Entscheidungsdatum: 19.09.2017
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 101 22 175
…
…
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Maksymiw, der Richter Schell und Dr. Jäger, sowie der Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
1. Auf die Beschwerden der Einsprechenden wird der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2011 aufgehoben.
2. Das Patent 101 22 175 wird widerrufen.
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juli 2011 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 101 22 175 mit der Bezeichnung
„Verfahren zum Herstellen von langnachleuchtenden Sicherheitsschildern“
in vollem Umfang aufrechterhalten.
Dem Beschluss liegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 7 zugrunde, von denen der Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
Die Aufrechterhaltung des Patents wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Änderung des ursprünglich genannten Begriffs „UV-Bindemittel“ in „UV-härtbares Bindemittel“ zu keiner Erweiterung des Schutzumfangs führe, da es sich bei einem UV-Bindemittel per se um ein Bindemittel handele, das durch UV-Strahlung aushärte.
Das beanspruchte Verfahren sei auch ausführbar, denn dem Fachmann werde mit der Bezeichnung „Acrylat“ im Zusammenhang mit dem spezifisch vorgegebenen Härter und den Verfahrensschritten des Aushärtens durch UV-Strahlung und Wärmeforcieren ausreichend Informationen zur Wahl der entsprechenden Acrylate an die Hand gegeben.
Ebenso sei für die zu verwendenden Pigmente eine ausreichende Offenbarung gegeben, da der Fachmann aus der Offenlegungsschrift DE 101 22 175 A1, welche damit zum Stand der Technik zähle, geeignete Pigmente entnehmen könne.
Das patentgemäße Verfahren zum Herstellen von langnachleuchtenden Sicherheitsschildern beruhe gegenüber der Kombination der Druckschriften
(1) DE 198 46 552 A1 und
(2) H. Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Verlag W.A. Colomb, Berlin, 1979, Band VII, Seiten 238 bis 251 und 268 bis 273
bzw. der Kombination der Dokumente
(4) Datenblatt UV-Siebdruckfarbe Ultrapack UVK/UVK-LV aus 10/95,
(5) Datenblatt UV-Siebdruckfarbe Ultrapack UVPK aus 02/99 und
(6) Sicherheitsdatenblatt Haftungsverbesserer UV-HV 5 vom 17.10.1995
mit (2) auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Denn der Fachmann erhalte damit keine Hinweise in Richtung eines Verfahrens zur Herstellung von Sicherheitsschildern, bei dem ein UV-Lacksystem in Kombination mit einem Härter verwendet werde, wobei die Härtung des Lacksystems in zwei Stufen erfolge.
Gegen diesen Beschluss haben die beiden Einsprechenden Beschwerde eingelegt. Sie machen geltend, dass die Änderung des Begriffs „UV-Bindemittel“ in „UV-härtbares Bindemittel“ zu einer unzulässigen Erweiterung führe, da wie Ablichtung
(15) P.G. Garratt, Strahlenhärtung, Curt R. Vincentz Verlag, Hannover, 1996, Seiten 70 bis 77 und 118 bis 119
belege, der Fachmann unter einem UV-Bindemittel ein Härter-freies Bindemittelsystem verstehe.
