Entscheidungsdatum: 22.09.2011
In der Einspruchssache
betreffend das Patent DE 199 48 535
…
hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. W. Maier sowie der Richter v. Zglinitzki, Dipl.-Ing. (Univ.) Rothe und Dipl.-Ing. (Univ.) Fetterroll
beschlossen:
Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.
I.
Beim Deutschen Patent- und Markenamt ist am 25. April 2006 gegen das auf die Anmeldung vom 8. Oktober 1999 erteilte Patent DE 199 48 535 mit der Bezeichnung „Vakuumisolierte Entnahmeeinrichtung für tiefkaltes Flüssiggas aus Kryo-Lagerbehältern“, dessen Erteilung am 2. Februar 2006 veröffentlicht wurde, Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende trägt zur Begründung vor, der Gegenstand der Erfindung sei nicht neu, beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Auch sei im nachgeordneten Patentanspruch 2 der Begriff „Standard-Vakuum-Absperrventil“ aus dem Stand der Technik nicht eindeutig bestimmbar.
Zum Stand der Technik beruft sich die Einsprechende auf die Vorbenutzung eines Flüssigwasserstoff-Speicherbehälters, der von ihr im Juli 1998 an die Flughafen München GmbH geliefert worden sei und zum Komplex der auf dem Gelände des Münchner Flughafens errichteten ersten Wasserstoff-Tankstelle Deutschlands gehört habe. Diese Wasserstoff-Tankstelle habe sowohl im Rahmen der feierlichen Eröffnung am 5. Mai 1999 als auch bei einer Vielzahl von Veranstaltungen von interessierten (Fach)Besuchern besichtigt werden können.
Hierzu hat sie mit dem Einspruchsschriftsatz folgende Entgegenhaltungen vorgelegt:
D1a Konstruktionszeichnung eines vakuumisolierten Behälters vom 9. März 1998;
D1b, D1c Konstruktionszeichnungen der Beschilderung für LH2-Drucktank (Schema) vom 14. April 1998
D2a, D2b, D2c 3 Fotos „Flüssigwasserstoffversorgung Linde“ (undatiert).
Die Einsprechende vertritt die Auffassung, ein Durchschnittsfachmann habe beim Betrachten des in Rede stehenden Flüssigwasserstoff-Speicherbehälters sowie des an seiner Außenseite angebrachten Fließschemas D1b die vermeintliche Erfindung erkennen können.
Sie beantragt,
das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
den Einspruch als unzulässig zu verwerfen,
anderenfalls das Patent aufrechtzuerhalten.
Die erteilten Patentansprüche lauten:
1. Vakuumisolierte Entnahmeeinrichtung für tiefkaltes Flüssiggas aus Kryo-Lagerbehältern, insbesondere aus Kaltvergasern oder Kältetanks,
mit einem das tiefkalte Flüssiggas lagernden Innenbehälter
und einem durch einen mit Perlite-Isolierung versehenen Vakuumraum von dem Innenbehälter getrennten Außenbehälter,
gekennzeichnet dadurch,
dass die Entnahmeeinrichtung ein Absperrventil (1) ist
und das Absperrventil (1) in dem zwischen dem Innen- und Außenbehälter (5, 6) ausgebildeten Vakuumraum (7) des Kryo-Lagerbehälters angeordnet ist.
2. Entnahmeeinrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Absperrventil (1) ein Standard-Vakuum-Absperrventil ist.
3. Verwendung eines Absperrventils (1) zur Anordnung in dem zwischen dem Innen- und Außenbehälter (5, 6) ausgebildeten Vakuumraum (7) eines Kryo-Lagerbehälters.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Patentschrift sowie die Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen.
II.
Der Einspruch ist unzulässig.
Der Einspruch ist zwar gemäß § 59 Abs. 1 Satz 3 PatG auf Widerrufsgründe gestützt, nämlich mangelnde Neuheit der Erfindung und Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. §§ 1, 3, 4 PatG) sowie hinsichtlich des nachgeordneten Patentanspruchs 2 unzureichende Offenbarung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG), diese sind aber innerhalb der Einspruchsfrist nicht ausreichend substantiiert worden (§ 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 PatG).
