Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 19.04.2012


BPatG 19.04.2012 - 12 W (pat) 46/11

Patentbeschwerdeverfahren – Antrag auf Entscheidung nach Aktenlage – Begründungspflicht – keine erfinderische Tätigkeit -


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
19.04.2012
Aktenzeichen:
12 W (pat) 46/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 10 2005 033 703.1

hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2012 unter Mitwirkung des Richters Dipl.-Ing. Sandkämper als Vorsitzendem, der Richterin Bayer, der Richter Dipl.-Ing. Schlenk und Dipl.-Ing.Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer ist Anmelder der am 19. Juli 2005 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Patentanmeldung mit der Bezeichnung:

2

„Kammplatte für Fahrtreppen“

3

Mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 hat die Prüfungsstelle für Klasse B66B des Deutschen Patent- und Markenamtes die Anmeldung auf Grund § 48 PatG zurückgewiesen.

4

Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle richtet sich die am 24. Februar 2011 eingelegte Beschwerde des Anmelders.

5

Mit Eingabe vom 16. April 2012 beantragte der Anmelder sinngemäß:

6

den Beschluss der Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamts für Klasse B 66 B vom 3. Dezember 2010 aufzuheben und das am 19. Juli 2005 angemeldete Patent mit der Bezeichnung “Kammplatte für Fahrtreppen” mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

7

- Patentansprüche 1 bis 14, eingereicht mit Schriftsatz vom 20. April 2009,

8

- Beschreibung Seiten 1 bis 8 und

9

- Zeichnungen (Figuren 1 bis 5) gemäß den ursprünglichen Unterlagen,

10

hilfsweise mit folgenden Unterlagen:

11

- Patentansprüche 1 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schriftsatz vom16. April 2012,

12

- Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag,

13

weiter hilfsweise

14

- Patentansprüche 1 bis 12 gemäß Hilfsantrag 2, eingereicht mit Schriftsatz vom 16. April 2012,

15

- Beschreibung und Zeichnungen wie Hauptantrag.

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Der Anmelder ist der Auffassung, die Entscheidung der Prüfungsstelle sei nicht mit Gründen versehen. Bereits aus diesem Grunde sei die Entscheidung der Prüfungsstelle zurückzuweisen. In der Anhörung am 3. Dezember 2010 sei entgegen der Auffassung der Prüfungsstelle nicht die Zurückweisung der Anmeldung beantragt worden, ein solcher Antrag sei weder verlesen noch genehmigt worden. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sowohl nach Hauptantrag als auch nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.

17

Der geltende Anspruch 1 vom 20. April 2009 (Hauptantrag) beruht auf den Merkmalen des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und weiterhin der Merkmale der ebenfalls ursprünglich eingereichten Ansprüche 5 und 6 und lautet:

Abbildung

18

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht auf den Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und beinhaltet die zusätzlichen Merkmale des geltenden Anspruchs 8 gemäß Hauptantrag und lautet:

Abbildung

19

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht auf den Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und beinhaltet die zusätzlichen Merkmale der geltenden Ansprüche 8 und 9 gemäß Hauptantrag und lautet:

Abbildung

20

Wegen des Wortlauts der jeweils unmittelbar oder mittelbar auf den jeweiligen Anspruch 1 nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen rückbezogenen Ansprüche und wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

21

Im Verfahren ist unter anderem die Druckschrift.

22

D3) EP 0 634 354 A1.

23

Der Anmeldervertreter zog per Telefax vom 18. April 2012 den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte eine Entscheidung nach Aktenlage. Zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2012 ist für den ordnungsgemäß geladenen Anmelder niemand erschienen.

II.

24

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.

