Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 20.02.2018


BPatG 20.02.2018 - 12 W (pat) 4/17

Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsdatum:
20.02.2018
Aktenzeichen:
12 W (pat) 4/17
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2018:200218B12Wpat4.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 103 24 138.8

hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Ganzenmüller, der Richterin Bayer sowie der Richter Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Phys. Univ. Schmidt

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Patentanmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A62B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. April 2015 aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 9, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2018,

Beschreibung Seiten 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2018,

und Zeichnungen (Fig. 1 bis Fig. 4), eingereicht am 21. Juli 2014.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin ist Anmelderin der am 26. Mai 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Patentanmeldung 103 24 138.8 mit der Bezeichnung

2

„Pneumatisches Sprungrettungsgerät“.

3

Die Prüfungsstelle für die Klasse A62B des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss vom 9. April 2015 zurückgewiesen und dabei zur Begründung angegeben, der Gegenstand des am 21. Juli 2014 eingereichten geltenden Anspruchs 1 sei nicht neu, u. a. deshalb, weil der kennzeichnende Teil keine technischen Merkmale aufweise und damit bei der Beurteilung der Patentfähigkeit unberücksichtigt bleibe.

4

Die Beschwerdeführerin beantragt in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018,

5

den Beschluss der Prüfungsstelle A62B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. April 2015 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

6

Patentansprüche 1 bis 9, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2018,

7

Beschreibung Seiten 1 bis 8, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2018,

8

und Zeichnungen (Fig. 1 bis Fig. 4), eingereicht am 21. Juli 2014.

9

Der nunmehr geltende Anspruch 1 lautet:

10

Pneumatisches Sprungrettungsgerät für die Rettung von Personen,

11

- mit einer Auffangfläche (20), die aus einem reißfesten Material gebildet ist,

12

- mit einem formgebenden Gerippe aus aufblasbaren, biegsamen Schlauchstücken (22), das die Auffangfläche (20) trägt und

13

- mit einer Bodenfläche, mit der das Sprungrettungsgerät auf einem Untergrund am Einsatzort aufliegt,

14

wobei die Auffangfläche (20) in zumindest drei Bereiche unterteilt ist, die eine unterschiedliche Farbe haben, die Bereiche jeweils in einheitlicher Farbe ausgeführt sind, einer dieser zumindest drei Bereiche ein mittiger Bereich (26) ist, der mittige Bereich (26) eine Kreisfläche ist, und der mittige Bereich in der hellsten Farbe ausgeführt ist, dadurch gekennzeichnet, dass daran anschließend mindestens zwei ringförmige Bereiche vorgesehen sind, die konzentrisch zum mittigen Bereich (26) angeordnet sind, und dass diese an den mittigen Bereich sich anschließenden, weiter von der Mitte entfernten ringförmigen Bereiche jeweils eine dunklere Farbe haben als näher an der Mitte liegende Bereiche.

15

Auf diesen Anspruch sind die Ansprüche2 bis 9 direkt oder indirekt rückbezogen.

16

Die folgenden Entgegenhaltungen sind im Verfahren:

17

D1 DE 100 29 193 A1

18

D2 DE 93 02 327 U1

19

D3 JP H08 107 938 A

20

D4 DE 39 37 401 A1

21

D5 US 761,806

22

D6 US 952,871

23

D7 Peter Lorsbach: Sprungretter System Lorsbach, brandschutz/Deutsche Feuerwehr Zeitung 3/1988, Seiten 126 bis 128.

24

Zur Fassung der Unteransprüche und den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

25

Die zulässige Beschwerde der Patentanmelderin hat insoweit Erfolg, als das Patent mit den Unterlagen nach Hauptantrag erteilt wird.

26

1. Die Erfindung betrifft laut Anmeldung, siehe Absatz 0001 der Offenlegungsschrift (OS), ein pneumatisches Sprungrettungsgerät für die Rettung von Personen.

27

2. Als Stand der Technik nennt die Anmeldung, siehe OS Absatz 0002, die US 3 603 430, EP 200 998 B2, JP 5100297 und JP 50069898. Zusätzlich verweist sie auf ein Sprungrettungsgerät der Firma Z… mit einer quadratischen Auffangfläche, die zur Zielmarkierung eine schmale Kreislinie von etwa 2 cm hat, welche in einer dunkleren Farbe ausgeführt ist.