Die Zulässigkeit des Einspruchs erfordert gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG, dass die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen sollen, im Einzelnen angegeben werden. Eine Einspruchsbegründung genügt dieser gesetzlichen Voraussetzung nur dann, wenn sie die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe erheblichen Umstände im Einzelnen so darlegt, dass der Patentinhaber und das Patentamt oder gegebenenfalls das Patentgericht daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne eigene Ermittlungen ziehen können (st. Rspr. s. Schulte, Patentgesetz, 8. Auflage 2008, § 59 Rdn. 93, 94 m. w. N.).
1. Die Einsprechende hat im Einspruchsschriftsatz bezüglich der Widerrufsgründe nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG jedoch nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass der Gegenstand der von ihr behaupteten Vorbenutzung zur Zeit der Anmeldung des angegriffenen Patents gemäß § 3 Abs. 1 PatG zum Stand der Technik gehörte.
Die Begründung eines Einspruchs, der sich auf offenkundige Vorbenutzung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 PatG) beruft, muss zur Substantiierung im Einzelnen dargestellte Tatsachen enthalten, welche die konkreten Umstände erkennen lassen, aus denen sich die behauptete Benutzung nach Art und Zeit sowie die öffentliche Zugänglichkeit ergeben sollen. Insbesondere muss ersichtlich sein, welche Personen auf welche Art und Weise von dem Gegenstand der Benutzung vor dem Anmeldetag Kenntnis erlangt haben sollen (vgl. BGH BlPMZ 1987, 203, 204 re. Sp. - Streichgarn; Schulte a. a. O. Rdn. 118).
Der Senat geht hier davon aus, dass die Einsprechende den Gegenstand, den Ort und einen Zeitpunkt der Vorbenutzung in der Einspruchsschrift konkret genug beschrieben hat.
Demnach ist ein vakuumisolierter Flüssigwasserstoff-Speicherbehälter gemäß den Konstruktionszeichnungen D1a, D1b und D1c mit Absperrventilen in isolierten Leitungsbereichen - angeblich innerhalb des Speicherbehälter-Vakuumraumes - als Teil einer Wasserstoff-Tankstelle auf dem Münchener Flughafen installiert und in Betrieb genommen worden.
Soweit die Einsprechende vorträgt, im Juli 1998 sei „ein gattungsgemäßer Speicherbehälter, der für die Speicherung von Flüssigwasserstoff geeignet ist, an die Flughafen München GmbH geliefert“ worden und die Wasserstoff-Tankstelle habe „auch bei einer Vielzahl von Veranstaltungen von interessierten (Fach)Besuchern besichtigt werden“ können, fehlt allerdings eine hinreichende zeitliche Substantiierung hinsichtlich einer öffentlichen Zugänglichkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 PatG). Als Zeitpunkt einer Vorbenutzung hat die Einsprechende lediglich das Datum der feierlichen Eröffnung am 5. Mai 1999 konkret benannt. Es reicht zwar aus, nur eine einzelne Benutzungshandlung nach Gegenstand, Umständen und Zeit zu konkretisieren (vgl. BGH BlPMZ 1998, 201, 202 li. Sp. - Tabakdose). Aber dann kann hier auch nur diese behauptete Benutzung für die Frage der öffentlichen Zugänglichkeit in Betracht gezogen werden.
Eine öffentliche Zugänglichkeit der Flüssigwasserstoff-Speichereinrichtung anlässlich der feierlichen Eröffnung wird in der Einspruchsschrift aber nicht konkretisiert. Die Einsprechende hat lediglich angegeben, die Wasserstoff-Tankstelle habe im Rahmen der feierlichen Eröffnung am 5. Mai 1999 von interessierten (Fach)Besuchern besichtigt werden können. Daraus ergibt sich jedoch keineswegs, dass die Besucher den Speicherbehälter, die Absperrventile und deren Funktionsweise wie auf dem angebrachten - D1b entsprechenden - Fließschema dargestellt überhaupt sehen konnten.
