 22 der D1, Schott ID: 46803, 5 Seiten, Dezember 2015
D19B Schott, Nacharbeitung von Beispiel 22 der D1 ohne Lanthan, Schott ID: 46808, 4 Seiten, Dezember 2015
AnnexA/B Schott, Temperung (Kristallisation) und anschließende XRD-Analyse der Glaskeramikschmelzen VSM 46803/ 46808, 11.2.2016, 4 Seiten
D19C Nacharbeitung des Beispiels 13 des Streitpatents, Schott ID: 46802, 4 Seiten, Dezember 2015
Annex C Schott, Temperung (Kristallisation) und anschließende XRD-Analyse der Glaskeramikschmelzen VSM 46802, 11.2.2016, 3 Seiten
D19D Schott, Arbeitsanweisung, gültig ab 14.12.2015, 3 Seiten
D19E Erklärung, Th. Kirsch, Schott AG, 5.9.17, 3 Seiten
D20 I.C. Madsen et al., “Description and survey of methodologies for the determination of amorphous content via X-ray powder diffraction”, Z. Kristallogr. 2011, 226, 944 bis 955
D21-A Anlagenkonvolut: Nacharbeitung des Beispiels 22 der Entgegenhaltung D1, 4 Seiten, 21.9.2017
D21-B Anlagenkonvolut: Nacharbeitung des Beispiels 13 des Streitpatents, 4 Seiten, 25.9.2017
D22 Ivoclar Vivadent Inc., “IPS, e.max® lithium disilicate, The Future of All-Ceramic Dentistry”, 2/2009, 9 Seiten
D23 Report, Research and Development Ivoclar Vivadent AG, “IPS e.max®, all ceramic…all you need”, 2006, 17, S. 1 bis 48
Die Einsprechende wendet ein, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsanträgen werde durch die Aufnahme des Merkmals „Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase“ unzulässig erweitert, da sich eine solche allgemeine Lehre nicht in den ursprünglichen Unterlagen finde. Außerdem sei die streitpatentgemäße Verwendung nicht über die beanspruchte Breite ausführbar, weil das Streitpatent explizit erwähne, dass ein Lithiumsilicatmaterial mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase bzw. als eine Hauptkristallphase nur mit bestimmten Ausgangsglaszusammensetzungen unter Einhaltung von bestimmten Verfahrensparametern erzielbar sei. Dies würden auch die Nacharbeitungen gemäß D16, D19 und D21A belegen. Zudem verweist die Einsprechende gutachterlich auf D17, der entnommen werden könne, dass für die Bildung von Lithiummetasilicat das Molverhältnis von Siliziumdioxid und Lithiumoxid maßgeblich sei.
Ferner macht die Einsprechende mangelnde Neuheit gegenüber den Druckschriften D1, D4, D7, D13 bzw. den Nacharbeitungen gemäß den Anlagenkonvoluten D16 und D19, sowie D21A geltend. Zur Begründung trägt sie vor, dass D1 bzw. die Nacharbeitungen D16, D19 und insbesondere D21A des Beispiels 22 der D1 alle wesentlichen Merkmale des erteilten Anspruchs 1 vorwegnähmen. Darüber hinaus beschreibe D4 eine Glaskeramik zur Verwendung als dentale Restauration. Gemäß D4 werde zunächst ein Rohling aus einem Ausgangsglas basierend auf Li2O, SiO2, Al2O3, K2O und P2O5 einer Wärmebehandlung bei einer ersten Temperatur von 500°C und anschließend einer zweiten Wärmebehandlung bei einer zweiten Temperatur von 550°C unterzogen. Da diese Temperaturen denen des Streitpatents entsprächen, sei gemäß dem in D3, D8 und D14 belegten Fachwissen davon auszugehen, dass der Rohling Lithiummetasilicat als kristalline Hauptphase aufweise. Der angeblich zu niedrige Kaliumoxidgehalt mit 1,7 Gew.-% der Zusammensetzung der D4 könne die Neuheit nicht begründen, da der streitpatentgemäße Anspruch 1 des Kaliumoxids keine Mengenbeschränkung nenne. Gleiches gelte für die vermeintlich zu langen Temperaturbehandlungszeiten, die im streitpatentgemäßen Anspruch 1 ebenfalls nicht definiert würden. Auch die Entgegenhaltung D7 betreffe Glaskeramiken für die dentale Restauration auf Basis von Li2O, SiO2, Al2O3, K2O und P2O5. Ein aus diesen Ausgangskomponenten hergestelltes Glas werde zur Erzeugung von Rohlingen einer zweistufigen Wärmebehandlung mit einer ersten Temperatur im Bereich von 450 bis 700°C und einer zweiten Temperatur von 800 bis 1000°C unterworfen. Die so erhaltenen Rohlinge würden anschließend mittels Maschinenbearbeitung in die gewünschte Form gebracht. Gemäß D7 weise das Rohlingsmaterial mehrere Kristallphasen auf, u. a. Lithiummetasilicat. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs „Hauptkristallphase“ werde dieses Merkmal aber bereits dann erfüllt, wenn Lithiummetasilicat überhaupt bzw. gemeinsam mit Lithiumdisilicat vorliege. Ebenso werde in der Druckschrift D13 eine Dentalrestauration beschrieben, die aus einer Glaskeramik basierend auf den streitpatentgemäßen Ausgangskomponenten während einer Wärmebehandlung geformt werde. Nachdem die Temperaturen der Wärmebehandlung den streitpatentgemäßen Temperaturen entsprächen, lese der Fachmann aufgrund des ihm durch D8 und D9 vermittelten Fachwissens ohne weiteres mit, dass die Glaskeramiken gemäß D13 Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase aufwiesen.
Hinsichtlich der Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 gemäß Hilfsantrag 1 macht die Einsprechende geltend, diese würden sich ausgehend von der Nacharbeitung D21A vom Streitgegenstand nach Patentanspruch 1 lediglich darin unterscheiden, dass nach seiner Bearbeitung der Rohling einer weiteren Wärmebehandlung bei 700 bis 950°C für eine Dauer von etwa 5 bis 30 min unterworfen werde, was dem Fachmann aber aus D3 bzw. D11 bekannt sei.
Zur beanspruchten Verwendung nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 trägt die Einsprechende vor, diese werde durch die Aufnahme des Disclaimers „aber kein La2O3“ unzulässig erweitert. In den Ursprungsunterlagen würden lediglich Zusammensetzungen offenbart, die zwingend eine färbende und fluoreszierende Komponente – zu denen Lanthanoxid zähle – aufweisen müssten. Die Patentinhaberin habe den Disclaimer unzulässigerweise zur Abgrenzung gegenüber der Lehre der D1 hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit aufgenommen. Deshalb würden die zum Hauptantrag zur mangelnden Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit geltend gemachten Einwände gleichermaßen für Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 gelten.
Des Weiteren macht die Einsprechende geltend, der Gegenstand von Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruhe unter Einbeziehung des Fachwissen auch gegenüber den Druckschriften D1, D7, D3 in Kombination mit D8 bzw. D11, D4 in Kombination mit D3 bzw. D12 i. V. m. mit D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe, nämlich die Bereitstellung eines leicht bearbeitbaren Lithiumsilicatrohlings, werde bereits durch D1 gelöst. Denn aus der D1, insbesondere deren Beispiel 22, sei ein Glaskeramik-Rohling bekannt, der aus den streitpatentgemäßen Hauptkomponenten bestehe. Nach D8 bzw. D11 sei davon auszugehen, dass aufgrund der gewählten Temperaturführung bei der Wärmebehandlung des Ausgangsglases Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase erhalte werde. Im Unterschied zu D1 werde im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 Lanthanoxid zwar durch einen Disclaimer ausgenommen, dieser beinhalte jedoch keinen technischen Effekt und erweise sich aufgrund seiner willkürlichen Wahl als unzulässig.
Auch ausgehend von D7, die einen Lithiumsilicatrohling für die dentale Restauration offenbare, gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Streitgegenstand. Die Lehre der D7 unterscheide sich vom Streitgegenstand lediglich darin, dass die Bearbeitung des Rohlings im Zustand des Lithiumdisilicats erfolge, welches sich gegenüber Lithiummetasilicat durch eine erhöhte Festigkeit auszeichne. Die geringere Festigkeit des Lithiummetasilicats und dessen bessere Verarbeitbarkeit seien dem Fachmann aber zum Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen. Es habe für ihn deshalb nahegelegen, die maschinelle Bearbeitung vor der Umwandlung des Lithiummetasilicats in das härtere Disilicat vorzunehmen. Ebenso gelange der Fachmann durch die Kombination der Druckschriften D3 und D8 ohne erfinderisches Zutun zu der beanspruchten Verwendung. Denn aus beiden Dokumenten kenne der Fachmann Lanthanoxid-freie Glaskeramiken, die Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase aufwiesen. Weiterhin entnehme er der D8, dass der Rohling mittels Heißpressen in die gewünschte Form gebracht werden könne und das Material für die dentale Restauration geeignet sei. Diese Lehre ergänze der Fachmann durch das allgemeine Fachwissen gemäß D3, wonach Lithiummetasilicat eine gegenüber dem Disilicat geringere Festigkeit und eine leichtere Verarbeitbarkeit aufweise, wodurch er in naheliegender Weise zum Streitgegenstand gelange.