25

1) Der Senat entscheidet in der Sache und macht von der Möglichkeit, gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 2 PatG die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, keinen Gebrauch. Die Prüfungsstelle hat zwar ihre Entscheidung im Beschluss vom 3. Dezember 2010 entgegen der Vorschrift des § 47 Abs. 1 Satz 1 PatG nicht begründet, da sie zwar im Tatbestand des Beschlusses die Prüfungsbescheide erwähnt hat, ihre Zurückweisung jedoch nicht auf die Ausführungen in diesen Bescheiden gestützt hat. Zu Unrecht hat die Prüfungsstelle von einer Begründung gemäß § 47 Abs. 1 Satz 3 PatG abgesehen. Sollte der Anmelder tatsächlich wie im Protokoll vermerkt - von ihm allerdings bestritten - den Antrag gestellt haben, die Anmeldung zurückzuweisen, so liegt darin ein Antrag auf Entscheidung nach Aktenlage. Dem mit seinem bereits mit Schriftsatz vom 20. April 2009 gestellten Antrag auf Erteilung des Patents mit den in diesem Schriftsatz genannten Unterlagen hat die Prüfungsstelle nicht entsprochen, so dass der Beschluss hätte begründet werden müssen. Wenn ein Anmelder um einen beschwerdefähigen Beschluss nachsucht, so bedeutet dies nicht, dass seinem Antrag im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 3 PatG entsprochen wird, wenn die Anmeldung zurückgewiesen wird. Da die Sache entscheidungsreif ist, besteht jedoch kein Anlass, ohne Sachentscheidung den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Verfahren an das Patent- und Markenamt zurückzuverweisen (vgl. Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl. § 79 Rdn. 18).

26

2) Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 (nachfolgend kenntlich gemacht mit hochgestelltem „Hi2“) beinhaltet sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 nach Hauptantrag („HA“) wie auch nach Hilfsantrag 1 („Hi1“) und lässt sich wie folgt gliedern:

27

1HA/Hi1/Hi2M

„1. Kammsegment für eine Fahrtreppe,

1HA/Hi1/Hi2M1

mit einem Grundkörper, an dessen einer Seite ein Zinkenabschnitt mit einer Reihe von einzelnen Zinken vorgesehen ist, die von dieser Seite des Kammsegments hervorstehen, und der eine im eingebauten Zustand sichtbare Ansichtsfläche aufweist,

1HA/Hi1/Hi2M2

dadurch gekennzeichnet,

dass einwärts des Zinkenabschnitts auf der Ansichtsfläche des Grundkörpers wenigstens ein von der Ansichtsfläche optisch wahrnehmbar abgesetzter Warnabschnitt vorgesehen ist,

1HA/Hi1/Hi2M2.1

der mindestens ein Warnelement aus einem zu dem Material des Grundkörpers verschiedenen Material aufweist,

1HA/Hi1/Hi2M2.2

wobei der Warnabschnitt eine in der Ansichtsfläche des Grundkörpers vorgesehene Vertiefung aufweist,

1HA/Hi1/Hi2M2.2.1

in welche das Warnelement lösbar [nachfolgendes Wort ergänzt:] eingesetzt ist.“

1Hi1/Hi2M2.2.2

wobei die Tiefe der Vertiefung größer ist als die Höhe des Warnelements, und

1Hi2M2.2.3

wobei die Randkanten der Vertiefung zumindest abschnittsweise abgerundet sind.

28

3) Als Fachmann ist vorliegend ein Maschinenbauingenieur mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung von Fahrtreppen angesprochen.

29

4) Die vorliegenden Ansprüche 1 nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sind zulässig.

30

Der geltende Anspruch 1 vom 20. April 2009 (Hauptantrag) beruht auf den Merkmalen des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 und weiterhin der Merkmale der ebenfalls ursprünglich eingereichten Ansprüche 5 und 6.

31

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 umfasst zusätzlich zum Anspruch 1 nach Hauptantrag noch das Merkmal des Anspruchs 8 vom 20. April 2009, welcher dem Anspruch 10 der ursprünglich eingereichten Anmeldung entspricht.

