Entscheidungsdatum: 17.06.2010
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 100 66 391.5
…
hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Ipfelkofer, der Richterin Bayer sowie der Richter Dr.-Ing. Baumgart und Dr.-Ing. Krüger
beschlossen:
Die Beschwerde des Anmelders gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B04B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2003 wird, soweit sie die Teilanmeldung 10066391 betrifft, zurückgewiesen.
I
Der Beschwerdeführer ist Anmelder der Patentanmeldung 100 66 391.5 mit der Bezeichnung
„Schubzentrifuge“.
Diese ist am 1. März 2007 durch Teilung aus der Anmeldung 100 43 077.5 mit gleicher Bezeichnung hervorgegangen, die am 1. September 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen ist und die Priorität der früheren Patentanmeldung 199 47 606.3 vom 4. Oktober 1999 in Anspruch nimmt.
Mit Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B04B vom 17. Dezember 2003 wurde die Stammanmeldung 100 43 077.5 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 27. Februar 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Beschwerde des Anmelders.
Der Anmelder hat die Stammanmeldung ein weiteres Mal am 25. September 2007 geteilt. Mit Beschluss vom 9. September 2009 hat der 12. Senat des Bundespatentgerichts die Verfahren betreffend die Teilanmeldungen 100 66 391.5 und 100 66 416.4 abgetrennt.
Der Anmelder beantragt zuletzt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B04B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 17. Dezember 2003 in dem die Teilanmeldung 100 66 391 betreffenden Umfang aufzuheben und hinsichtlich der Teilanmeldung 100 66 391 ein Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 7 vom 15. Juni 2010, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2010, Beschreibung, Seiten 1 und 2 vom 2. Juni 2010, eingegangen am 9. Juni 2010 sowie die Seiten 3 bis 6 und Zeichnung mit Figuren 1 bis 2b, eingegangen am 1. März 2007.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
Schubzentrifuge mit einem Schubboden (25) und einer Materialführungsfläche (23) zur Festflüssigtrennung von verschiedenen Materialien mit einer flüssigkeitsdichten Wanne (26), in welcher eine mit dem Schubboden (25) und der Materialführungsfläche (23) ausgestattete Aufnahmetrommel (21), welche über ein Mantelteil (19) aus Spaltsieben verfügt, angeordnet ist, wobei der Schubboden (25) und die Materialführungsfläche (23) längs verschiebbar sind, wobei in die Aufnahmetrommel (21) eingebrachtes Material, das sich an die Materialführungsfläche (21) anlegt, mittels des periodisch heb- und senkbaren Schubbodens (25) nach oben geschoben wird und über einen oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) durch einen von einem Flüssigkeitsauslauf getrennten Materialauslauf (12) die Schubzentrifuge verlässt und eine Einrichtung (36) zum mechanischen Austrag der Feststoffe vorgesehen ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der mechanische Austrag durch komplettes Hochfahren des Schubbodens (25) bis zum oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) erfolgt.
Die Ansprüche 2 bis 7 sind mittelbar oder unmittelbar auf den geltenden Anspruch 1 rückbezogen.
Im Verfahren sind unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen:
E1: DE 197 07 388 A1
E8: DE 89 08 470 U1
E12: DE 1073964 A
Wegen des Wortlauts der rückbezogenen Ansprüche und wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II
1) Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist auch im Übrigen zulässig; sie hat jedoch hinsichtlich der Teilanmeldung 100 66 391 keinen Erfolg.
2) Die Teilung wurde hinsichtlich der Teilanmeldung 100 66 391 wirksam erklärt.
3) Der Senat ist zuständig für die Entscheidung über die Teilanmeldung, weil deren Gegenstand mit der Beschwerde in der Beschwerdeinstanz angefallen ist (BGH GRUR 1998, 458 - Textdatenwiedergabe).
4) Der geltende Anspruch 1 lässt sich wie folgt gliedern:
M1 Schubzentrifuge mit einem Schubboden (25) und einer Materialführungsfläche (23) zur Festflüssigtrennung von verschiedenen Materialien
M2 mit einer flüssigkeitsdichten Wanne (26), in welcher eine mit dem Schubboden (25) und der Materialführungsfläche (23) ausgestattete Aufnahmetrommel (21), welche über ein Mantelteil (19) aus Spaltsieben verfügt, angeordnet ist,
M3 wobei der Schubboden (25) und die Materialführungsfläche (23) längs verschiebbar sind,
M4 wobei in die Aufnahmetrommel (21) eingebrachtes Material, das sich an die Materialführungsfläche (21)[23] anlegt, mittels des periodisch heb- und senkbaren Schubbodens (25) nach oben geschoben wird und über einen oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) durch einen von einem Flüssigkeitsauslauf getrennten Materialauslauf (12) die Schubzentrifuge verlässt
M5 und eine Einrichtung (36) zum mechanischen Austrag der Feststoffe vorgesehen ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
M6 der mechanische Austrag durch komplettes Hochfahren des Schubbodens (25) bis zum oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) erfolgt.