Die Entgegenhaltung D4 betreffe einen Lithiumsilicatrohling, der aus einer dem Streitpatent entsprechenden Ausgangsschmelze gewonnen werde. Diese Schmelze werde in Form gegossen und der so erhaltene Rohling nach dem Abkühlen auf Raumtemperatur zwei Wärmebehandlungen unterzogen, deren Temperaturen denen des Streitpatents entsprächen. Folglich gehe der Fachmann unter Einbeziehung seines Fachwissens davon aus, dass in diesem Stadium Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase vorliege. Im Unterschied zum Streitpatent werde der Rohling gemäß der Lehre der D4 aber nicht maschinell bearbeitet, sondern gleich einer weiteren Wärmebehandlung unterzogen. Angesichts der Lehre von D3, aus der bekannt sei, dass Lithiummetasilicat sich aufgrund seiner geringeren Festigkeit leichter verarbeiten ließe, habe es für den Fachmann nahe gelegen, die Bearbeitung des Rohlings gemäß D4 vor der zweiten Wärmebehandlung vorzunehmen, um so eine bessere Bearbeitbarkeit zu gewährleisten.
Aus der Entgegenhaltung D12 kenne der Fachmann auch eine Glaskeramik mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase. Im Gegensatz zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hilfsantrags 2 sei hier zwar nicht P2O5, sondern die fotoempfindlichen Metalle Au, Ag und Cu als Keimbildner vorgesehen. Dieser Unterschied begründe aber keinen technischen Effekt, da der Fachmann aus D2 wisse, dass P2O5 ebenfalls als Keimbildner geeignet sei. Zudem belegten die Druckschriften D8 und D9 die Verwendung solcher Glaskeramiken zum Zweck der dentalen Restauration lange vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents.
Die Einsprechende beantragt,
unter Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin den Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. November 2015 aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen.
Außerdem regt die Einsprechende die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu folgenden Fragen an:
„1. Ist ein ursprünglich nicht offenbarter Disclaimer, der zur Abgrenzung vom nächstgelegenen Stand der Technik in einen Anspruch aufgenommen wird, zulässig?
2. Falls ja, kann dieser Disclaimer zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden?“
Die Patentinhaberin beantragt,
unter Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden den Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. November 2015 aufzuheben und das Streitpatent vollumfänglich aufrechtzuerhalten,
hilfsweise das Streitpatent im Umfang des Hilfsantrags 1 vom 17. Oktober 2017 aufrechtzuerhalten,
weiter hilfsweise, die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.
Außerdem regt die Patentinhaberin die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu folgender Frage an:
„Kann ein Patent wegen fehlender Neuheit widerrufen werden, wenn sich der Neuheitseinwand auf eine implizite Offenbarung stützt, der durch eine nicht-identische Nacharbeitung nachgewiesen werden soll?“
Die nebengeordneten Patentansprüche 1 und 6 des Hilfsantrags 1 lauten wie folgt:
„1. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatrohlings, der Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase enthält, zur Herstellung einer dentalen Restauration, wobei der Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase durch maschinelle Verarbeitung oder durch Heißpressen zu einer gewünschten Geometrie geformt wird, um ein geformtes Lithiumsilicatprodukt zu bilden, und das geformte Lithiumsilicatprodukt einer Wärmebehandlung bei einer Temperatur von etwa 700 bis 950 °C für eine Dauer von etwa 5 bis 30 min. unterworfen wird.
6. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatglases, das für die Bildung von Lithiummetasilicat geeignete Keime enthält, zur Herstellung einer dentalen Restauration, wobei das Lithiumsilicatglas, welches für die Bildung vom Lithiummetasilicat geeignete Keime enthält, durch maschinelle Verarbeitung oder durch Heißpressen zu einer gewünschten Geometrie geformt wird, um ein geformtes Lithiumsilicatprodukt zu bilden, und das geformte Lithiumsilicatprodukt einer Wärmebehandlung bei einer Temperatur von etwa 700 bis 950 °C für eine Dauer von etwa 5 bis 30 min. unterworfen wird.“
Zum Wortlaut der Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 34 gemäß Hauptantrag, der Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 32 gemäß Hilfsantrag 1, sowie der Patentansprüche 2 bis 30 gemäß Hilfsantrag 2 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Patentinhaberin im Wesentlichen vor, der Gegenstand der erteilten Patentansprüche gemäß Hauptantrag gehe nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Denn das Merkmal „Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase“ könne den ursprünglichen Unterlagen, insbesondere dem ursprünglichen Anspruch 14 entnommen werden, der hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung und der Herstellungsweise der beanspruchten Lithiummetasilicat-Glaskeramik keine Beschränkung enthalte.
Darüber hinaus sei der Gegenstand der erteilten Patentansprüche so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Dies gelte auch für das im erteilten Anspruch 1 definierte Lithiumsilicatmaterial, das Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase enthalte. Das Streitpatent gebe dem Fachmann ausreichend Informationen an die Hand, um ihn in die Lage zu versetzen, geeignete Bedingungen mittels Differentialthermoanalyse und Röntgenbeugungsanalysen für die Bildung von Lithiummetasilicat zu bestimmen. Die Verwirklichung dieses Merkmals könne der Fachmann ohne weiteres durch quantitative Kristallphasenanalyse mittels Röntgendiffraktometrie darstellen, einem ausweislich der D3 bereits seit 1975 etablierten Verfahren. Gemäß D20 könnten die Mengen der Kristallphasen auch ohne Kenntnis der Menge der amorphen Phase ermittelt werden, indem ein interner Stand zur Bestimmung der jeweils zu quantifizierenden Kristallphase verwendet werde. Die Ausführbarkeit werde auch nicht durch die Nacharbeitungen gemäß den Anlagenkonvoluten D19C und D21B in Frage gestellt, da hier die Verfahrensparameter von Beispiel 13 des Streitpatents, insbesondere in Bezug auf die Wärmebehandlung, nicht eingehalten worden seien.
Der Gegenstand der erteilten Patentansprüche werde auch nicht durch die implizite Offenbarung der D1 neuheitsschädlich vorweggenommen. Denn die Nacharbeitung von Beispiel 22 der D1 gemäß Anlagenkonvolut D19 verwende bei der Herstellung der Glasschmelze und den anschließenden Kristallisationsschritten von Beispiel 22 abweichende Zeit-Temperatur-Profile. Die weitere Nacharbeitung gemäß Dokument D21A unterscheide sich von Beispiel 22 der D1 bereits darin, dass das Ausgangsglas nicht die in Tabelle I der D1 angegebene Zusammensetzung, sondern lediglich eine Rohstoffmischung aufweise, die auf Basis der Mengenangaben der in Tabelle I genannten Oxidkomponenten berechnet worden sei. Diese Vorgehensweise führe zu einer Abweichung in der geforderten Glaszusammensetzung, da einzelne Komponenten der Glasschmelze dieser durch Bildung unlöslicher Schlacken oder durch Abdampfen teilweise entzogen würden.
In Bezug auf die erfinderische Tätigkeit macht die Patentinhaberin geltend, dass ausgehend von den aus D1 bzw. D4 bekannten Lithiumdisilicat-Glaskeramiken in Zusammenschau mit D2 bzw. D3 die Verwendung von Glaskeramiken mit Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase zur Herstellung von Dentalrestaurationen schon deshalb nicht nahegelegen habe, weil es sich weder bei der D2 noch bei der D3 um Druckschriften des Fachgebiets Dentaltechnik handle. Zudem lehre D2 die Vermeidung der Bildung von Lithiummetasilicat durch geeignete Steuerung des Kristallwachstums. Der D3 könne der Fachmann entnehmen, dass ein Metasilicat/Glas-System aufgrund des fehlenden Zusammenhalts zwischen dem Glas und den Kristallen bereits unter relativ geringer Belastung breche, und dass Lithiummetasilicat gegenüber den entsprechenden Gläsern anders als Disilicat keine Vorteile im Hinblick auf die Rissausbreitung biete. Folglich würden die Aussagen der D3 den Fachmann nicht dazu veranlassen, Lithiumglaskeramiken auf Basis von Metasilicat für die Herstellung von Dentalrestaurationen, insbesondere durch maschinelle Bearbeitung, in Betracht zu ziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerden der Einsprechenden und der Patentinhaberin sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Das Streitpatent erweist sich im Umfang der verteidigten Fassungen gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 als nicht patentfähig.