Der Fachmann sei aufgrund des unbestimmten Begriffs „Acrylat“ auch nicht in der Lage die patentgemäße Lehre nachzuarbeiten. Er würde zwar erkennen, wie
(16) H. Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 2, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 1998, Seiten 394 bis 397 und 406 bis 407
belege, dass aufgrund des Diisocyanat-haltigen Härters das Acrylat freie Hydroxygruppen aufweisen müsste, damit eine härtende Reaktion eintreten könne. Darüber hinaus käme er auch zu dem Schluss, dass aufgrund der streitpatentgemäßen Mengenverhältnisse von Acrylat zu härtender Komponente keine stöchiometrische Reaktion gewollt sei. Nachdem ein solches Bindemittelsystem aber keine hinreichend stabilen Überzüge liefere, sei der Fachmann nicht dazu veranlasst ein Hydroxyacrylat in Betracht zu ziehen. Auch der Firmenprospekt
(17) Radiation Curing Product List, Rahn AG, 4/1999, 6 Seiten
vermittle dem Fachmann keine Anregung, UV-Bindemittel auf Basis von hydroxyfunktionalisierten Acrylaten einzusetzen. Selbst wenn er berücksichtigen würde, dass nach
(20) Richtlinie 1999/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 1999, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 30.7.1999, L 200/1–16,
(21) M. Bock, „Polyurethane für Lacke und Beschichtungen“, Curt R. Vincentz Verlag, Hannover, 1999, Seiten 18 bis 27, 38, 39, 190 bis 195,
(22) Bayer AG, Desmodur® N 3390 BA, 16.3.2001, 3 Seiten
(23) Bayer AG, Lackrohstoffe und Sondergebiete, Sicherheitsdatenblatt 028715/02, DESMODUR N 3390 BA/SN, 9.11.1995, 5 Seiten und
(24) Bayer AG, Lackrohstoffe und Sondergebiete, Sicherheitsdatenblatt 028669/01, DESMODUR N 100, 7.03.1995, 5 Seiten
die Angabe ≤ 1,0 % Dimethylen-1,6-hexadiisocyanat einen Restmonomerengehalt darstelle, der bei der Herstellung des entsprechenden Polyisocyanats nicht vollständig abgetrennt werden könne, käme er nur zu dem Schluss, dass ein Teil der nicht spezifizierten 34 % des Härters, ein polymeres oder oligomeres HDI sein könnte. Allerdings sei nach dem erteilten Patentanspruch 1 auch 0 % Dimethylen-1,6-hexadiisocyanat möglich, infolgedessen sei die härtende Komponente strukturell nicht spezifiziert. Nachdem aber Härter und Acrylat eine Reaktion miteinander eingingen, um eine Vernetzung des Acrylats zu erzielen, die zur Härteerhöhung des Überzuges führe, sehe sich der Fachmann vor die Aufgabe gestellt, sowohl ein Acrylat wie auch einen Härter wählen zu müssen, die für den Schilderdruck geeignet seien. Hierfür müsse er aber selbst erfinderisch tätig werden, da er erst Überlegungen anstellen und Experimente durchführen müsse, die dann zu der Erfindung führten.
Nachdem sich im Streitpatent keine Angaben zu den zu verwendenden Photoinitiatoren und langnachleuchtenden Pigmente fänden, sei das streitpatentgemäße Verfahren so weit verallgemeinert, dass der Patentschutz über den Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik hinausgehe. Die vorgelegte Produktinformation des Pigments LUMILUX aus dem Jahr 1989 gemäß
Anlage A Produktinformation „LUMILUX® Grün SN-F2“, 10/98, 1 Seite
könne die Lage nicht wenden, da sich Produktspezifikation im Laufe der Jahre veränderten. Zudem werde die genaue Zusammensetzung des Pigments auch in der Produktinformation nicht angegeben.
Ausgehend von (1), welche ein Verfahren zur Herstellung von langnachleuchtenden Signalzeichen basierend auf einem Einbrennlacksystem angebe, gelange der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum streitpatentgemäßen Verfahren, wenn er die aus (2) bzw.
(18) Technisches Merkblatt, Ruco UV Siebdruckfarben 920UV, 8/98, 3 Seiten i. V. m.
(19) Ruco Druckfarben Sicherheitsdatenblatt VR1259, 14.1.2003, 2 Seiten
bzw. aus
(25) WIEDERHOLD Siebdruckfarben, vorläufiges Merkblatt, Hilfsmittel-Programm für UV-Siebdruckfarben, 1/92, Seiten 1 bis 9,
(26) WIEDERHOLD Siebdruckfarben, vorläufiges Merkblatt, Wiederhold UV-härtende Siebdruckfarben UVP, 8/92, Seiten 1 bis 8 oder
(27) WIEDERHOLD Siebdruckfarben, Merkblatt UVP, Wiederhold UV-härtende Siebdruckfarben UVP, 3/93, 4 Seiten
bekannten UV-härtbaren Acrylatharze mit einem Polyisocyanathärter einsetzte.
Für den Fall, dass der streitpatentgemäße Härter als ein Polyisocyanat anzusehen sei, ergebe sich der Streitgegenstand durch die Berücksichtigung der in den Entgegenhaltungen (22), (23) oder (24) erwähnten Polyisocyanat-Härter in naheliegender Weise.