32

Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 umfasst zusätzlich zum Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 das Merkmal des Anspruchs 9 vom 20. April 2009, welcher dem Anspruch 11 der ursprünglich eingereichten Anmeldung entspricht.

33

5) Die Gegenstände des geltenden Anspruchs 1 nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sind neu, allerdings beruhen sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG).

34

Aus der bereits im Prüfungsverfahren eingeführten Druckschrift  D3 (EP 634 354 A1) geht als Stand der Technik eine Kammplatte mit folgenden Merkmalen hervor:

35

- 1M HA/Hi1/Hi2: Kammsegment für eine Fahrtreppe: D3, Anspruch 1,dortige „combplate (Kammplatte) 10“

36

- 1 HA/Hi1/Hi2M1: mit einem Grundkörper (D3, „body“ (Körper) 28“), an dessen einer Seite ein Zinkenabschnitt (D3, „comb (Kammeinrichtung) 30“) mit einer Reihe von einzelnen Zinken (D3, Anspruch 1, „plurality of fingers (Mehrzahl von Fingern) 32“) vorgesehen ist, die von dieser Seite des Kammsegments (s. D3, Fig. 2) hervorstehen, und der eine im eingebauten Zustand sichtbare Ansichtsfläche (D3, Anspruch 1, „top surface (obere Oberfläche)“ aufweist.

37

- 1 HA/Hi1/Hi2M2: ein einwärts des Zinkenabschnitts (D3, „comb (Kammeinrichtung) 30“) auf der Ansichtsfläche des Grundkörpers („top surface (obere Oberfläche)“) wenigstens ein von der Ansichtsfläche optisch wahrnehmbar abgesetzter Warnabschnitt („polymericcoating (polymere Beschichtung) 34“ )

38

Folgende Merkmale des Anspruch 1 nach Hauptantrag bzw. nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sind im Stand der Technik nach D3 nicht enthalten:

39

- 1HA/Hi1/Hi2M2.1: Der Warnabschnitt weist mindestens ein Warnelement aus einem zu dem Material des Grundkörpers verschiedenen Material auf,

40

- 1HA/Hi1/Hi2M 2.2: wobei der Warnabschnitt eine in der Ansichtsfläche des Grundkörpers vorgesehene Vertiefung aufweist,

41

- 1HA/Hi1/Hi2M 2.2.1: in welche das Warnelement lösbar eingesetzt ist.

42

- 1Hi1/Hi2M2.2.2:wobei die Tiefe der Vertiefung größer ist als die Höhe des Warnelements, und

43

- 1Hi2M2.2.3:wobei die Randkanten der Vertiefung zumindest abschnittsweise abgerundet sind.

44

Zwar zeigt die D3 ebenfalls, wie in 1HA/Hi1/Hi2M2.1 aufgeführt, mit der „plurality of raised surfaces (Mehrzahl von erhabenen Flächen) 42“ Warnelemente aus einem zu dem Material des Grundkörpers verschiedenen Material auf. Diese Warnelemente sind gemäß D3, Spalte 3, Zeilen 24 bis 26 aus dem gleichen Material wie die „polymericcoating (Polymerbeschichtung) 34 “, und diese „defined sections of the coating 34 are exposed to the bath for extended periods of time (diese definierten Abschnitte der Beschichtung 34 sind dem Bad über längere Zeitdauern ausgesetzt worden)“, sind also aus anderem Material als der Grundkörper. Jedoch entspricht diese Ausgestaltung (hier: Erhebungen) in der D3 nicht dem im Weiteren definierten Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Hauptantrags bzw. der Hilfsanträge 1 und 2, nämlich dass das Warnelement in eine Vertiefung lösbar eingesetzt ist (Merkmale 1HA/Hi1/Hi2M2.2 und 1HA/Hi1/Hi2M2.2.1).