1.1 Das Patent betrifft die Verwendung eines Rohlings aus einem Lithiumsilicatmaterial, das durch maschinelle Verarbeitung einfach geformt und anschließend zu dentalen Restaurationen von hoher Festigkeit umgewandelt werden kann (vgl. Streitpatentschrift, Patentansprüche 1, 13, 17 und 19, S. 2, [0001]). In der Streitpatentschrift wird hierzu einleitend ausgeführt, dass auf dem Gebiet der dentalen Restauration ein steigender Bedarf an Materialien besteht, die eine sogenannte Stuhlbehandlung für den Zahnarzt ermöglichen. Hierfür ist es wichtig, dass das Material innerhalb kurzer Zeit maschinell verarbeitbar ist, ohne eine übermäßige Abnutzung der hierfür eingesetzten Werkzeuge zu verursachen. Dies erfordert eine relativ niedrige Festigkeit im Stadium des zu verarbeitenden Materials sowie eine hohe Festigkeit der endgültigen Restauration. In der Praxis hat sich gezeigt, dass Lithiumdisilicat-Glaskeramiken zu einer erhöhten Abnutzung der Werkzeuge und langen Verarbeitungszeiten führen. Dagegen hat die maschinelle Verarbeitung des Grünkörpers im ungesinterten Zustand zur Folge, dass die keramischen Restaurationen im Sinterschritt eine drastische Schrumpfung erleiden, so dass die geforderten Dimensionen nicht eingehalten werden (vgl. Streitpatentschrift S. 2, [0002-0008]).
1.2 Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein Material für einen Rohling zur Herstellung von dentalen Restaurationen bereitzustellen, das eine verbesserte maschinelle Verarbeitung gewährleistet (vgl. Streitpatentschrift S. 3, [0011 und 0012] i. V. m. S. 2, [0002], [0006]).
1.3 Diese Aufgabe wird gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag gelöst durch eine
1.1. Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials zur Herstellung einer dentalen Restauration
1.2. in Form eines Lithiumsilicatrohlings,
1.2.1 der Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase enthält.
1.4 Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen Diplom-Chemiker, der über eine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der dentalen Glaskeramiken verfügt.
1.5 Vorliegend enthält der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag das Merkmal „Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase“. Um den Sinngehalt und die Bedeutung dieses Merkmals verstehen zu können, wird der Fachmann zu ermitteln suchen, was mit diesem Merkmal im Hinblick auf die patentgemäße Erfindung erreicht werden soll (vgl. BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube).
Nach der Lehre des Streitpatents sollen dentale Restaurationen aus einem Rohling hergestellt werden, der aus einem Lithiumsilicatmaterial besteht, das eine Glaskeramik darstellt (vgl. Streitpatentschrift, S. 3, [0012 und 0013]). Die Glaskeramik weist nach einer ersten Kristallisation neben dem Ausgangsglas grundsätzlich die Kristallphasen Lithiummetasilicat, Lithiumdisilicat und Lithiumphosphat sowie Cristobalit auf, wobei allerdings nach der Lehre des Streitpatents die hochfesten Phasen Lithiumdisilicat und Lithiumphosphat sowie Cristobalit vermieden oder zumindest beschränkt werden sollen (vgl. Streitpatentschrift, S. 3, [0013], S. 7, [0038]). Nach den Patentansprüchen 2 und 3 wird das Lithiumsilicatmaterial zu 20 bis 50 Vol.-% bzw. zu 30 bis 40 Vol.-% aus Lithiummetasilicat gebildet. Damit wird jedoch nicht ausgeschlossen, dass Lithiumdisilicat als weitere Hauptkristallphase vorliegt (vgl. Streitpatentschrift, S. 16 bis 17, Tab. IV, „vorhandene Phasen nach der 1. Kristallisation“).
1.6 Hinsichtlich der Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche 1 bis 34 gemäß Hauptantrag bestehen von Seiten des Senats keine Bedenken.
1.6.1 Der erteilte Patentanspruch 1 findet seine Offenbarung in den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 14 und 15 i. V. m. Seite 8, erster vollständiger, dritter und vierter Absatz der Erstunterlagen. Die weiteren erteilten Patentansprüche 2 bis 34 gehen zurück auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 8 bis 10 und 21 bis 52.
1.6.2 Der erteilte Patentanspruch 1 ist entgegen der Auffassung der Einsprechenden nicht das Ergebnis einer unzulässigen Erweiterung der Ursprungsoffenbarung.
Nach der von der Einsprechenden zitierten BGH-Entscheidung „Kommunikationskanal“, muss für den Fachmann die im Anspruch bezeichnete Lehre „unmittelbar und eindeutig“ als mögliche Ausführungsform der Erfindung den Ursprungsunterlagen entnehmbar sein. Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung ist dabei in einer Weise anzuwenden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Unterlagen vermeidet. Insoweit ist darauf abzustellen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig darauf gerichtet sein wird, einen möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf die aufgezeigten Anwendungsbeispiele zu beschränken. Die Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts schließt auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele mit ein. Danach ist ein „breit“ formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung – sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen – als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist. Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet, dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (BGH, GRUR 2014, 542 – Kommunikationskanal).
Demnach kann die Patentinhaberin zu Recht die Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Rohlings zur Herstellung einer dentalen Restauration beanspruchen, der Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase enthält. Denn in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 14 und 15 wird allgemein ein Lithiumsilicatmaterial für einen Rohling angegeben, der zur Herstellung von dentalen Restaurationen verwendet wird. Das Rohlingsmaterial wird dabei durch ein Verfahren erhalten, welches einen Wärmebehandlungsschritt beinhaltet, bei dem eine kristalline Phase gebildet wird, die hauptsächlich Lithiummetasilicat enthält. Darüber hinaus weisen die Erstunterlagen Ausführungsbeispiele auf, die Lithiumsilicatmaterialien betreffen, die ausschließlich Lithiummetasilicat als kristalline Phase nach der ersten Kristallisation enthalten (vgl. ursprünglich eingereichte Beschreibung Tabelle IV, Beispiele 1, 3, 4, 6, 7, 9, 10 und 12 bis 18). Lithiumsilicatmaterial mit der Hauptkristallphase Lithiummetasilicat ist aufgrund seiner im Vergleich zu Lithiumdisilicat geringeren Festigkeit leichter maschinell zu einer dentalen Restauration verarbeitbar (vgl. ursprünglich eingereichte Beschreibung S. 4/5 übergr. Abs.). Deshalb ist für den Fachmann, der sich die Frage vorlegt, welche technische Lehre zur Lösung des geschilderten technischen Problems er den Anmeldeunterlagen entnehmen kann, ohne weiteres ersichtlich, dass die Erstunterlagen eine bessere maschinelle Verarbeitbarkeit des Rohlings angeben, die durch die geringere Festigkeit des Materials „Lithiummetasilicat“ bewirkt wird. Der Einwand der Einsprechenden, das streitpatentgemäße Lithiumsilicatmaterial mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase würde nur für die im Streitpatent genannten Zusammensetzungen in Verbindung mit dem offenbarten Herstellungsverfahren gebildet, geht damit fehl. Denn für den Fachmann liegt es auf der Hand, dass diese allgemeine Lehre lediglich beispielhaft anhand der in den Erstunterlagen genannten Zusammensetzungen und Verfahrensweisen erläutert werden soll.
1.7 Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern die beanspruchte Verwendung gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 nach Hauptantrag so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, denn ihre Bereitstellung ist jedenfalls nicht neu.
1.7.1 Die D1 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von geformten transluzenten Lithiumdisilicat-Glaskeramik-Produkten, die als dentale Restaurationen eingesetzt werden (vgl. D1 Patentanspruch 1, S. 2 Z. 3 bis 6). Die Lithiumdisilicat-Produkte werden aus einer Schmelze eines Ausgangsglases erzeugt, die bevorzugt die Komponenten
SiO2 57,0 bis 75 Gew.-%
Al2O3 0 bis 2,5 Gew.-%
La2O3 0,1 bis 4,0 Gew.-%
MgO 0,1 bis 5,0 Gew.-%
ZnO 0 bis 6,0 Gew.-%, insbesondere 0,1 bis 5,0 Gew.-%
ZrO2 0 bis 8,0 Gew.-%, insbesondere 0,1 bis 8,0 Gew.-%
K2O 0 bis 9,0 Gew.-%, insbesondere 0,5 bis 7,0 Gew.-%
Li2O 13,0 bis 19,0 Gew.-%
P2O5 0 bis 8,0 Gew.-%, insbesondere 0,5 bis 8,0 Gew.-%
Farb- und Fluoreszenzkomponenten 0,1 bis 8,0 Gew.-%
Zusatzkomponenten 0 bis 3,0 Gew.-%
enthält (Patentanspruch 10). Um ein als Rohling vorliegendes, geformtes Glaskeramik-Produkt zu erhalten, wird die Schmelze in gewünschter Weise geformt und abgekühlt und das so erhaltene Glas-Produkt anschließend mindestens einer Wärmebehandlung im Temperaturbereich von 400 bis 1100°C unterzogen (vgl. D1, Patentansprüche 1 und 10). Der Rohling kann entweder durch plastische Verformung bei 700 bis 1200°C und 8 bis 40 bar oder durch spanende Bearbeitung zu der gewünschten Geometrie verarbeitet werden. Im Falle der spanenden Verarbeitung folgt dabei nach dem Formen noch eine zweite Wärmebehandlung bei 700 bis 900°C (vgl. D1, Patentansprüche 2 bis 4). Angaben zur kristallinen Beschaffenheit des Rohlings finden sich dagegen in der D1 nicht.