28

3. Als der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe ist in Absatz 0004 OS insbesondere angegeben, das bekannte pneumatische Sprungrettungsgerät so fortzubilden, dass es sich besser von der Umgebung, in der es aufgestellt ist, abhebt, insbesondere bei Draufsicht.

29

4. Gelöst wird die Aufgabe mit den Merkmalen des geltenden Anspruchs 1, der in gegliederter Fassung lautet:

30

M1 Pneumatisches Sprungrettungsgerät für die Rettung von Personen,

31

- mit einer Auffangfläche (20), die aus einem reißfesten Material gebildet ist,

32

- mit einem formgebenden Gerippe aus aufblasbaren, biegsamen Schlauchstücken (22), das die Auffangfläche (20) trägt und

33

- mit einer Bodenfläche, mit der das Sprungrettungsgerät auf einem Untergrund am Einsatzort aufliegt,

34

M2 wobei die Auffangfläche (20) in zumindest drei Bereiche unterteilt ist, die eine unterschiedliche Farbe haben,

35

M3 die Bereiche jeweils in einheitlicher Farbe ausgeführt sind,

36

M4 einer dieser zumindest drei Bereiche ein mittiger Bereich (26) ist,

37

M5 der mittige Bereich 26) eine Kreisfläche ist, und

38

M6 der mittige Bereich in der hellsten Farbe ausgeführt ist,

39

dadurch gekennzeichnet, dass

40

M7 daran anschließend mindestens zwei ringförmige Bereiche vorgesehen sind, die konzentrisch zum mittigen Bereich (26) angeordnet sind, und

41

M8 dass diese an den mittigen Bereich sich anschließenden, weiter von der Mitte entfernten ringförmigen Bereiche jeweils eine dunklere Farbe haben als näher an der Mitte liegende Bereiche.

42

5. Der angesprochene Fachmann ist ein Maschinenbau-Ingenieur mit Berufserfahrung in der Entwicklung von Sprungrettungsgeräten.

43

Nach dem Verständnis des Fachmanns soll die gestellte Aufgabe durch eine bestimmte Farbgebung der Auffangfläche gelöst werden, nämlich mit einer Kreisfläche, die in der Mitte der Auffangfläche liegt, sowie mindestens zwei daran anschließenden ringförmigen Bereichen, wobei sich die Farben der einzelnen Bereiche derart unterscheiden, dass sie von innen nach außen dunkler werden.

44

6. Die geltenden Ansprüche sind zulässig, da sie den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern (§ 38 PatG).

45

Die Merkmale M1, M2, M4 und M6 des geltenden Anspruchs 1 sind bis auf sprachliche Anpassungen identisch mit den Merkmalen des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1.

46

Das Merkmal M3 ist dem ursprünglichen Anspruch 6, das Merkmal M5 dem ursprünglichen Anspruch 2 entnommen.

47

Die Merkmale M7 und M8, wonach

48

daran anschließend mindestens zwei ringförmige Bereiche vorgesehen sind, die konzentrisch zum mittigen Bereich (26) angeordnet sind, und

49

dass diese an den mittigen Bereich sich anschließenden, weiter von der Mitte entfernten ringförmigen Bereiche jeweils eine dunklere Farbe haben als näher an der Mitte liegende Bereiche,

50

lassen sich den Figuren 1, 2, 3 und 5 sowie der dazugehörigen Figurenbeschreibung der ursprünglich eingereichten Unterlagen entnehmen.

51

Die weiteren Merkmale der auf den geltenden Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 9 sind den ursprünglichen Ansprüchen 3, 4, 5, 9, 10 und 11 entnommen.

52

7. Technischer Charakter der Erfindung (§ 1 PatG)

53

Sprungrettungsgeräte sind Vorrichtungen zur Rettung von Personen im Brandfall. Ihnen kann grundsätzlich ein technischen Charakter zugestanden werden. Vorliegend weist auch die optische Gestaltung der Auffangfläche, wie sie in den Merkmalen M2 bis M8 Niederschlag gefunden hat, ebenfalls einen technischen Charakter auf.