Auch der abschließende Warmforcierungsschritt beruhe nicht auf erfinderischen Überlegungen, denn dem Fachmann sei nach (16) bekannt, dass Zweikomponentenreaktionen zwischen Hydroxyacrylat und Isocyanat durch eine erhöhte Temperatur beschleunigt würden.
Ferner machen die Einsprechenden geltend, dass die Hilfsanträge 1 bis 5 unzulässig erweitert seien, da der Gegenstand von Patentanspruch 1 des ersten Hilfsantrags nun zwingend Hexamethylen-1,6-diisocyanat enthalte und der jeweilige Patentanspruch 1 des zweiten bis fünften Hilfsantrags nur einzelne Merkmale aus Absatz [0003] der Offenlegungsschrift aufweise, die aber ausschließlich im Gesamtzusammenhang offenbart seien.
Im Übrigen würden sich durch die im Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 2 bis 5 genannten DIN-Normen zusätzliche Beständigkeitsanforderungen an die Sicherheitsschilder ergeben, die einen noch größeren Aufwand für das Auffinden einer Verfahrensführung bedingten, mit der solche Schilder herstellbar seien, wodurch sich die Verfahren nach den Hilfsanträgen 2 bis 5 erst recht als nicht ausführbar darstellten.
Die Einsprechenden beantragen,
den Beschluss der Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2011 aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Patentinhaber beantragen,
die Beschwerden zurückzuweisen,
hilfsweise die Beschwerden mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass das Patent die Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 5 vom 14. Juni 2017 erhält.
Die Patentinhaber verfolgen ihr Patentbegehren nach wie vor mit den erteilten Patentansprüchen 1 bis 7 gemäß Hauptantrag und weiter hilfsweise mit den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 1 bis 5.
Im 1. Hilfsantrag wurde Patentanspruch 1 gegenüber Patentanspruch 1 des Hauptantrags dahingehend abgeändert, dass nunmehr für die Leuchtfarbschicht und die Motivfarbschicht definiert ist, dass
„…der Härter Hexamethylen-1,6-diisocyanat enthält…sowie Hexamethylen-1,6-diisocyanat im Bereich von ≤ 1,0 % aufweist…“.
In Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags wurde gegenüber Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag das zusätzliche Merkmal „wobei die Sicherheitsschilder, Sicherheitsmarkierungen und Sicherheitsleitsysteme nach DIN 67510-4 beständig sind gegen die Einwirkung von destilliertem Wasser bei 65°C und 95°C“ aufgenommen.
Demgegenüber wurde der Patentanspruch 1 nach dem 3. Hilfsantrag durch die Hinzufügung des Merkmals „der am Anmeldetag gültigen“ vor „DIN 67510-4“ weiter beschränkt.
Der Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags weist gegenüber Patentanspruch 1 des 2. Hilfsantrags die zusätzlichen Merkmale „…und DIN 30646…gegen die Prüfflüssigkeiten: …Waschlauge, Kaltreiniger, Testbenzin und Dieselkraftstoff.“ auf.
In Patentanspruch 1 des 5. Hilfsantrags wurde zusätzlich vor den jeweiligen DIN-Normen noch der Zusatz „der am Anmeldetag gültigen“ angefügt.
Sie widersprechen den Ausführungen der Einsprechenden und vertreten die Auffassung, dass die Änderung des ursprünglichen Begriffs „UV-Bindemittel“ in „UV-härtendes Bindemittel“ nicht zu einer unzulässigen Erweiterung führe, sondern lediglich klarstelle, dass das Bindemittel durch UV-Licht aushärtbar sei.