1.7.2 Hierzu hat die Einsprechende das Beispiel 22 der D1 nachgearbeitet und diese Nacharbeitung als Anlagenkonvolut D21A eingereicht, um dadurch zu belegen, dass der Rohling nach der ersten Wärmebehandlung Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase entsprechend den Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 enthält. Die Nacharbeitung geht dabei entsprechend der Vorgabe aus Beispiel 22 von einer Zusammensetzung gemäß Beispiel 7 in Tabelle 1 der D1 aus. Aus dem Gemisch der Rohstoffe wird unter Einhaltung der in Beispiel 22 genannten Verfahrensbedingungen ein Rohling herstellt, dessen kristalline Zusammensetzung durch eine XRD-Analyse ermittelt worden ist. Der Rohling besteht folglich zu 25,6 Vol.-% Lithiummetasilicat und enthält im Rahmen der Messgenauigkeit kein Lithiumdisilicat und entspricht damit der anspruchsgemäß verwendeten Keramik.
1.7.3 Im Hinblick auf die Nacharbeitung D21A hat die Patentinhaberin geltend gemacht, diese würde die nach dem BGH-Urteil „Metazachlor“ (BGH Urteil vom 15. März 2011 – X ZR 58/08 –, juris) und dem Urteil 3 Ni 5/15 des BPatG (BPatG Urteil vom 11. Oktober 2016 – 3 Ni 5/15 (EP) –, juris) aufgestellten strengen Maßstäbe nicht erfüllen, die bei der Feststellung einer implizierten Offenbarung einer Druckschrift des Standes der Technik durch Nacharbeitung angelegt werden müssten. So seien bei der Bildung des Ausgangsglases gemäß D21A im Hinblick auf die in Beispiel 22 der D1 geforderten Verfahrensbedingungen nicht eingehalten worden, da keine Analyse des Ausgangsglases vorläge, die eine Übereinstimmung der Zusammensetzung mit der von Beispiel 7 gemäß Tabelle 1 belege. Der Senat teilt diesen Einwand aus folgenden Gründen nicht: Gemäß D1 wird in Beispiel 22 „Zunächst ein Ausgangsglas mit der in der Tabelle I für Beispiel 7 angegebenen Zusammensetzung hergestellt. Dazu wurde ein Gemenge aus Oxiden, Carbonaten und Phosphaten in einer Kugelmühle gemischt …“ (vgl. D1, S. 9, Z. 35 bis 37). Aus dem genannten Gemenge wird dann eine Glasschmelze hergestellt. Angaben hinsichtlich einer Schlackenbildung bzw. Abdampfungen, die – wie von der Patentinhaberin geltend gemacht – zu einer veränderten Zusammensetzung des Ausgangsglases im Vergleich zu den eingesetzten Mengen der Ausgangskomponenten führen würden, finden sich hingegen in D1 nicht. Nachdem von der darlegungs- und beweispflichtigen Patentinhaberin keine Belege hierzu vorgelegt worden sind, muss davon ausgegangen werden, dass die in Tabelle 1 für Beispiel 7 genannten Mengen der Einzelkomponenten des Ausgangsglases entsprechen (vgl. Benkard/Kober-Dehm PatG, 11. Aufl., § 22 Rn. 74). Damit ist die D21A als identische Nacharbeitung zu werten.
1.7.4 In Verbindung mit D21A erweist sich D1 somit als neuheitsschädlicher Stand der Technik, der sämtliche Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag vorwegnimmt.
1.8 Inwieweit die Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ausführbar bzw. neu ist, kann vorliegend dahingestellt bleiben, da die Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1.8.1 Gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 weist der Patentanspruch 1 folgende zusätzliche Merkmale auf:
1.3 wobei der Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase durch maschinelle Verarbeitung oder durch Heißpressen zu einer gewünschten Geometrie geformt wird, um ein geformtes Lithiumsilicatprodukt zu bilden
1.4 das geformte Lithiumsilicatprodukt einer Wärmebehandlung bei einer Temperatur von etwa 700 bis 950°C für eine Dauer von etwa 5 bis 30 min unterworfen wird.
1.8.2 Bezüglich der ausreichenden Offenbarung des Gegenstands der Patentansprüche 1 bis 32 gemäß Hilfsantrag 1 bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale sowohl aus den Erstunterlagen (vgl. Ansprüche 14 und 15 i. V. m. Ansprüchen 8 bis 10 und 21 bis 52, Erstunterlagen Seite 8, erster vollständiger, dritter und vierter Absatz) wie auch aus der Patentschrift (vgl. Patentansprüche 1 bis 34) ableitbar sind bzw. diesen im Wortlaut entsprechen. Auch das Merkmal „Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase“ in Anspruch 1 ist aus den in Abschnitt II.1.6 genannten Gründen den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen.
1.8.3 Ein Ausgangspunkt zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe stellt für den Fachmann die Druckschrift D1 dar, die mit der Herstellung von geformten transluzenten Lithiumdisilicat-Glaskeramik-Dentalprodukten befasst ist. Die Produkte werden aus Rohlingen hergestellt, die insbesondere durch plastische Verformung unter Druck- und Wärmeeinwirkung oder spanende Bearbeitung und anschließender Wärmeeinwirkung zu geformten transluzenten Dentalprodukten mit hoher Festigkeit verarbeitet werden (vgl. D1, Patentansprüche 1, 13, 17 und 19, S. 2, Z. 3 bis 6). Die Rohlinge werden aus einer Schmelze eines Ausgangsglases erzeugt, das 57 bis 80 Gew.-% SiO2 und 11,0 bis 19,1 Gew.-% Li2O enthält, das in der gewünschten Weise geformt und abgekühlt wird, bevor es einer Wärmebehandlung bevorzugt zwischen 400 bis 900°C unterzogen wird (vgl. D1, Patentansprüche 1 und 4). Der Kristallinitätsgrad des eingesetzten Glaskeramik-Rohlings kann an die Art der gewünschten spanenden Bearbeitung angepasst werden. Im Falle einer „chair-side“ Behandlung liegt der Glasrohling noch nicht vollständig kristallisiert vor, sondern lediglich als keimhaltiger Glasrohling oder Glaskeramikrohling mit sehr kleinen Kristallen (vgl. D1, S. 4, Z. 64 bis S. 5, Z. 7). Nach der spanenden Bearbeitung wird das geformte Glaskeramik-Produkt mindestens einer weiteren Wärmebehandlung bei 700 bis 900°C unterzogen, um eine weitere Kristallisation und damit eine Verfestigung des Glaskeramik-Produkts zu erzielen, die u. a. die Bruchfestigkeit verbessert (vgl. D1, Patentanspruch 5, S. 5, Z. 8 bis 11). Gemäß Beispiel 22 wird der Rohling einer ersten Wärmebehandlung bei 650°C/1h unterworfen, bevor er durch Fräsen in die gewünschte Form der dentalen Restauration verarbeitet wird. Aufgrund der relativ geringen Festigkeit und Zähigkeit der Glaskeramik-Rohlinge ist die Verarbeitung einfach durchführbar und es treten weniger Ausbrüche auf. Zudem ist der Werkzeugverschleiß geringer. Die gefräste Restauration wird dann noch einer zweiten Wärmebehandlung bei 760°C/1h unterzogen, die zu einer weitergehenden Kristallisation und damit einer Änderung der Eigenschaften der Restauration führt (vgl. D1, S. 9 Z. 25 bis 67).
Für den Fachmann liegt es ausgehend von D1 nahe, sich auf der Suche nach verbesserten Glaskeramik-Materialien zunächst den auf dem Gebiet der dentalen Restaurationen bekannten Materialien zuzuwenden und diese auf Optimierungsmöglichkeiten hin zu überprüfen (vgl. BGH GRUR 2010, 607 – Fettsäurezusammensetzung). Hierbei ist es für ihn naheliegend, sich mit der Kristallinität des Rohlingsmaterials zu befassen, welche sich gemäß D1 maßgeblich auf die Verarbeitbarkeit auswirkt (vgl. D1, S. 4, Z. 57 bis S. 5, Z. 7). Dabei wird der Fachmann auf die D3 stoßen, einen Fachartikel, der sich mit dem Zusammenhang zwischen Festigkeit und Mikrostruktur von Lithiumdisilicat-Glaskeramiken beschäftigt (vgl. D3, S. 385 li. Sp. 1. Abs.). Aus der Publikation erfährt er, dass bei Wärmebehandlungstemperaturen zwischen 550 von 750°C Lithiummetasilicat, bei Temperaturen zwischen 750°C und 820°C Lithiummetasilicat neben Lithiumdisilicat und ab 820 bis 980°C ausschließlich Lithiumdisilicat gebildet wird. Mit der Bildung von Lithiumdisilicat korreliert zugleich ein sprunghafter Anstieg der Härte des Materials (vgl. D3, S. 390, spaltenübergr. Abs., Fig. 5). Nachdem aber ein zu hartes Material zu einem unerwünschten Verschleiß des Werkzeugs führt, wird sich der Fachmann somit einem Glaskeramik-Material für den Rohling zu wenden, das einen erhöhten Anteil an Lithiummetasilicat aufweist und damit gegenüber Lithiumdisilicat eine deutlich geringere Härte aufweist.