5) Als Fachmann ist vorliegend ein Maschinenbau-Ingenieur (FH) mit Erfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Schubzentrifugen angesprochen.
6) Zum Verständnis des geltenden Anspruchs 1
Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist gemäß den Merkmalen M1 bis M4 eine Schubzentrifuge zur Festflüssigtrennung von verschiedenen Materialien. Diese weist eine mit einem Schubboden (25) ausgestattete Aufnahmetrommel (21) auf. Im Betrieb der Schubzentrifuge werden der Aufnahmetrommel (21) Materialien zugeführt, die sich infolge der Fliehkraftwirkung ringförmig an den Mantel (15) der Aufnahmetrommel (21) anlegen. Der Schubboden (25) schiebt diese mittels einer - im Vergleich zur Höhe der Aufnahmetrommel kleineren - periodischen Heb- und Senkbewegung mit jedem Heben ein Stück nach oben und fördert sie so absatzweise über den oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) aus dieser heraus (geltende Unterlagen, Beschreibung Seite 3, 2. Absatz, bis Seite 4, 2. Absatz).
Weiter ist gemäß Merkmal M5 eine Einrichtung (36) zum mechanischen Austrag der Feststoffe vorgesehen. Dies soll bei einem Materialwechsel eine sortenreine Trennung der Feststoffe ermöglichen (geltende Unterlagen, Beschreibung Seite 2, 1. Absatz). Es handelt sich dabei also - im Gegensatz zu dem im kontinuierlichen Betrieb der Schubzentrifuge durch die periodische Heb- und Senkbewegung des Schubbodens erfolgenden Materialaustrag mit begrenztem Hubweg - um einen vollständigen Austrag der Feststoffe mit einer einzigen Hubbewegung.
Erfindungsgemäß erfolgt nach Merkmal M6 der mechanische Austrag durch komplettes Hochfahren des Schubbodens (25) bis zum oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21). Merkmal M6 ist als Verfahrensschritt formuliert. Der Fachmann erkennt hier jedoch wenigstens insoweit ein gegenständliches Merkmal, als dafür die Schubzentrifuge so aufgebaut sein muss, dass ein komplettes Hochfahren des Schubbodens bis zum oberen Rand der Aufnahmetrommel möglich ist.
7) Die geltenden Ansprüche sind zulässig.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ergibt sich aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 4 sowie aus Seite 4 der ursprünglich eingereichten Beschreibung in Verbindung mit der Figur 1.
Die Gegenstände der geltenden Ansprüche 2 bis 7 ergeben sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 4 bis 9.
8) Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu gemäß § 3 PatG, denn keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen offenbart eine Schubzentrifuge mit sämtlichen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1.
9) Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG.
Die E1 offenbart, siehe den Anspruch 1, die Figur 1 und die Beschreibung, Spalte 2, Zeile 57, bis Spalte 3, Zeile 16, eine Schubzentrifuge mit einem Schubboden (25) und einer Materialführungsfläche (23) zur Festflüssigtrennung von verschiedenen Materialien, mit einer flüssigkeitsdichten Wanne (26), in welcher eine mit dem Schubboden (25) und der Materialführungsfläche (23) ausgestattete Aufnahmetrommel (21), welche über ein Mantelteil (19) aus Spaltsieben verfügt, angeordnet ist, wobei der Schubboden (25) und die Materialführungsfläche (23) längs verschiebbar sind, entsprechend den Merkmalen M1 bis M3.
Die E1 offenbart weiter, siehe die Figur 1 und Spalte 3, Zeilen 17 bis 44, dass in die Aufnahmetrommel (21) eingebrachtes Material, das sich an die Materialführungsfläche (23) anlegt, mittels des periodisch heb- und senkbaren Schubbodens (25) absatzweise nach oben geschoben wird und über einen oberen Rand (22) der Aufnahmetrommel (21) durch einen von einem Flüssigkeitsauslauf getrennten Materialauslauf (12) die Schubzentrifuge verlässt, entsprechend Merkmal M4.
Die E1 offenbart auch eine Einrichtung zum vollständigen Austrag der Feststoffe, insoweit entsprechend Merkmal M5. Diese ist im Fall der E1, siehe Spalte 1, Zeilen 59 bis 66, und die Figur 2 in Verbindung mit Spalte 4, Zeilen 22 bis 32, als pneumatischer Austrag in Form eines Sauggebläses (34) mit einem Saugrüssel (32) ausgeführt, der zur vollständigen Entleerung der Aufnahmetrommel das Restmaterial absaugt.
