Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 26.01.2010


BPatG 26.01.2010 - 14 W (pat) 12/07

Patentbeschwerdeverfahren - "Yttrium-90 Glasmikrokugeln" – ergänzendes Schutzzertifikat - Erteilungsvoraussetzungen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsdatum:
26.01.2010
Aktenzeichen:
14 W (pat) 12/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze
Art 2 EWGV 1768/92
Art 3 Buchst b EWGV 1768/92
Art 1 Nr 6 EGRL 83/2001
Art 1 EWGRL 385/90
Art 1 EWGRL 42/93
Art 3 EGV 469/2009
Art 3 Buchst b EGV 469/2009
Art 1 Buchst b EGV 469/2009

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats

für Arzneimittel 12 2005 000 052.3

hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 26. Januar 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Schröder, des Richters Harrer, der Richterin Dr. Proksch-Ledig und des Richters Dr. Gerster

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 1.43 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Februar 2007 aufgehoben.

Auf die am 4. November 2005 eingegangene Anmeldung wird ein ergänzendes Arzneimittelschutzzertifikat für

„Yttrium-90 Glasmikrokugeln“

mit einer Laufzeit vom 8. November 2005 bis 7. November 2010

erteilt.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin und Beschwerdeführerin ist Inhaberin des am 7. November 1985 angemeldeten, u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten, europäischen Patents EP 0 201 601 (Grundpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 35 86 129 geführt wird. Das Grundpatent trägt die Bezeichnung „Glass Microspheres“ und umfasst 17 Patentansprüche.

2

Am 4. November 2005 (zu diesem Zeitpunkt war das durch Zeitablauf am 7. November 2005 erloschene Patent noch in Kraft) hat die Anmelderin den Antrag gestellt, ihr ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ zu erteilen.

3

Der Antrag bezieht sich auf die Genehmigungen für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses „TheraSphere ® Yttrium-90 Glass Microsphere“ in Deutschland. Bei diesen Genehmigungen handelt es sich um die für die Europäische Gemeinschaft durch BSI Product Services, United Kingdom erteilten EC-Certificates CE 500 749 und CE 501 532 vom 4. November 2005 (Zulassungen/Genehmigungen auf Basis der Richtlinie 90/385/ECC).

4

Den Antrag der Anmelderin vom 4. November 2005 hat die Patentabteilung 1.43 des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluss vom 5. Februar 2007, niedergelegt am 23. März 2007, zurückgewiesen, da keine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels i. S. des Art. 2 bzw. Art. 3 b) der VO 1768/92 vorliege. Bei den vorgelegten Dokumenten handle es sich um Genehmigungen nach der Richtlinie 90/385/EWG für das Inverkehrbringen eines aktiv implantierbaren medizinischen Erzeugnisses. Die VO (EWG) 1768/92 gelte aber nur für Arzneimittel. Damit habe der Gesetzgeber nur Arzneimittel und keine Medizinprodukte als Grundlage für ergänzende Schutzzertifikate zugelassen.

5

Hiergegen richtet sich die am 25. April 2007 eingegangene Beschwerde der Anmelderin mit dem Antrag,

6

den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. Februar 2007 aufzuheben und ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ auf der Basis des Grundpatents EP 0 201 601 B1 und der Zulassungen CE 500 749 und CE 501 532 zu erteilen.

7

Sie macht im Wesentlichen geltend, bei dem das radioaktive Isotop enthaltenden Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ handle es sich um ein radioaktives Arzneimittel i. S. der Richtlinie 2001/83/EG Art. 1 Nr. 6. Für dieses Erzeugnis lägen die Genehmigungen (EG Zertifikate) CE 500 749 und CE 501 532 vor. Nachdem die Glasmikrokugeln Bestandteil eines aktiven implantierbaren medizinischen Gerätes darstellten, müssten diese per Gesetz nach dem Verfahren der Richtlinie 90/385/EWG zugelassen werden. Die darauf beruhenden Zertifikate beinhalteten neben der Zulassung für das medizinische Gerät aber auch eine Zulassung für den Wirkstoff. Da die Prüfung der Sicherheit, der Qualität und des Nutzens des Wirkstoffs entsprechend den geeigneten Verfahren der Richtlinie 75/318/EWG (jetzt 2001/83/EG) dieselben klinischen Versuche erfordere wie die Richtlinie 65/65/EWG, die in derselben Richtlinie 2001/83/EG aufgegangen sei, entsprächen diese Zulassungen (CE) nämlich einer gemäß der VO (EWG) 1768/92 geforderten Zulassung gemäß Richtlinie 65/65/EWG. In diesem Sinne hätten bereits die niederländische Behörde und das niederländische Gericht entschieden, nämlich, dass die vorliegenden CE-Genehmigungen einer Genehmigung nach Richtlinie 65/65/EWG entspreche, und ein ergänzendes Schutzzertifikat auf Basis dieser Genehmigungen erteilt.