Anders als von der Patentinhaberin angenommen, hält den Fachmann die Tatsache, dass sich Risse in einer Glaskeramik mit Lithiummetasilicat gemäß D3 leicht ausbreiten (vgl. D3, S. 390 re. Sp. vorletzt. Abs., S. 391, 2. vollst. Abs.), nicht davon ab, sein Augenmerk auf ein solches Material zu richten. Denn in D3 wird auch angegeben, dass Lithiummetasilicat im Vergleich zum Ausgangsglas und Lithiumdisilicat einen größeren Expansionskoeffizienten hat, der maßgeblich für die Beständigkeit gegen Oberflächenbrüche ist (vgl. D3 S. 390/391 übergr. Abs.). Damit liefert D3 dem Fachmann eine konkrete Anregung dafür, die Kristallinität des Rohlings dahingehend zu steuern, dass Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase im Lithiumsilicatmaterial vorliegt. Denn dem Fachmann ist bekannt, dass mit der geringen Festigkeit des Materials ein geringer Werkzeugverschleiß und eine kürzere Verarbeitungszeit verbunden sind, wobei das Material dennoch für eine abrasive Verarbeitung, wie dem Fräsen, ausreichend stabil ist (vgl. D3, S. 391, li. Sp., vorletzt. Abs.).
Im Hinblick auf das weitere Merkmal 1.5, nach dem der maschinell bearbeitete Rohling einer zweiten Wärmebehandlung bei etwa 700 bis 950°C für eine Dauer von etwa 5 bis 30 min unterzogen wird, um die Lithiumdisilicat bestehende dentale Restauration zu erhalten, bedarf es keiner erfinderischen Überlegungen. Dem Fachmann ist aufgrund seines Fachwissens geläufig, dass für die Ausbildung von Lithiumdisilicat ein Temperaturprofil von 920°C/5–15 min bzw. von 910°C/15 min bei der Anwendung von Heißpressverfahren bzw. von 760°C/1h bei spanenden Formgebungsverfahren üblich ist (vgl. D11, S. 81, 3. Spiegelstrich; vgl. D1, S. 8, Z. 28, S. 9, Z. 65). Ausgehend von diesen Eckdaten bedurfte es für den Fachmann keines erfinderischen Zutuns, um im Rahmen von routinemäßigen Optimierungsversuchen ein Temperaturprofil entsprechend Merkmal 1.5 festzulegen.
Der Senat teilt die Auffassung der Patentinhaberin nicht, in D3 sei lediglich eine Musterzusammensetzung getestet worden und die Ergebnisse folglich nicht verallgemeinerbar, weil für den Erhalt von Lithiummetasilicat bzw. Lithiumdisilicat zum einen das Verhältnis von Li2O zu SiO2 und zum anderen das gewählte Temperaturprofil als maßgeblich angesehen werden müsse, wie Beispiel I-16 belege, bei dem nach einer Keimbildungsphase direkt Lithiumdisilicat erhalten werde. Gemäß den Beispielen I-4 bis I-22 aus Tabelle III, die alle einer identischen ersten Wärmebehandlung für die Keimbildung mit 645°C/1h ausgesetzt waren, wurde je nach dem gewählten Temperaturprofil der zweiten Wärmebehandlung entweder nur Lithiummetasilicat, eine Mischung von Lithiummetasilicat und Lithiumdisilicat oder nur Lithiumdisilicat erhalten (vgl. D3, S. 385, Tab. I, S. 386 Tab. III). Aus diesen Ergebnissen wird in D3 geschlossen, dass das thermodynamisch instabile Lithiummetasilicat kinetisch bevorzugt gebildet wird und eine Zwischenphase bei der Bildung von LithiumDisilicat darstellt (vgl. D3, S. 387, li. Sp. letzt. Abs. bis re. Sp. 2. vollst. Abs.). Der Patentinhaberin ist zwar insoweit zuzustimmen, als in D3 eine spezielle Zusammensetzung gewählt wurde, die nach der zweiten Wärmebehandlung bevorzugt nur eine einzige kristalline Phase ausbilden sollte (vgl. D3, S. 385, li. Sp. vorletzt. Abs.). Allerdings ist dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens bekannt, dass grundsätzlich bestimmte Mengenverhältnisse von Siliziumdioxid zu Lithiumoxid einzuhalten sind, um die gewünschten Silicatkristallphasen zu erhalten (vgl. D8, S. 579 bis 581, Kap. „(ii) Lithium disilicate glass ceramics“; D11 S. 75, Fig. 2-1, S. 78 erster Spiegelpunkt). Folglich sind die Ergebnisse der D3 vor dem Hintergrund des Fachwissens verallgemeinerbar.
Nach alledem fehlt es der Verwendung nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
1.9 Das vorstehend Gesagte gilt im Übrigen auch für den nicht ausdrücklich verteidigten, nebengeordneten Patentanspruch 6 gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag 1, der auf die Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in Form eines Lithiumsilicatglases zur Herstellung einer dentalen Restauration gerichtet ist, das für die Bildung von Lithiummetasilicat geeignete Keime enthält, und dessen wesentliche Merkmale mit denen des jeweiligen Patentanspruchs 1 übereinstimmen.
1.10 Die jeweils abhängigen Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 34 nach Hauptantrag und die jeweils abhängigen Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 32 nach Hilfsantrag 1 beschreiben weitere Ausführungsformen der Verwendung des jeweiligen Patentanspruchs 1 bzw. 6, für die ein eigener erfinderischer Überschuss seitens des Senats nicht erkennbar ist und auch von der Patentinhaberin nicht geltend gemacht wurde. Sie teilen daher das Schicksal der jeweiligen Verwendungsansprüche 1 und 6.
2. Im Umfang der von der Patentabteilung in dem angefochtenen Beschluss aufrechterhaltenen Fassung (Hilfsantrag 2) erweist sich das Streitpatent dagegen als bestandskräftig.
2.1 Patentanspruch 1 von Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom erteilten Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass das Wort „eine“ nach „…der Lithiummetasilicat als“ und die Wortfolge „und im Wesentlichen frei von La2O3 ist,“ gestrichen und zusätzlich die folgenden Merkmale aufgenommen worden sind:
„1.3‘ wobei der Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase durch maschinelle Verarbeitung oder durch Heißpressen zu einer gewünschten Geometrie geformt wird, um eine dentale Restauration zu bilden,
1.4‘ und wobei der Lithiumsilicatrohling nach einem Verfahren herstellbar ist, bei dem:
(a) eine Schmelze eines Ausgangsglases gebildet wird, die die Anfangskomponenten SiO2, Li2O, K2O, Al2O3 und P2O5 als Hauptkomponenten, aber kein La2O3 enthält,
(b) die Schmelze des Ausgangsglases in eine Form gegossen wird, um einen Ausgangsrohling zu bilden, und der Glasrohling auf Raumtemperatur abgekühlt wird,
(c) der Ausgangsglasrohling einer ersten Wärmebehandlung bei einer ersten Temperatur unterworfen wird, um ein Glasprodukt zu ergeben, welches Keime enthält, die für die Bildung von Lithiummetasilicatkristallen geeignet sind, und
(d) das Glasprodukt aus Stufe c) einer zweiten Wärmebehandlung bei einer zweiten Temperatur unterworfen wird, die höher als die erste Temperatur ist, um den Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicatkristallen als Hauptkristallphase zu erhalten.“
2.2 Bezüglich der ausreichenden Offenbarung des Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 30 gemäß Hilfsantrag 2 bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale sowohl aus den Erstunterlagen (vgl. Ansprüche 3, 5, 14 bis 16 und 23; S. 16 letzt. Abs. bis S. 17, 2. Abs. der ursprünglich eingereichten Beschreibung) als auch aus der Patentschrift (vgl. Patentansprüche 1 und 13, sowie Beschreibung S. 5, Abs. [0028], S. 14 und 15, Bsp. Nr. 1 bis 11 und 14) ableitbar sind. Das Merkmal „Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase“ in Anspruch 1 ist dabei aus den in Abschnitt II.1.6 genannten Gründen den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen.
Entgegen der Auffassung der Einsprechenden führt die Aufnahme des Merkmals „aber kein La2O3“ auch nicht zur Beanspruchung eines Aliud. In den ursprünglichen Unterlagen wird gemäß Anspruch 5 ein Lithiumsilicatmaterial mit 0 bis 7,5 Gew.-% färbenden und fluoreszierenden Metalloxiden beansprucht, so dass Anspruch 5 folglich auch ein Lithiumsilicatmaterial ohne Metalloxide umfasst. Bei diesen Metalloxiden handelt es sich laut der ursprünglichen Beschreibung u. a. um Lanthanoxid (vgl. Erstunterlagen Beschreibung S. 6, dritt. letzt. Abs.). Lanthanoxid-freie Lithiumsilicatmaterialien werden zudem in den ursprünglichen Ausführungsbeispielen Nr. 1 bis 11 und 14 offenbart. Die entsprechenden Beispiele finden sich gleichfalls in der Streitpatentschrift. Somit wird durch die Aufnahme des Merkmals „aber kein La2O3“ keine Lehre beansprucht, die den ursprünglichen Anmeldeunterlagen bzw. der Patentschrift nicht zu entnehmen wäre (vgl. hierzu BGH GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum; BGH GRUR 2012, 1133 – UV-unempfindliche Druckplatte). Vielmehr sind Lithiumsilicatmaterialien, die kein Lanthanoxid aufweisen, im Gesamtzusammenhang der Unterlagen als eine zur angemeldeten Erfindung gehörende Ausführungsform erkennbar.