45

Allerdings weist die D3, dortige Spalte 1, Zeilen 33-36, bei der Nennung des Standes der Technik darauf hin, dass Folgendes bekannt sei: „In other cases cautionary colors are painted on either the steps or the landing entry (typically called the combplate) to highlight the difference in velocity between the parts. (In anderen Fällen werden Signalfarben entweder auf die Stufen oder dem Zugangspodest (das typischerweise als Kammplatte bezeichnet wird) aufgebracht, um den Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Teilen hervorzuheben)“. Gleich darauf folgt im nächsten Absatz (D3, Spalte 1, Zeilen 40-44): „In still other instances the steps are machined to accept cautionary colored plastic inserts which are typically riveted to the step. (In noch weiteren Fällen werden die Stufen maschinell bearbeitet, damit sie warnende, farbige Kunststoffeinsätze aufnehmen können, die typischerweise mit der Stufe vernietet werden)“.

46

Es ist also aus dem in der D3 angegebenen Stand der Technik (D3, Spalte 1, Zeilen 33-35) bekannt:

47

a) Signalfarbe alternativ an den Stufen oder den Kammplatten einzusetzen sowie

48

b) Kunststoffeinsätze an den Stufen vorzusehen.

49

Zwar werden gemäß der D3 die Stufen und nicht – wie gemäß dem Anspruch 1 des Hauptantrags bzw. der Hilfsanträge 1 und 2 - der Grundkörper/die Kammplatte mit Vertiefungen für ein Warnelement versehen. Es liegt - ohne erfinderisch tätig zu werden – aber im Können des Fachmanns, beim Wissen um die in der D3 genannten Möglichkeiten (farbige Kunststoffeinsätze an den Stufen, Farbe an Stufen oder Kammplatte), hier auch einen gleichwertigen Schritt in Betracht zu ziehen, nämlich Kunststoffeinsätze an den Kammplatten zu verwenden. Er ist auch veranlasst, diesen Schritt durchzuführen: Um den benannten Nachteil (D3, Spalte 1, Zeilen 42-44), nämlich die höheren Fertigungskosten beim Vorsehen von Kunststoffeinsätzen an allen Stufen zu vermeiden, wird er lediglich die beiden Kammplatten damit versehen. Dies erbringt den gleichen Sicherheitsgewinn bei geringerem Aufwand und damit eine bessere Wirtschaftlichkeit.

50

Bei den weiteren Merkmalen des Hauptanspruchs nach Hilfsantrags 1 bzw. nach Hilfsantrags 2, nämlich dem Merkmal 1Hi1/Hi2M2.2.2, wonach die Tiefe der Vertiefung größer ist als die Höhe des Warnelements, und dem Merkmal 1Hi2M2.2.3, gemäß dem die Randkanten der Vertiefung zumindest abschnittsweise abgerundet sind, handelt es sich um rein handwerkliche Maßnahmen. Der Fachmann ist bei Warnabschnitten („cautionary colored plastic inserts“) wie nach D3 aus seinem Fachwissen heraus immer vor die zwingende Wahl gestellt, diese Einsätze (inserts) erhaben, alternativ egalisiert oder (wie gemäß Merkmal 1Hi1/Hi2M2.2.2) eben vertieft in das Zugangspodest einzuarbeiten. Insbesondere ist er aber veranlasst, das Warnelement egalisiert oder leicht vertieft einzubringen, um Stolperstellen und das „Heraustreten“ der Warneinsätze zu vermeiden. Eben

51

so ist ihm bekannt und er wird dies im Rahmen der Konstruktion und Herstellung entsprechend anwenden, nicht nur die vorhandenen Kanten der Vertiefung zu brechen, sondern diese anzufasen oder alternativ dazu abzurunden, um hier eine Schnittgefahr – und ebenso wieder Stolperstellen - zu verhindern.

52

Damit beruhen weder die Gegenstände nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag noch die Gegenstände nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 oder 2 auf erfinderischer Tätigkeit.

53

Die jeweils geltenden Unteransprüche fallen mit dem entsprechenden Anspruch 1.