54

Sprungrettungsgeräte werden eingesetzt, um Personen aus brennenden Gebäuden zu retten. Dabei kann die Sicht durch vorhandenen Rauch eingeschränkt sein. Die verwendeten Sprungrettungsgeräte müssen daher neben anderen Eigenschaften eine ausreichende Sichtbarkeit gerade auch bei schlechten Sichtverhältnissen aufweisen. Der vorliegenden Erfindung liegt die technische Aufgabe zugrunde, die Sichtbarkeit des Sprungrettungsgeräts zu erhöhen.

55

Zur Lösung dieser technischen Aufgabe schlägt die Anmeldung vor, auf der Auffangfläche ein farbiges Muster aufzubringen, bestehend aus einem Kreis in der Mitte der Auffangfläche und daran anschließenden konzentrischen Ringen, wobei Kreis und Ringe jeweils einfarbig sind und der Kreis die hellste Farbe hat, während die Farbe der Ringe nach außen hin dunkler wird.

56

In ihrer Zurückweisung führt die Prüfungsstelle an, dass es aus dem Stand der Technik bekannt sei, die Mitte der Auffangfläche mit einem Kreis zu markieren. Eine weitergehende Verwendung von Formen oder Farben würde dem Sprungrettungsgerät keine technischen Merkmale hinzufügen, sondern eine ästhetische Formschöpfung im Sinne von § 1 PatG darstellen. Zur Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit müssten alle Merkmale unberücksichtigt bleiben, die lediglich die optische Gestaltung der Auffangfläche betreffen.

57

Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an.

58

Bei der vorliegenden Erfindung liegt der optischen Gestaltung der Auffangfläche eben die Aufgabe zugrunde, die Sichtbarkeit der Auffangfläche zu erhöhen und damit die Funktion des Sprungrettungsgeräts zu verbessern. Eine ästhetische Formschöpfung als solche im Sinne des § 1 PatG liegt somit nicht vor.

59

Auch betrifft die optische Gestaltung der Auffangfläche nicht lediglich die Art und Weise einer visuellen Information. Sie stellt vielmehr eine Anweisung dar … „die auf die physischen Gegebenheiten der menschlichen Wahrnehmung und Aufnahme von Informationen Rücksicht nimmt und dabei darauf gerichtet ist, die Wahrnehmung der gezeigten Information durch den Menschen in bestimmter Weise überhaupt erst zu ermöglichen, zu verbessern.“ Dies dient der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln (siehe Bildstrom, BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – X ZR 37/13 – BPatGE 54, 304).

60

Dabei übersieht der Senat nicht, dass mit der farblichen Gestaltung der Auffangfläche nach den Merkmalen M2 bis M8 möglicherweise auch andere, nicht-technische Wirkungen erzielt werden. Allerdings genügt diese Tatsache nicht, um eine Technizität der Merkmale M2 bis M8 insgesamt zu verneinen.

61

Der technische Charakter der vorliegenden Erfindung ist daher zu bejahen.

62

8. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu (§ 3 PatG) und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG).

63

Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften zeigt die Merkmale, dass

64

daran anschließend mindestens zwei ringförmige Bereiche vorgesehen sind, die konzentrisch zum mittigen Bereich (26) angeordnet sind, (fehlendes Merkmal M7) und

65

dass diese an den mittigen Bereich sich anschließenden, weiter von der Mitte entfernten ringförmigen Bereiche jeweils eine dunklere Farbe haben als näher an der Mitte liegende Bereiche (fehlendes Merkmal M8).

66

Da keine der Druckschriften einen Hinweis auf die fehlenden Merkmale M7 und M8 gibt, führt auch eine beliebige Zusammenschau, auch in Verbindung mit Fachwissen, nicht zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.

67

9. Mit dem gewährbaren Anspruch 1 sind auch die auf diesen Anspruch rückbezogenen Unteransprüche gewährbar, da sie nichttriviale Ausgestaltungen des Erfindungsgegenstandes betreffen.