Nachdem das Merkmal „aber kein La2O3“ sowohl in den ursprünglich eingereichten Unterlagen wie auch in der Streitpatentschrift als zur Erfindung gehörend offenbart ist, handelt es sich um eine zulässige Beschränkung im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung.
2.3 Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist auch so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Für einen ausreichenden Umfang der Ausführbarkeit muss eine Erfindung nicht buchstabengetreu realisierbar sein. Eine ausreichende Offenbarung ist vielmehr auch dann gegeben, wenn ein Fachmann das erfindungsgemäße Ziel anhand der Offenbarung zuverlässig in praktisch ausreichendem Maße mit zumutbarem Aufwand erfolgreich herbeiführen kann (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 10. Aufl., § 34, Rdn. 350, m. w. N.). Zur Erzielung des streitpatentgemäßen Ergebnisses, nämlich einen Rohling aus einem Lithiumsilicatmaterial bereitzustellen, das als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat aufweist, werden dem Fachmann durch das Streitpatent ausreichend Informationen gegeben, um ein solchen Rohling in die Hand zu bekommen.
Ausgehend von den Anfangskomponenten SiO2, Li2O, K2O, Al2O3 und P2O5 wird ein Ausgangsglas mit diesen Hauptkomponenten in Schritt a) hergestellt, wobei unter dem Begriff „Hauptkomponenten“ laut Streitpatent die zwingend für die Herstellung der Glasschmelze erforderlichen Ausgangskomponenten zu verstehen sind (vgl. Streitpatentschrift S. 3, [0014] i. V. m. [0015]). Die einzusetzenden Mengen der Ausgangskomponenten werden im Anspruch zwar nicht angegeben, der Fachmann erfährt sie jedoch aus der Beschreibung und aus den Ausführungsbeispielen (vgl. Streitpatentschrift S. 3, [0014], S. 14/15, Tab. III, Beispiele 1, 3, 4, 6, 7, 9 und 10). Im Hinblick auf die Abkühlung der Ausgangsglasschmelze auf Raumtemperatur in Schritt b) kann der Fachmann der Streitpatentschrift entnehmen, dass die Abkühlung in kontrollierter Weise durchgeführt wird, um eine Entspannung zu gestatten. Die kontrollierte Abkühlung, wird durch Eingießen der Schmelze in bspw. auf 300 bzw. 400°C erwärmte Formen und einer langsamen Abkühlung in einem Ofen bewirkt (vgl. Streitpatentschrift S. 6, [0033], S. 10, [0078]). Unter dem Begriff „Raumtemperatur“ versteht der Fachmann eine Temperatur von ca. 20°C (vgl. gutachterlich Römpp-Lexikon Chemie, 1999, 9. Aufl., Georg Thieme Verlag, Stuttgart, Stichwort „Zimmertemperatur (Raumtemperatur)“). Für die erste und zweite Erwärmung nach den Schritten c) und d) erhält der Fachmann zwar mit Patentanspruch 1 keine genauen Vorgaben, allerdings finden sich in der Beschreibung und insbesondere in den Ausführungsbeispielen präzise Temperaturbereiche und Zeitfenster, die für die Keimbildung in Schritt c) und für die Kristallisation in Schritt d) einzuhalten sind, damit ein Lithiumsilicatmaterial mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase erhalten wird. Für die Keimbildung werden Temperaturen von 450 bis 550°C für eine Dauer von 5 min bis 1 Std. und für die Kristallisation Temperaturen von 600 bis 700°C für eine Dauer von 10 bis 30 min angegeben (vgl. Streitpatentschrift, S. 6, [0034–0036]). Ferner wird in der Streitpatentschrift ein beispielhaftes Temperaturzeitprofil für die Schritte a) bis d) benannt (vgl. Streitpatentschrift, Fig. 1). Somit werden dem Fachmann ausreichend Verfahrensparameter vorgegeben, die es ihm erlauben, einen Rohling mit einem Lithiumsilicatmaterial bereitzustellen, das Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase enthält.
Folglich bedarf es – entgegen der Ansicht der Einsprechenden – keines Forschungsprojekts zur Ermittlung geeigneter Zusammensetzungen und Temperatur-Zeit-Profile, um die patentgemäßen Rohlinge in die Hand zu bekommen. Aufgrund der vorgegebenen Daten übersteigen die hierfür erforderlichen Versuche keinesfalls eine übliche Optimierungstätigkeit, wie sie dem Fachmann im Rahmen seiner Routinetätigkeit zumutbar sind (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 10. Aufl. § 34, Rn. 355, 358b) i. V. m. 414). Die von der Einsprechenden vorgelegten Nacharbeitungen des Beispiels 13 des Streitpatents gemäß den Anlagenkonvoluten D16, D19 und D21B sind schon deshalb nicht dazu geeignet, dies in Frage zu stellen, weil Beispiel 13 keine Lanthanoxid-freie Zusammensetzung betrifft.
Das Streitpatent vermittelt dem fachmännischen Leser damit so viel an technischer Information, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen.
2.4 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu. Keiner der genannten Entgegenhaltungen kann die Verwendung eines Rohlings aus Lithiumsilicatmaterial für die Herstellung einer dentalen Restauration entnommen werden, dessen Material kein La2O3 enthält und als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat aufweist.
Die in D1 offenbarten Lithiumsilicatmaterialien unterscheiden sich von den patentgemäß verwendeten Materialien bereits darin, dass sie zwingend Lanthanoxid enthalten (vgl. D1, Patentanspruch 1, S. 4, Z. 57 bis 62, S. 5, Z. 24 bis 26).
Die D2 betrifft allgemein ein Verfahren zur Herstellung von Glaskeramiken (vgl. Patentansprüche 1 bis 6). Die Verwendung dieser Materialien zur Herstellung von dentalen Restaurationen wird aber in D2 nicht beschrieben.
In der Entgegenhaltung D4 wird ein Lanthanoxid-freies Lithiumsilicatmaterial für die Herstellung von dentalen Kronen und Brücken beschrieben, dessen Kristallphase aus Lithiumdisilicat besteht (vgl. D4, Patentansprüche 1 bis 4). Die Verwendung eines Rohlings, der als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat zur Herstellung von dentalen Restaurationen enthält, kann der D4 dagegen nicht entnommen werden.
Der Einwand, bei dem Kontrollbeispiel 3 der D4 würde nach den ersten zwei Wärmebehandlungen bei 500°C und 550°C für jeweils 2,5 Stunden ein Rohling aus einem Lithiumsilicatmaterial mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase erhalten werden, geht fehl. Denn in D4 wird dieses Material nicht als Rohling einer maschinellen Verarbeitung unterzogen, bevor es in einer dritten Wärmebehandlung bei 740°C zu Disilicat gesintert wird (vgl. D4, Sp. 2, Z. 64 bis Sp. 3, Z. 17, Sp. 4, Z. 7 bis 13, Tab. III, Beispiel: Control 3).
Die Entgegenhaltung D7 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von dentalen Lithiumdisilicatprodukten, bei dem ein Lanthanoxid-freies Ausgangsglas basierend auf SiO2, Li2O, K2O, Al2O3 und P2O5 bei Temperaturen zwischen 1200 bis 1600°C erzeugt wird. Das geschmolzene Glas wird zu einem Rohling geformt, der bei Temperaturen von 300 bis 600°C für 15 Minuten bis 8 Stunden wärmebehandelt wird. Der Glasrohling wird im Anschluss einer oder mehreren Wärmebehandlungen bei Temperaturen zwischen 400 bis 1100°C unterzogen, um den Rohling in einen Disilicat-Glaskeramikrohling umzuwandeln (vgl. D7, Patentansprüche 1, 5 bis 11 und 16, S. 3 Tabelle 1, S. 7, Tabelle 5). Dieser Disilicatrohling wird dann maschinell zu entsprechenden dentalen Restaurationen weiterverarbeitet (vgl. D7, Patentanspruch 12, S. 4, [0036]). Damit unterscheidet sich die Lehre der D7 von der patentgemäßen Verwendung darin, dass kein Lithiumsilicatrohling mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase zu einer dentalen Restauration maschinell verarbeitet wird.
Der Einwand, dass aufgrund der Temperaturbehandlung gemäß Absatz [0012] auf Seite 2 der D7 nach dem ersten Schritt der Wärmebehandlung Lithiummetasilicat erhalten werde, kann nicht überzeugen. Denn dieses Material wird nicht als Rohling maschinell zu dentalen Restaurationen verarbeitet, sondern sofort einer zweiten Temperaturbehandlung unterzogen, die aufgrund der hohen Temperatur zur Bildung von Lithiumdisilicat führt. Eine maschinelle Bearbeitung des Rohlings erfolgt gemäß D7 erst nach der zweiten Wärmebehandlung (vgl. D7 S. 3 [0029], S. 4, [0036]).