Hinsichtlich der Ausführbarkeit der streitpatentgemäßen Lehre machen sie geltend, dass der Fachmann auf Acrylate zurückgreife, die der Stand der Technik bereithalte. Strahlungshärtbare Acrylate seien beispielsweise aus
(12) D. Stoye, W. Freitag, Lackharze – Chemie, Eigenschaften und Anwendungen, Carl Hanser Verlag, München, 1996, Seiten 10 bis 13,
(13) T. Brock, M. Groteklaes, P. Mischke, European Coatings Handbook, Curt R. Vincentz Verlag, Hannover, 2000, Seiten 60, 61, 64 und 65,
(14) P. Nanetti, Lackrohstoffkunde, Curt R. Vincentz Verlag, Hannover 2000, Seiten 106 bis 109, 114 und 115
und (15) bis (17) bekannt gewesen. In (16) werde insbesondere die stöchiometrische Vernetzung von Hydroxyacrylatcopolymeren mit Polyisocyanaten des Hexamethylendiisocyanats beschrieben. Zudem seien zum damaligen Anmeldezeitpunkt entsprechende Härter auf dem Markt gewesen, wie
(28) Sicherheitsdatenblatt „NYLOBAG NB – NB00B“, Druckdatum: 9.3.2001, 6 Seiten
belege. Damit kenne der Fachmann auch die genaue Zusammensetzung des streitpatentgemäßen Härters, so dass er eine entsprechende Menge eines freien OH-Gruppen aufweisenden Acrylats beimischen werde. Das restliche Acrylat müsse lediglich UV-härtbar sein. Ein einziges doppelfunktionales Acrylat schließe der Fachmann dagegen aus, da in Farbsystemen zumeist Acrylatmischungen eingesetzt würden.
Im Hinblick darauf, dass gemäß Patentanspruch 1 der Härter auch 0 % Hexamethylen-1,6-diisocyanat aufweisen können, machen die Patentinhaber geltend, dass die streitpatentgemäße Lehre auf der Wirkung des Härters, d. h. dessen reaktiver Bestandteile, beruhe und somit eine fachgerechte Auslegung des Anspruchs ergebe, dass Hexamethylen-1,6-diisocyanat nicht zu 0 % im Härter vorliege.
Im Übrigen sei es für die erfindungsgemäße Wirkung weder wesentlich, welcher Photoinitiator noch welches nachleuchtende Pigment verwendet werde.
Des Weiteren werde das streitpatentgemäße Verfahren nicht durch die Zusammenschau der Dokumente (1) und (2) bzw. (18) nahegelegt, da der Fachmann dadurch keine Hinweise in Richtung eines Verfahrens erhalte, bei dem ein Lack auf Basis eines UV-härtbaren Acrylatlacksystems mit einem zusätzlichen Isocyanathärter eingesetzt werde, wobei das Verfahren einen abschließenden Wärmeforcierungsschritt aufweise.
Auch durch die weitere Berücksichtigung des Fachwissens gemäß (16) ergebe sich das streitpatentgemäße Verfahren nicht in naheliegender Weise, da dort die Verwendung von Hexamethylendiisocyanat nur in Zusammenhang mit einem Einbrennlacksystem angegeben sei.
Die Beschwerdeführerin zu 1 hat, wie zuvor schriftsätzlich mitgeteilt, nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und wegen des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 5 wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerden der Einsprechenden sind zulässig und führen auch in der Sache zum Erfolg.
2. Im Streitpatent wird davon berichtet, dass die Herstellung von langnachleuchtenden Sicherheitsschildern ein hohes Maß an Präzision erfordere, um die Anforderungen an die Haltbarkeit und die Widerstandsfähigkeit zu erfüllen. Hierbei handele es sich je nach Anwendungsgebiet um das Brandverhalten nach DIN 53438-2, die Beständigkeit gegen Farbänderung bei künstlicher Bewitterung für 500 Stunden UV-Bewitterung nach DIN 53387-1-D-X, die Beständigkeit gegen Veränderungen durch Salzsprühnebel nach DIN 50021-SS über 120 Stunden Einwirkdauer und gemäß DIN 67510-4 die Beständigkeit gegen Chemikalien nach DIN 30646 mit den Prüfflüssigkeiten, destilliertes Wasser bei 65°C und 95°C, Waschlauge, Kaltreiniger, Testbenzin und Dieselkraftstoff. Das Streitpatent kommt einleitend zu dem Ergebnis, dass im Stand der Technik zwar bereits mit einer Reihe von Verfahren Schilder herstellbar seien, die diese Erfordernisse erfüllten, jedoch sei der notwendige Aufwand bzw. die Anzahl an Verfahrensschritten zur Erlangung solcher Schilder relativ hoch und wirke sich damit negativ auf die aufzuwendenden Kosten aus (vgl. Streitpatentschrift S. 2, Abs. [0002-0005]).