Die feierliche Eröffnung der ersten Wasserstoff-Tankstelle Deutschlands war im Jahr 1999 wegen seiner richtungsweisenden Bedeutung für alternative Fahrzeugantriebskonzepte auch ein Politikum, zu dem zahlreiche Besucher erschienen sind, die nicht als Fachleute angesehen werden können. Bei solchen Anlässen findet normalerweise auf der Vorderseite ein Empfang mit Reden und Sekt statt, aber keine technische Vorführung der gesamten Anlage, zumal Flüssigwasserstoff-Anlagen wegen Feuer- und Explosionsgefahr hohen Sicherheitsanforderungen unterliegen und nicht frei zugänglich sein dürfen. Von einer Tankstelle sieht man üblicherweise nur den unmittelbar für die Tankbefüllung vorgesehenen Teil. Die Einsprechende hat in der mündlichen Verhandlung zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass bei allen Wasserstoff-Tankstellen die Wasserstoff-Behälter unmittelbar daneben stehen. Das bedeutet aber nicht, dass sie sichtbar und zugänglich sind. Vernünftigerweise liegen die Flüssigwasserstoff-Speicherbehälter unzugänglich abgetrennt auf der Rückseite der Tankanlage. Auf den (undatierten) Fotos D2a, D2b und D2c sieht man auch deutlich eine Trennwand. Wenn in der geschlossenen Anlage dahinter das Fließschema gemäß D1b so angebracht war, wie die Einsprechende an Hand des Fotos D2a behauptet, war es jedenfalls unter gewöhnlichen Umständen für die Besucher der feierlichen Eröffnung nicht zugänglich. Einen gegebenenfalls anderen außergewöhnlichen Sachverhalt hätte die Einsprechende innerhalb der Einspruchsfrist substantiiert darlegen müssen (vgl. Schulte a. a. O. Rdn. 124, 125).
2. Die Einsprechende hat sich auf Grund der geltend gemachten Vorbenutzung im Einspruchsschriftsatz auch nicht hinreichend mit der Gesamtheit der Erfindung des angegriffenen Patents hinsichtlich der angeblich mangelnden Neuheit auseinandergesetzt. Denn weder aus ihrem Vorbringen noch aus den entgegengehaltenen Unterlagen kann ein „mit Perlite-Isolierung versehener Vakuumraum“ entnommen werden.
Zur Substantiierung reicht die Auseinandersetzung mit dem Kern der Erfindung aus (vgl. Schulte a. a. O. Rdn. 98). Ob die Perlite-Isolierung nicht zum Kern der Erfindung gehört, erscheint jedoch zweifelhaft. Die Patentinhaberin hat sie zwar in der Patentschrift (Beschreibung Absatz 2) als im Stand der Technik bekannt bezeichnet. Der Senat hat aber das Merkmal eines mit Perlite-Isolierung versehenen Vakuumraumes nicht ermitteln können. Auch die Einsprechende hat einen derartigen Stand der Technik nicht vorzulegen vermocht.
3. Die Ausführungen der Einsprechenden zur „Erfindungshöhe“ im Einspruchsschriftsatz sind bezüglich des Widerrufsgrundes fehlender erfinderischer Tätigkeit ebenfalls nicht substantiiert. Denn entweder stützen sie sich auf die vorangehend ungenügend beschriebene offenkundige Vorbenutzung oder sie nennen überhaupt keinen Stand der Technik (vgl. dazu: Schulte a. a. O. Rdn. 103).
4. Letztlich ist im Einspruchsschriftsatz auch zum Widerrufsgrund unzureichender Offenbarung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG nicht substantiiert vorgetragen worden.
Das Vorbringen der Einsprechenden erscheint widersprüchlich. Einerseits nimmt die Einsprechende an, der Gegenstand des abhängigen Anspruchs 2 sei nicht so deutlich offenbart, dass ihn ein Fachmann ausführen könne, weil eine eindeutige Klassifizierung von aus dem Stand der Technik bekannten und im Handel erhältlichen Absperrventilen als „Standard-Vakuum-Absperrventil“ nicht möglich sein dürfte. Andererseits führt die Einsprechende zuvor aber gerade aus, dem Merkmal „Standard-Vakuum-Absperrventil“ könne keine erfinderische Tätigkeit zugestanden werden, da ein Fachmann - wenn immer dies möglich sei - versuchen werde, für alle erforderlichen Bauteile oder Komponenten sog. „Standard-Komponenten“ zu verwenden. Offensichtlich wird der Fachmann ohne Weiteres in der Lage sein, aus dem Marktangebot passende und geeignete Absperrventile für vakuumisolierte Entnahmeeinrichtungen für tiefkaltes Flüssiggas aus Kryo-Lagerbehältern auszuwählen.
Der Einspruch muss somit als unzulässig verworfen werden.