Davon unterscheidet sich der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 dadurch, dass der für die vollständige Entleerung vorgesehene Austrag der Feststoffe nicht durch einen Saugrüssel, sondern gemäß den Merkmalen M5 und M6 als mechanischer Austrag durch komplettes Hochfahren des Schubbodens bis zum oberen Rand der Aufnahmetrommel erfolgt.
Diese Lösung offenbart die E1 nicht. Der Fachmann hatte jedoch einen Anlass, nach einer Alternative zu dem in E1 offenbarten Saugrüssel zu suchen:
Die E1 nennt als Stand der Technik und Ausgangspunkt der in E1 beschriebenen Schubzentrifuge in Spalte 1, Zeilen 5 ff., die E8, die eine Schubzentrifuge zum Entölen von Metallspänen offenbart. Der Fachmann, der zum besseren Verständnis der Schubzentrifuge nach E1 auch die E8 zu Rate zieht, entnimmt der E8, siehe Seite 3, letzter Absatz, dass solche Metallspäne sich verklumpen und zusammenballen können.
Da solchermaßen verklumpte und zusammengeballte Metallspäne sich nicht mit einem Saugrüssel absaugen lassen, sucht der Fachmann je nach Beschaffenheit des zentrifugierten Austragsguts nach anderen Lösungen, welche die gemäß E1 bei einem Materialwechsel vorgesehene vollständige Entleerung der Schubzentrifuge ermöglichen.
Er stößt dabei auf die E12. Diese offenbart, siehe die Bezeichnung und Spalte 1, Zeilen 36 bis 49, eine Schubzentrifuge, die absatzweise betrieben wird, bei der also die Trommel abwechselnd erst gefüllt und dann vollständig entleert wird.
Für diese vollständige Entleerung ist in E12 eine Einrichtung zum mechanischen Austrag der Feststoffe vorgesehen, wobei der mechanische Austrag gemäß dem Ausführungsbeispiel, Figur 1 und Spalte 1, Zeilen 41 bis 46, dadurch erfolgt, dass der Mantel (3) der Aufnahmetrommel komplett, nämlich mit seinem oberen Rand bis zum Boden (15) heruntergefahren wird, siehe in der Figur 1 die links gezeigte Auswurfstellung.
Der Fachmann entnimmt der E12 weiter, siehe Spalte 1, Zeilen 1 bis 4, dass auch umgekehrt, anstelle der Verschiebung des Mantels (3) der Aufnahmetrommel nach unten, eine mitumlaufende Ausschubvorrichtung, also im Ausführungsbeispiel der Boden (15), nach oben verschoben werden kann.
Er erhält so aus E12 die Anregung, bei der aus E1 bekannten Schubzentrifuge mit Schubboden (25) die in E1 zur vollständigen Entleerung vorgesehene Absaugung zu ersetzen durch eine Einrichtung zum mechanischen Austrag der Feststoffe, der entsprechend den Merkmalen M5 und M6 durch komplettes Hochfahren des Schubbodens bis zum oberen Rand der Aufnahmetrommel erfolgt. Er gelangt so ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die E12 einen geeigneten Antrieb zum Hochfahren eines Schubbodens nicht offenbart; denn die aus E1 bekannte Schubzentrifuge verfügt bereits über einen hydraulischen Antrieb zum Heben und Senken ihres Schubbodens (25), siehe Spalte 1, Zeile 67, bis Spalte 2, Zeile 26, bei dem zum kompletten Hochfahren des Schubbodens (25) lediglich der Hub verlängert werden muss.
Auch die Tatsache, dass die E12 fast 40 Jahre vor dem Prioritätstag der Teilanmeldung 100 66 391 veröffentlicht wurde, kann nicht als Indiz für erfinderische Tätigkeit gewertet werden, da der Fachmann, wie oben ausgeführt, erst durch die Lehre der lediglich zwei Jahre vor dem Prioritätstag veröffentlichten E1 dazu angeregt wurde, zur vollständigen Entleerung einer ansonsten kontinuierlich arbeitenden Schubzentrifuge gemäß E1 nach einer anderen Lösung als dem dort offenbarten, für verklumpte Metallspäne nicht geeigneten Saugrüssel zu suchen.
10) Mit dem Anspruch 1 fallen auch die rückbezogenen Ansprüche, da diese zusammen mit dem Anspruch 1 Gegenstand desselben Antrags auf Erteilung des Patents sind, und über einen Antrag auf Erteilung eines Patents nur als Ganzes entschieden werden kann.