3. Ausgehend davon liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde ein Verfahren zum Herstellen von langnachleuchtenden Sicherheitsschildern, Sicherheitsmarkierungen, Sicherheitsleitsystemen mit einer vorgegebenen Leuchtdichte bereitzustellen, das relativ einfach durchzuführen und kostengünstig ist, wobei die Signalzeichen strenge Anforderungen betreffend das Brandverhalten, die Beständigkeit gegen Farbveränderungen und gegen Chemikalien sowie Veränderungen durch Salzsprühnebel erfüllen müssen (vgl. Streitpatentschrift S. 2 Abs. [0006] i. V. m. [0003]).
4. Die patentgemäße Aufgabe wird durch ein Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 mit folgenden Merkmalen gelöst:
1. Verfahren zum Herstellen von langnachleuchtenden Sicherheitsschildern, Sicherheitsmarkierungen, Sicherheitsleitsystemen mit einer vorgegebenen Leuchtdichte, insbesondere für den Außenbereich mit folgenden Schritten:
2. Bereitstellen eines Trägers,
2.1 der mit einer, bevorzugt weißen, Reflektionsoberfläche beschichtet ist,
3. Siebdruck-Auftragen mindestens einer Leuchtfarbschicht aus
3.1 langnachleuchtender, ein UV-härtbares Bindemittel aufweisender Farbe,
3.2 die aus 6 Teilen Grundfarbe und 1 bis 6 Teilen langnachleuchtender Pigmente besteht, wobei
3.2.1 die Grundfarbe 50 bis 97 % Acrylat und 3 bis 5 % Härter enthält,
3.2.1.1. wobei der Härter 10 bis 25 % 2-Methoxy-1-methylethylacetat, 10 bis 25 % Xylol, 1 bis 15 % Ethylbenzol und ≤ 1,0 % Hexamethylen-1,6-diisocyanat aufweist,
4. Siebdruck-Auftragen in einem vorherigen oder weiteren Schritt mindestens einer Motivfarbschicht aus einer Motivfarbe auf einen Träger,
4.1 die ein UV-härtendes Bindemittel und Farbpigmente umfasst, wobei
4.2 die Motivfarbe als Bestandteile 50 bis 97 % Acrylat (zuzüglich Farbpigmenten) und 3 bis 5 % Härter enthält, wobei
4.2.1 der Härter 10 bis 25 % 2-Methoxy-1-methylethylacetat, 10 bis 25 % Xylol, 1 bis 15 % Ethylbenzol und ≤ 1,0 % Hexamethylen-1,6-diisocyanat aufweist, und wobei
5. die Motivfarbschicht oder die Leuchtfarbschicht vor der jeweils anderen Farbschicht unter Auslassung der Bereiche für die jeweils andere Farbschicht aufgetragen wird,
6. Aushärten der Leuchtfarbschicht und der mindestens einen Motivfarbschicht mit einem vorbestimmten Licht-Zeit-Profil,
7. Warmforcieren der Leuchtfarbschicht nach dem Aushärten der Leuchtfarbschicht und der Motivfarbschicht bei einer Temperatur von 40 bis 115°C über einen Zeitraum von 10 bis 60 Minuten.
5. Zuständiger Fachmann ist vorliegend ein Team aus einem Drucktechniker und einem Lackingenieur bzw. einem Chemieingenieur mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Siebdruckfarben.
Ein Drucktechniker allein ist entgegen der Auffassung der Patentinhaberin vorliegend nicht dazu in der Lage ein solches verwendetes Farbsystem nach den Merkmalsgruppen 3 und 4 zu entwickeln. Denn es fehlt ihm an der erforderlichen chemischen Sachkenntnis für die Entwicklung der benötigten Bindemittelsysteme.
6. Bezüglich der ausreichenden Offenbarung des Gegenstands der geltenden erteilten Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale aus den Erstunterlagen (vgl. Erstunterlagen: Ansprüche 1 bis 15 i. V. m. Beschreibung S. 4, 1. und 2. Abs., S. 5, 5. Abs., S. 6, 1. und 2. Abs., S. 10, 2. bis 4. Abs.) ableitbar sind.