8

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

9

1. Die Beschwerde ist gem. Art. 18 VO (EG) 469/2009 (vormals Art. 17 VO (EWG) 1768/92) i. V. m. § 16a Abs. 2 PatG und § 73 PatG statthaft und mit rechtzeitig eingegangener Beschwerdegebühr eingelegt und auch ansonsten zulässig.

10

2. Die Beschwerde hat auch Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats für das beantragte Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“.

11

2.1. Grundlage für die Beurteilung des Erteilungsverlangens ist Art. 3 VO (EG) 469/2009, durch die die VO (EWG) 1768/92 aufgehoben wurde.

12

Danach wird ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Art. 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

13

a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

14

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde;

15

c) für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

16

d) die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.

17

2.2. Die im Übrigen auch von der Patentabteilung nicht beanstandeten Bedingungen der lit. a), c) und d) liegen vor.

18

„Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ sind durch das am Anmeldetag noch in Kraft befindliche Grundpatent geschützt. Hierfür ist auch noch kein Zertifikat erteilt worden und die in Rede stehenden Genehmigungen sind die ersten für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel.

19

2.3. Die Erteilung scheitert auch nicht an lit. b), da die vorgelegten EC-Certficates, die im Zertifikat-Anmeldestaat eine Zulassung für die Verwendung als Arzneimittel darstellen, dieser Bedingung genügen.

20

Gemäß Art. 1 lit. b) der VO (EG) 469/2009 wird Erzeugnis als der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels definiert. Der Begriff Wirkstoff ist in der Verordnung nicht definiert. Nach der Entscheidung des EuGH vom 4. Mai 2006 (C-431 - Wirkstoffzusammensetzung) ist mangels einer Definition des Begriffs „Wirkstoff“ die Bedeutung und die Tragweite dieses Begriffs unter Berücksichtigung des allgemeinen Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, und entsprechend dem Sinn, den er nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu bestimmen. Das Arzneimittel wird in Art. 1 a) VO als ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung definiert, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird (werden).

21

Das im Antrag auf Erteilung eines Zertifikats beanspruchte Erzeugnis „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ besteht ausschließlich aus Glas, das Yttrium-90 als aktive Komponente enthält. Somit verkörpern die Glasmikrokugeln - nachdem sie das radioaktive Yttrium-90 als integralen Bestandteil enthalten - nicht nur den Wirkstoff selbst, sondern, weil sie als solche bereits in gebrauchsfertiger Form vorliegen, gleichzeitig auch das Arzneimittel (vgl. dazu auch Richtlinie 2001/83/EG Art. 1 Nr. 6 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung). Die Zweckbestimmung dieses Arzneimittels liegt darin, Krebsgewebe und Tumor-tragende Gewebe unmittelbar durch Bestrahlung zu behandeln, weshalb diese Mikroglaskugeln über parenterale Verabreichung zu ihrem vorbestimmten Wirkort verbracht werden, wo sie sodann auch verbleiben. Damit aber stellen diese Mikrokugeln zugleich auch ein aktives implantierbares medizinisches Gerät dar (vgl. Richtlinie 90/385/EWG Art. 1 (2) c)).

22

Dass für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels keine im Anmeldestaat gemäß Richtlinie 65/65/EWG (bzw. jetzt Richtlinie 2001/83/EG) erteilte Genehmigung vorliegt, ist vorliegend unschädlich. Für das Inverkehrbringen des Arzneimittels als Bestandteil des medizinischen Geräts genügen in diesem Fall die im Vereinigten Königreich erteilten europäischen EC - Genehmigungen.

23

Entgegen der Auffassung der Patentabteilung ist nämlich davon auszugehen, dass die auf der Grundlage der Richtlinie 90/385/EWG erteilten europäischen so genannten EC - Certificates CE No. 500 749 und CE No. 501 532 für das aktiv implantierbare medizinische Gerät als Genehmigungen im Sinne des Art. 3 b) VO (EG) 469/2009 gemäß der Richtlinie 2001/83/EG (65/65/EWG) erteilte anzusehen sind. Diese CE-Zulassungen sind im vorliegenden Fall daher einer gültigen Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG gleich zu stellen.

24

Dieses folgt aus Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 90/385/EWG (geändert durch die Richtlinie 93/42/EWG), der bestimmt:

25

„Gehört zu den Bestandteilen eines aktiv implantierbaren medizinischen Gerätes ein Stoff, der bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 65/65/EWG angesehen werden kann, so muss dieses Gerät entsprechend der vorliegenden Richtlinie bewertet und zugelassen sein“.

26

Auch nach Art. 1 Abs. 4 der die Richtlinie 90/385/EWG abändernden Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte, der im Wesentlichen Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 90/385/EWG entspricht, ergibt sich, dass beide Richtlinien auf derselben Lehre beruhen, siehe dort 7.4 des Anhangs I.