Das Dokument D13 beschreibt dentale Restaurationen, die aus einer Glaskeramik geformt werden, die sich während der Wärmebehandlung nicht verformt und die eine Zusammensetzung basierend auf SiO2, Li2O, K2O, Al2O3 und P2O5 enthält (vgl. D13,Patentansprüche 1 und 4, S. 3, [0054], S. 16, Bsp. 26 i. V. m. S. 7, Tabelle IV). Die Herstellung der dentalen Restauration erfolgt gemäß Beispiel 26 durch Heißpressen (vgl. D13, S. 16, Bsp. 26 i. V. m. S. 9, [0155] bis S. 10, [0162], S. 11/12 Bsp. 6). Im Anschluss wird das dentale Produkt gemäß folgendem Temperatur-Zeit-Profil wärmebehandelt (vgl. D13, S. 16, Tabelle VIII):
Somit liegt nach den ersten zwei Wärmebehandlungsschritten zwar ein Lithiumsilicatrohlings vor, jedoch kann D13 nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass dieser als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat enthält.
Dem Argument, dass aufgrund der Temperaturen der ersten zwei Wärmebehandlungsschritte zwingend Metasilicat vorliegen müsse, wie D8 und D9 belegen würden, ist nicht zu folgen. Aus D8 kann lediglich abgeleitet werden, dass in Abhängigkeit von Ausgangskomponenten und dem Temperaturprofil Lithiummetasilicat allein bzw. im Gemisch mit Lithiumdisilicat gebildet wird (vgl. D8 S. 579, letzt. Abs. bis S. 581, 2. Abs.). Die D9 hingegen betrifft Zahnrestaurierungsmittel, die aus einem Lithiumsilicatmaterial gebildet werden, das bei 520°C für 4 Stunden (Keimbildung) wärmebehandelt wird, bevor es für 0,5 bis 2 Stunden bei 620°C (Kristallwachstum) getempert wird (vgl. D9, S. 22, 2. Abs.). Die Zusammensetzung der Kristallphase wird in D9 jedoch nicht erwähnt. Für die Bildung von Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase ist aber nicht allein das Temperaturprofil ausschlaggebend, sondern auch das Molverhältnis der Ausgangskomponenten SiO2 und Li2O (vgl. D11, S. 78, erster Spiegelpunkt). Nachdem die Ausgangsmengen mit 78,5 Gew.-% SiO2 und 10,5 Gew.-% Li2O von den streitpatentgemäßen Mengen der Ausgangskomponenten deutlich abweichen und im Bereich für die Disilicatbildung liegen (vgl. D13 S. 7, Tabelle IV Nr. 18 vs. Streitpatentschrift S. 3, [0014] vs. D11, S. 75, Fig. 2-1), kann nicht angenommen werden, dass ein Material mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase gebildet wird. Folglich führt auch die Berücksichtigung des Fachwissens gemäß D8 und D9 nicht dazu, dass sich der D13 unmittelbar und eindeutig entnehmen ließe, dass ein Rohling mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase nach den ersten zwei Wärmebehandlungen vorliegt.
Auch in keiner der sonstigen, dem Senat vorliegenden Entgegenhaltungen wird die patentgemäße Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials in allen beanspruchten Einzelheiten beschrieben.
2.5 Die Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.5.1 Ein möglicher Ausgangspunkt zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe stellt die Lehre der D1 dar. Aus D1 ist dem Fachmann ein Verfahren zur Herstellung von geformten transluzenten Lithiumdisilicat-Glaskeramik-Produkten für dentale Restaurationen bekannt, das von einer Schmelze eines Ausgangsglases basierend auf den folgenden Komponenten
ausgeht (vgl. D1, Patentanspruch 1).
Durch die Verwendung von Lanthanoxid und ggf. Aluminiumoxid werden bei der Weiterverarbeitung unangemessen hohe Reaktionen mit der verwendeten Einbettmasse, ein ungenügendes Fließverhalten und ein unkontrolliertes Kristallwachstum vermieden (vgl. D1, S. 4, Z. 57 bis 63). Ferner können als weitere Ausgangskomponenten u. a. noch P2O5 und K2O eingesetzt werden (vgl. D1, Patentanspruch 9). Die Schmelze des Ausgangsglases wird in der gewünschten Weise geformt und abgekühlt. Im Anschluss wird das geformte Glasprodukt mindestens einer Wärmebehandlung im Temperaturbereich von 400 bis 1100°C unterzogen, um ein als Rohling geformtes Glaskeramik-Produkt zu erhalten (vgl. D1, Patentansprüche 1 und 13). Die Glaskeramikprodukte zeichnen sich durch einen geringen Kristallisationsgrad aus, der eine einfache maschinelle Bearbeitung der Rohlinge erlaubt. Durch eine anschließende Wärmebehandlung werden die Rohlinge zu hochfestem Lithiumdisilicat-Glaskeramik-Produkten umgewandelt (vgl. D1, Patentansprüche 2 bis 6, S. 2, Z. 50 bis 56, S. 4, Z. 64 bis S. 5, Z. 11). Glaskeramiken mit diesen Eigenschaften wecken zweifelsohne das Interesse des Fachmanns, der auf der Suche nach leichtformbaren Glaskeramikmaterialien ist. Die Kombination von D1 mit dem in D8 und D11 dokumentieren Fachwissen führt aber nicht in naheliegender Weise zur Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials des geltenden Patentanspruchs 1. Aus D8 und D11 ist zwar bekannt, dass die Herstellung von Lithiumdisilicat über die Zwischenkristallphase Lithiummetasilicat bei Aluminiumoxid-haltigen Glaskeramiken erfolgt, wobei das Metasilicat bei Temperaturen von 580°C bzw. 589°C und das Disilicat bei Temperaturen von 769°C bzw. 780°C gebildet werden (vgl. D8, S. 580 Tab. 1, S. 579/580 seitenübergr. Abs., S. 580, 2. Abs. und D11, S. 82, letzt. Spiegelpunkt i. V. m. Fig. 2-2). Wenn der Fachmann aber bei Beispiel 22 der D1 die Kenntnisse der D8 bzw. D11 hinsichtlich der Phasenbildung zugrunde legt, gelangt er lediglich zu der Erkenntnis, dass bei dem Rohling der D1 Lithiumsilicatmaterial mit Lithiummetasilicat als Kristallphase vorliegt. Eine Veranlassung, das Lanthanoxid in der Ausgangsglaszusammensetzung der D1 wegzulassen, bestand für den Fachmann in Kenntnis von D1 und D8 bzw. D1 und D11 schon deshalb nicht, weil sowohl in D1 wie auch in D8 bzw. D11 darauf hingewiesen wird, dass der Zusatz von Lanthanoxid dem Lithiumsilicatmaterial eine besondere Temperaturstandfestigkeit verleiht und die Reaktion mit dem Einbettmaterial reduziert sowie ein unkontrolliertes Kristallwachstum verhindert (vgl. D1, S. 4, Z. 57 bis 63, S. 5, Z. 24–26; vgl. D8, S. 581, 2. vollst. Abs. i. V. m. S. 580, Tab. 1; vgl. auch D11, S. 81, 2. Abs.). Demgemäß lag für den Fachmann eine Verwendung eines Lithiumsilicatmaterials mit den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 auch in Kenntnis dieses Standes der Technik nicht auf der Hand.
Entgegen der Auffassung der Einsprechenden kann der D1 nicht entnommen werden, dass anstelle von Lanthanoxid wahlweise Aluminiumoxid verwendet werden kann. Vielmehr gibt die D1 an, dass Aluminiumoxid zusätzlich zu Lanthanoxid eingesetzt werden kann (vgl. D1, S. 4, Z. 57 bis 61).
Ebenso wenig kann das Argument überzeugen, dass es für den Fachmann nahegelegen habe, kein Lanthanoxid zu verwenden, da ihm bekannt gewesen sei, dass sich die Materialien auch ohne Lanthanoxid immer noch gut verarbeiten ließen. In D11 wird zwar Lanthanoxid nur in Zusammenhang mit dem hot press-Verfahren genannt (vgl. D11 S. 81, 2. Abs.). Ein solche Verarbeitung ist aber nach dem geltenden Anspruch 1 gleichfalls vorgesehen, so dass auch der Hinweis auf die Lanthanoxid-freien Materialien in D11 (vgl. D11, S. 79, Tab. 2-1) den Fachmann nicht dazu anregt, auf die durch Lanthanoxid-Zusatz bedingten vorteilhaften Eigenschaften zu verzichten.