Der vorgebrachte Einwand, der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 werde durch die Änderung des ursprünglich offenbarten Begriffs „UV-Bindemittel“ in „UV-härtbares Bindemittel“ unzulässig erweitert, da ein UV-Bindemittel im Gegensatz zu einem UV-härtbaren Bindemittel keinen Härter enthalten würde, kann nicht durchgreifen. Aus der ursprünglich eingereichten Beschreibung erfährt der Fachmann, dass es sich bei einem „UV-Bindemittel“, um ein Mittel handelt, das unter Einwirkung von UV-Licht durch Photopolymerisation aushärtet (vgl. urspr. Anspruch 1, urspr. einge. Beschreibung S. 4, 1. und 2. Abs.). Folglich wird mit dem Begriff „UV-härtbares Bindemittel“ der Aushärtungsmechanismus redundant spezifiziert und nicht ein Härterzusatz impliziert.
7. Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung hat allerdings keinen Bestand, weil das Streitpatent die durch diesen Anspruch geschützte technische Lehre nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
a) Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der Angaben im Streitpatent unter Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen, wobei die Erfindung nicht buchstabengetreu realisierbar sein muss, sondern es ausreicht, dass der Fachmann anhand der Offenbarung das erfindungsgemäße Ziel in praktisch ausreichendem Maß unter zumutbaren Aufwand erreichen kann (vgl. Schulte/Moufang PatG, 10. Aufl. § 34, Rdn. 338, 349, 350).
Grundsätzlich ist es dem Anmelder unbenommen, den Schutz nicht auf Ausführungsformen zu beschränken, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ausdrücklich beschrieben werden, sondern gewisse Verallgemeinerungen vorzunehmen (vgl. BGH GRUR 2013, 1210 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Dagegen verstößt eine generalisierende Formulierung in einem Patentanspruch gegen das Gebot deutlicher und vollständiger Offenbarung, wenn sie den durch das Patent geschützten Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus verallgemeinert (BGH GRUR 2010, 414 – Thermoplastische Zusammensetzung). Ob die Fassung eines Patentanspruchs, die eine Verallgemeinerung enthält, zulässig ist, richtet sich mithin im Einzelfall danach, inwiefern damit ein Schutz begehrt wird, der über dasjenige hinausgeht, was dem Fachmann unter Berücksichtigung der Beschreibung und der darin enthaltenen Ausführungsbeispiele als allgemeinste Form der technischen Lehre erscheint, durch die das der Erfindung zugrunde liegende Problem gelöst wird (vgl. BGH a. a. O., Rn. 21 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren).
Wird Schutz für ein Herstellungsverfahren beansprucht, kann ein bestimmter Verfahrensschritt in einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion auszuführen, versagen, allerdings in der Patentschrift zumindest ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist (vgl. BGH GRUR 2001, 813 – Taxol).
b) Nach den dargelegten Grundsätzen ist die Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 anhand des beschriebenen Ausführungsbeispiels nicht ausführbar offenbart.
Gemäß Patentanspruch 1 umfassen sowohl die Grund- wie auch die Motivfarbe als Bestandteile Farbpigmente, 50 bis 97 % Acrylat und 3 bis 5 % Härter. Nachdem die streitpatentgemäßen Farben UV-härtbar sind (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Streitpatent S. 3, Abs. [0009] und [0015]), impliziert dies, dass zumindest ein Bestandteil der jeweiligen Farbe funktionelle Gruppen aufweisen muss, die unter Einwirkung von UV-Licht zu einer Härtung führen. Solche funktionelle Gruppen wird der Fachmann der Komponente „Acrylat“ zuordnen, unter der er vorliegend ein ungesättigtes Harz basierend auf Monomeren der Acrylsäure bzw. deren Derivate versteht (vgl. (2) S. 239, 1. Abs., S. 240/241, Abs. „ungesättigte Acrylat-harze“; vgl. (13), S. 60/61, Abschnitt 2.1.4.3). Diese ungesättigten Acrylatharze verfügen über freie Doppelbindungen, die unter Einwirkung von UV-Licht photopolymerisieren und so eine Härtung des Acrylats durch Vernetzung bewirken (vgl. (13), S. 60/61, Abschnitt 2.1.4.3). Welche weiteren reaktiven Gruppen das Acrylat aufweist, die in der Lage sind mit den funktionellen Gruppen des Härters zu reagieren, kann er allerdings weder den weiteren Ansprüchen, der allgemeinen Beschreibung des Streitpatents noch dem einzigen Ausführungsbeispiel explizit entnehmen. Von daher wird der Fachmann sein Augenmerk auch auf die Zusammensetzung des Härters richten, der durch spezifische Reaktion seiner reaktiven Gruppen mit denen des Acrylats, eine zusätzliche Härtung bewirkt.