27

Nach Art. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2001/83/EG ist ein „radioaktives Arzneimittel“ ferner jedes Arzneimittel, das in gebrauchsfertiger Form ein oder mehrere für medizinische Zwecke aufgenommene Radionuklide (radioaktive Isotope) enthält.

28

Diesen Definitionen folgend verkörpert hier das medizinische Gerät „TheraSphere® Yttrium-90 Glass Microsphere“ somit zugleich auch das radioaktive Arzneimittel „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ im Sinne Art. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2001/83/EG, das bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 65/65/EWG bzw. 2001/83/EG anzusehen ist.

29

Das von den vorliegenden CE-Genehmigungen erfasste radioaktive Arzneimittel „Yttrium-90 Glasmikrokugeln“ konnte daher nur als aktiv implantierbares medizinisches Gerät gemäß Richtlinie 90/385/EWG zugelassen werden.

30

Dass mit dieser Zulassung sodann auch der zu den Bestandteilen des aktiven implantierbaren medizinischen Gerätes gehörende Stoff, der bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 65/65/EWG angesehen werden kann, erfasst ist, erweist sich auch daran, dass die Richtlinie 93/42/EWG neben der Bestimmung in Art. 7.4 des Anhangs I in ihrer Einleitung erwähnt, dass „in diesem Zusammenhang die Prüfungen auf Sicherheit, Qualität und Eignung der Stoffe analog durch Anwendung der geeigneten Verfahren gemäß Richtlinie 75/318/EWG (die wie die Richtlinie 65/65/EWG von der Richtlinie 2001/83/EG abgelöst wurde) über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln erfolgen“.

31

Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei der Entwicklung von neuen Behandlungsmethoden der Heilbehandlung, z. B. von Tumoren, unter dem Einsatz radioaktiver Arzneimittel um ein relativ neues Forschungsgebiet handelt, so dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO (EWG) 1768/92 im Jahr 1993 radioaktive Arzneimittel noch keine Rolle gespielt haben und daher auch nicht in Betracht gezogen wurden. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass die Richtlinie 65/65/EWG im Gegensatz zur Richtlinie 2001/83/EG radioaktive Arzneimittel noch nicht erwähnt.

32

Diese Beurteilung steht insbesondere im Einklang mit der die Richtlinie 2001/83/EG abändernden Richtlinie 2004/27/EG, bei der in den Erwägungsgründen (7) ausgeführt wird: „Insbesondere aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts sollen die Begriffsbestimmungen und der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG geklärt werden, damit hohe Standards bei der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimittel erreicht werden. Damit zum einen das Entstehen neuer Therapien und zum andern die steigende Zahl von sogenannten „Grenzprodukten“ zwischen dem Arzneimittelbereich und anderen Bereichen Berücksichtigung finden, sollte die Begriffsbestimmung des Arzneimittels geändert werden, um zu vermeiden, dass Zweifel an den anzuwendenden Rechtsvorschriften auftreten, wenn ein Produkt, das vollständig von der Definition des Arzneimittels erfasst wird, möglicherweise auch unter die Definition anderer regulierter Produkte fällt. Diese Definition sollte die Art der Wirkung, die das Arzneimittel auf die physiologischen Funktionen haben kann, spezifizieren. Diese Aufzählung der Wirkungen ermöglicht auch, Arzneimittel wie Gentherapie, Radiopharmaka sowie bestimmte Arzneimittel zur lokalen Verwendung abzudecken“.

33

Unter all diesen Gesichtspunkten und der gemeinsamen Doktrin von Richtlinie 93/42/EG und Richtlinie 90/385/EG hat auch das niederländische Gericht (Rechtbank `s-Gravenhage / District court of the Hague vom 3. Juni 2004, Reg. No. AWB 02/1915 OCT) eine Analogie einer auf Basis der Richtlinie 90/385/EWG erteilten Genehmigung mit einer gemäß Richtlinie 65/65/EWG für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilten Genehmigung für gerechtfertigt gehalten und bejaht.

34

Die nach Richtlinie 93/42/EWG bzw. 90/385/EWG erteilten Genehmigungen CE 500749 und CE 501532 sind somit als analog zu den nach Richtlinie 65/65/EWG (mittlerweile ersetzt durch 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG) erteilten Genehmigungen zu betrachten.

35

Damit ist auch die auf Art. 2 VO (EWG) 1768/92 gestützte Schlussfolgerung der Patentabteilung, es handle sich hier um Medizinprodukte, die als Grundlage für ergänzende Schutzzertifikate vom Gesetzgeber nicht zugelassen seien, nicht haltbar.

36

3. Die Laufzeitberechnung beruht auf Art. 13 Abs. 2 VO (EG) 469/2009.