2.5.2 Auch ausgehend von der D3 gelangt der Fachmann nicht zu einer Verwendung eines Rohlings zur Herstellung von dentalen Restaurationen, der aus einem Lanthanoxid-freien Lithiumsilicatmaterial besteht, das als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat aufweist. Denn bei der Entgegenhaltung D3 handelt es sich um eine wissenschaftliche Publikation, die den Zusammenhang zwischen Festigkeit und Mikrostruktur von Lithiumdisilicat-Glaskeramiken betrachtet. Der Artikel hat aber keinerlei Bezug zu dentalen Restaurationen (vgl. D3, S. 385, Titel, li. Sp. Zusammenfassung). Damit mögen aus D3 zwar Glaskeramiken mit Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase bekannt sein, die aus einer Lanthanoxid-freien Ausgangsschmelze umfassend SiO2, Al2O3, Li2O, K2O und P2O5 durch eine entsprechende zweistufige Temperaturbehandlung bei niedrigen Wachstumstemperaturen erhalten werden (vgl. D3, S. 385, Tab. I und S. 386, Tab. III, Einträge I-3 bis I-6, I-8, I-9, S. 390, Fig. 5). Diese Druckschrift bietet dem Fachmann jedoch keinen Anlass, solche Materialien für Rohlinge bei dentalen Restaurationen in Erwägung zu ziehen. Der fehlende Anlass kann auch nicht durch die Berücksichtigung der Druckschrift D11 vermittelt werden, die Glaskeramiken von Alkali- und Erdalkalimetallsilicaten, insbesondere Lithiumdisilicate betrifft. Denn der D11 kann der Fachmann nur allgemein entnehmen, dass für die Anwendung von Lithiumdisilicatmaterialien zur Herstellung von dentalen Restaurationen Aluminiumoxid und Kaliumoxid als weitere Zusätze beigefügt werden, um dem Material eine höhere Durabilität zu verleihen (vgl. D11, S. 75, Abs. 2.1.1., S. 76, letzt. Abs.). In Tabelle 2-1 auf Seite 79 der D11 wird zwar eine zu D3 identische Glaskeramik-Zusammensetzung basierend auf SiO2, Al2O3, Li2O, K2O und P2O5 genannt, allerdings besteht dessen Kristallphase aus Lithiumdisilicat. Zudem wird in D11 darauf hingewiesen, dass Lanthanoxid die viskosen Eigenschaften des Lithiumsilicatmaterials für die Formgebung durch Heißpressen verbessert, wie sie nach geltendem Anspruch 1 angewandt wird. Somit wird der Fachmann nicht dazu angeregt, Lanthanoxid in der Ausgangsglaszusammensetzung zu vermeiden und einen Rohling mit einem Lithiummetasilicat als Hauptkristallphase in Betracht zu ziehen. Folglich wird der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 durch die Kombination der Druckschriften D3 mit D11 nicht nahe gelegt.
2.5.3 Die Berücksichtigung der D8 anstelle von D11 führt gleichfalls nicht zu der streitpatentgemäßen Verwendung nach dem geltenden Patentanspruch 1. In D8 wird die Kontrolle des Kristallkeimwachstums in Glaskeramiken für dentale Anwendungen betrachtet, welches maßgeblich für die Entwicklung der kristallinen Phase und der resultierenden Materialeigenschaften der Glaskeramik ist (vgl. D8, S. 575, Titel und Abstract). Die Bildung von Lithiummetasilicat als Zwischenphase bei der Herstellung von Lithiumdisilicat-Glaskeramiken hängt zum einen von dem Temperaturprofil und zum anderen von der Zusammensetzung des Ausgangsglases ab. Im Falle von Aluminiumoxid-freien Ausgangsgläsern liegen bei tiefen Temperaturen (500°C) sowohl eine Disilicat- wie auch eine Metasilicatkristallphase vor, während bei einem Aluminiumoxid- und Lanthanoxid-haltigen Glas bei 580°C ausschließlich Lithiummetasilicat gebildet wird (vgl. D8, S. 579 bis 581, Abs. „(ii) Lithium disilicate glass ceramic“). Diese Informationen geben dem Fachmann somit keine Hinweise in Richtung eines Rohlings aus einem Lanthanoxid-freien Lithiumsilicatmaterial, das als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat aufweist.
2.5.4 Die D7 stellt keinen weiteren möglichen Ausgangspunkt dar. Aus D7 sind dem Fachmann zwar La2O3-freie Lithiumsilicatmaterialien für Rohlinge bekannt, die sich zur Herstellung von dentalen Restaurationen eignen (vgl. D7, Patentansprüche 1 bis 4 und 16). Für die Herstellung der Rohlinge wird dabei eine Schmelze eines Ausgangsglases, das auf den essentiellen Komponenten SiO2, Al2O3, Li2O, K2O und P2O5 basiert, in eine Form gegossen bzw. pelletiert (vgl. D7, Patentanspruch 17, S. 2, [0022], S. 3, [0027], S. 3/4, [0031], S. 4, [0033]). Im Anschluss werden die Rohlinge einer zweistufigen Wärmebehandlung unterzogen, wobei in der ersten bei Temperaturen zwischen 500 bis 650°C die Keimbildung und in der zweiten Stufe bei Temperaturen zwischen 830 bis 930°C die Kristallisation stattfinden (vgl. D7, Patentansprüche 9 und 10, S. 3, [0028], S. 4, [0036 und 0037]). Allerdings bestehen die wärmebehandelten Rohlinge aus einer Glaskeramik, die aus einer Glasmatrix und Lithiumdisilicat gebildet wird. Laut der Lehre der D7 werden die besten Materialeigenschaften mit einer Glaskeramik erhalten, die nahezu kein Lithiummetasilicat in der Glaskeramik aufweist. Die Rohlinge werden durch Heißpressen oder maschinelle Verarbeitung zur gewünschten Geometrie der dentalen Restauration geformt (vgl. D7, S. 3, [0029], S. 3/4, [0031], S. 4, [0037]). Diese Informationen veranlassen den Fachmann aber nicht dazu eine dahingehende stoffliche Veränderung im Lithiumsilicatmaterial des Rohlings der D7 vorzunehmen, dass dieses als Hauptkristallphase Lithiummetasilicat enthält.
2.5.5 Die Entgegenhaltung der D4 bietet ebenfalls keinen Ausgangspunkt für den Fachmann, die streitpatentgemäße Lösung in Betracht zu ziehen. Denn in der D4 werden Ausgangsgläser für die Bereitstellung von dentalen Restaurationen verwendet, die kein Kaliumoxid enthalten und als Hauptkristallphase Lithiumdisilicat aufweisen (vgl. D4, Patentansprüche 1 bis 4, Sp. 1, Tabelle, Einträge zu „Preferred Mole %“, Sp. 2, Z. 32 bis 38, Sp. 3, Tab. I, Beispiel 1). Zu keiner anderen Sichtweise führt die Berücksichtigung des in D4 angegebenen Kontrollbeispiels 3, dessen Ausgangsglas Kaliumoxid enthält, damit es weicher und entspannter ist (vgl. D4, Sp. 3, Tab. I und Z. 45 bis 47). Das Ausgangsglas gemäß Kontrollbeispiel 3 wird einer dreistufigen Wärmebehandlung bei 500°C, 550°C und 740°C unterzogen, so dass aufgrund des Temperaturprofils davon ausgegangen werden muss, dass auch diese Glaskeramik Lithiumdisilicat enthält (vgl. D4, Sp. 4, Tab. III, „Control 3“).
Entgegen der Argumentation der Einsprechenden, zieht der Fachmann mit der Lehre der D4 keine Bearbeitung des Rohlings des Kontrollbeispiels 3 nach der zweiten Wärmebehandlung in Betracht. Denn in der Druckschrift finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verarbeitung vor Abschluss der Temperung erfolgen kann.
2.5.6 Auch die Druckschrift D12 stellt keinen geeigneten Ausgangspunkt dar. Denn die Lehre der D12 betrifft die Bereitstellung von Glaskeramiken für Halbleiter (vgl. D12, Sp. 2, Z. 47 bis Sp. 3, Z. 14) und liegt damit auf einem völlig anderen technischen Fachgebiet, das der Fachmann nicht als Ausgangspunkt für seine Überlegungen in Erwägung gezogen hätte.
2.5.7 Folglich konnte der Fachmann weder ausgehend von D1 bzw. D3 selbst unter Berücksichtigung der Druckschriften D8 bzw. D11, noch ausgehend von D4, D7 oder D12 zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent gelangen.
2.5.8 Die weiteren dem Senat vorliegenden Druckschriften enthalten ebenfalls keine Anhaltpunkte, welche die Patenfähigkeit der Verwendung gemäß Anspruch 1 in der durch den angefochtenen Beschluss aufrechterhaltenen Fassung in Frage stellen könnten.
2.6 Gleichfalls patentfähig sind die Verwendungen gemäß den Patentansprüchen 2 bis 30, die weitere Ausführungsformen der Verwendung nach Patentanspruch 1 betreffen.
III.
Für die angeregte Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 100 Abs. 2 PatG. Zum einen war weder über einen auf eine implizite Offenbarung gestützten Neuheitseinwand zu entscheiden, der durch eine nicht-identische Nacharbeitung nachgewiesen werden sollte (vgl. unter Punkt II.1.7.3), noch über einen nicht-ursprungsoffenbarten Disclaimer (vgl. unter Punkt II.2.2). Damit fehlt es bei den von den Parteien vorgelegten Fragen bereits an deren Entscheidungserheblichkeit, die für die Zulassung der Rechtsbeschwerde aber zwingend erforderlich ist (vgl. hierzu Schulte/Voß, PatG, 10. Aufl., § 100, Rdn. 16). Auch sonst sieht der Senat die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Rechtsfrage bzw. der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht als gegeben an, da die vorliegende Entscheidung ausschließlich auf tatrichterlicher Beurteilung sowie der Anwendung gefestigter Rechtsprechungsgrundsätze beruht.