Der streitpatentgemäße Härter umfasst neben dem Lösungsmittelsystem bestehend aus 2-Methoxy-1-methylethylacetat, Xylol und Ethylbenzol, noch Hexamethylen-1,6-diisocyanat, welches zu ≤ 1,0 % im Härter vorliegt. Aus der Mengenangabe schließt der Fachmann jedoch, dass es sich bei dem Diisocyanat nicht um die eigentliche härtende Komponente handeln kann, da dieses aufgrund seiner geringen Menge nicht dazu in der Lage ist, eine stöchiometrische Aushärtung mit dem Hauptbestandteil Acrylat zu bewirken, die aber erforderlich ist, um einen entsprechend beständigen und brauchbaren Lacküberzug zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe zu erzeugen (vgl. (16), S. 395, vorletzt. Abs., vgl. Streitpatent S. 2, [0003] i. V. m. [0006]). Desweiteren erkennt der Fachmann, dass 34 % der Härterzusammensetzung nicht spezifiziert sind. Unter der begünstigenden Annahme, dass ≤ 1 % Hexamethylen-1,6-diisocyanat einen nach der europäischen Gefahrstoffrichtlinie (20) zu deklarierenden Restmonomerengehalt darstellt, der bei der Herstellung der eigentlichen härtenden Komponente anfällt, erschließt sich dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens, dass ein polymeres oder oligomeres Polyisocyanat vorliegen wird, das durch Polymerisation von Hexamethylen-1,6-diisocyanat erhalten wurde (vgl. (20), Art. 3, vgl. (21), S. 20, letzt. Abs., S. 23/ 24, übergr. Abs., S. 26, 4. Abs.). In Folge dessen wird er dem Acrylat als weitere funktionelle Gruppen Hydroxyreste zuordnen, die das Acrylat befähigen mit den Isocyanatgruppen des Polyisocyanats unter Ausbildung Urethanbindungen zu reagieren. Damit mag die Zusammensetzung des Acrylats durch das Bemühen des Fachwissens insoweit festgelegt sein, als es freie Doppelbindungen für die UV-Härtung und freie Hydroxygruppen für die Fremdvernetzung mit dem Härter verfügt, jedoch bleibt für den Fachmann nach wie vor unbestimmt, ob alle Monomere, auf denen das Acrylat basiert, eine solche Bifunktionalität aufweisen müssen oder ob das Acrylat auf verschiedenen Monomeren basiert, von denen nur ein Teil eine Hydroxygruppen aufweist. Darüber hinaus kann dem Streitpatent nicht entnommen werden, ob das Acrylat aus einer Mischung von verschiedenen Homo- und Copolymerisaten gebildet wird, der ggf. coreaktive Monomere zugesetzt werden (vgl. (2) S. 243, 1. Abs.; vgl. (13), S. 65, Tab. 2.6, vgl. (14) S. 109, Abs. „Vernetzbare Systeme“, vgl. (16) S. 394, Abs. „2.3.2.9.2.2 Hydroxylsubstituierte Polyacrylate“ bis S. 395, 3. Abs.).
Damit geben die Angaben des Streitpatents dem Fachmann zwar die Richtung vor, dennoch bedarf es einer umfassenden Recherche zur Ermittlung geeigneter Ausgangsmonomere, die zu Acrylaten polymerisiert werden sollen, wobei anhand von Versuchen zu ermitteln ist, ob ein einziges Acrylat oder aber Acrylatmischungen und ggf. coreaktive Monomere zu verwenden sind, um die vorgegebenen Anforderungen an die herzustellenden Schilder zu erfüllen. Die durchzuführenden Vorarbeiten und Versuche übersteigen aber den zumutbaren Aufwand, da sie den Umfang eines Forschungsprogramms haben (vgl. Schulte/Moufang 10. Aufl. PatG § 34 Rdn. 359 b) bis d)).
Folglich ist der Schutz des Streitpatents auf spekulativ beanspruchte Acrylate gerichtet, zu deren Erschließung die Erfindung aber keinen Beitrag leistet. Vielmehr ist der durch das Patent geschützte Bereich über die erfindungsgemäße, dem Fachmann in der Beschreibung an die Hand gegebene Lösung hinaus unzulässig verallgemeinert worden. Zumal in der Patentschrift nicht ein ausführbarer Weg zur Erlangung eines Lacküberzuges mit den streitpatentgemäß zu erfüllenden Beständigkeitsanforderungen genannt ist. Der mögliche Patentschutz geht somit über den vom Streitpatent geleisteten Beitrag zum Stand der Technik hinaus. Nachdem das Erfordernis der deutlichen und vollständigen Offenbarung der Erfindung gewährleisten soll, dass das Ausschließlichkeitsrecht, das dem Anmelder erteilt wird, dem Umfang der Erfindung entspricht, die er der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt (vgl. BGH a. a. O. Rdn. 13 – Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren), war in Anbetracht dessen vorliegend ein Offenbarungsmangel festzustellen.
Das von der Patentinhaberin vorgelegte Sicherheitsdatenblatt (28) eines Siebdruckfarbadditivs, das neben nicht spezifizierten ungefährlichen Bestandteilen ein Gemisch entsprechend dem streitgemäßen Härter aufweist, kann zu keiner anderen Sichtweise führen. Dieses Datenblatt kann nur als Nachweis für die Deklarationspflicht gefährlicher Stoffe – entsprechend der im Streitpatent angegebenen Härterzusammensetzung – angesehen werden. Einen Hinweis auf die im Streitpatent nicht offenbarte Komponente des Härters ergibt sich hierdurch nicht. Denn in dem Sicherheitsdatenblatt werden die weiteren ungefährlichen Bestandteile des Siebdruckadditivs nicht erwähnt (vgl. (28), S. 1, Abs. „2 Zusammensetzung/Angaben zu den Bestandteilen“).
Das Argument der Patentinhaberin, für den Fachmann sei es selbstverständlich, dass kein reines Acrylat – im Sinne nur eines Polymerisats – eingesetzt werde, sondern eine Acrylatmischung bzw. eine normale UV-Farbe, der ein monomeres Hydroxyacrylat beigefügt werde, kann den vorliegenden Offenbarungsmangel nicht heilen. Zum einen finden sich in der Streitpatentschrift keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Mischung und zum anderen wird der Fachmann durchaus „reine“ Hydroxyacrylate in Form von Copolymerisaten in Erwägung ziehen, da diese mit Polyisocyanaten Beschichtungen aus Polyacrylurethanen ausbilden, die ausgezeichnete Salzsprüh- und Wetterbeständigkeit aufweisen (vgl. (13), 64/65, Abs. „2.1.4.5. Acrylic resins“; vgl. (16), S. 394, Abs. „2.3.2.9.2.2 Hydroxylsubstituierte Polyacrylate“ bis S. 396, 1. Abs.).
8. Der von den Einsprechenden geltend gemachte Widerrufsgrund der unzureichenden Offenbarung liegt gleichfalls hinsichtlich der verteidigten Patentansprüche 1 in der Fassung des 1. bis 5. Hilfsantrags vor. Bei dieser Sach- und Rechtslage konnten formale Aspekte unerörtert bleiben.
Die Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 haben zu Patentanspruch 1 nach Hauptantrag identische Leucht- und Motivfarbenzusammensetzungen gemäß der Merkmalsgruppen 3 und 4 zum Gegenstand. Folglich ergibt sich gegenüber dem Hauptantrag keine andere Sach- und Rechtslage, so dass die dort ausgeführten Gründe hinsichtlich der mangelnden Ausführbarkeit für die Patentansprüche 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 5 gleichermaßen gelten.
9. Da über den jeweiligen Antrag der Patentinhaber nur insgesamt entschieden werden kann, teilen die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 7 nach Haupt- bzw. der Hilfsanträge 1 bis 5 das Schicksal des jeweiligen Patentanspruchs 1 (vgl. BGH, GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät; BPatG GRUR 2009, 46 – Ionenaustauschverfahren).