Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 16.10.2012


BPatG 16.10.2012 - 10 W (pat) 22/10

Patentbeschwerdeverfahren – Antrag auf Weiterbehandlung (§ 123a PatG) - "Weiterbehandlung II" – zur Nachholung der versäumten Handlung - Fristgesuch stellt nicht die nachzuholende Handlung dar - dies gilt auch, wenn der Zurückweisungsbeschluss unter Nichtbeachtung eines zuvor beim Patentamt eingegangenen Fristverlängerungsantrags und somit unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
16.10.2012
Aktenzeichen:
10 W (pat) 22/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Weiterbehandlung II

Im Rahmen der Weiterbehandlung (§ 123a PatG) muss innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses diejenige Handlung nachgeholt werden, die innerhalb der vom Patentamt bestimmten Frist hätte vorgenommen werden müssen; ein Fristgesuch genügt hierfür nicht (so schon Senatsbeschluss BPatGE 50, 90, 93 – Weiterbehandlung I). Dies gilt auch, wenn der Zurückweisungsbeschluss unter Nichtbeachtung eines zuvor beim Patentamt eingegangenen Fristverlängerungsantrags und somit unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung DE 10 2007 009 420.7 -22

wegen Antrag auf Weiterbehandlung

hat der 10. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 16. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und die Richterin Dr. Kober-Dehm

beschlossen:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin reichte am 23. Februar 2007 beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Aufzugsmotor mit Stützteil" ein. Das Patentamt teilte mit Prüfungsbescheid vom 5. Oktober 2007 mit, dass eine Patenterteilung wegen fehlender Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nicht in Aussicht gestellt werden könne, und gewährte eine Äußerungsfrist von vier Monaten. Die Anmelderin erbat in der Folgezeit mehrmals Fristverlängerungen, die ihr zuletzt bis zum 18. Dezember 2009 auch gewährt wurden. Der sich hieran anschließende Antrag vom 18. Dezember 2009 auf eine weitere Verlängerung der Äußerungsfrist bis zum 18. Februar 2010 ging am 21. Dezember 2009 beim Patentamt ein, wurde jedoch erst am 22. Februar 2010 der zuständigen Prüfungsstelle vorgelegt. Diese hatte die Anmeldung bereits mit Beschluss vom 14. Januar 2010 aus den Gründen des Bescheids vom 5. Oktober 2007 zurückgewiesen, nachdem bis zu diesem Zeitpunkt vermeintlich weder der Eingang eines Antrags auf Verlängerung der am 18. Dezember 2009 abgelaufenen Äußerungsfrist noch einer Stellungnahme zu dem Prüfungsbescheid zu verzeichnen war. Diesen Beschluss, der eine Rechtsmittelbelehrung und einen Hinweis auf die Möglichkeit enthielt, einen Antrag auf Weiterbehandlung zu stellen, hat die Anmelderin am 28. Januar 2010 erhalten. Mit Schreiben vom 22. Februar 2010 informierte das Patentamt die Anmelderin über die verspätete Vorlage ihres letzten Fristgesuchs und wies darauf hin, dass der "bedauerlicherweise" bereits ergangene Zurückweisungsbeschluss entweder mit einer Beschwerde oder mit einem Antrag auf Weiterbehandlung angefochten werden könne. Mit am 19. Februar 2010 beim Patentamt eingegangenem Schreiben beantragte die Anmelderin Weiterbehandlung und bat gleichzeitig um Fristverlängerung bis zum 18. April 2010 für die Äußerung auf den Prüfungsbescheid. Diese ist schließlich am 26. März 2010 beim Patentamt eingegangen.

2

Das Patentamt hat den Antrag auf Weiterbehandlung mit Beschluss vom 16. April 2010 zurückgewiesen, da die versäumte Handlung nicht rechtzeitig nachgeholt worden sei. Ein (weiteres) Fristgesuch könne die versäumte Handlung, die in der Stellungnahme zum Prüfungsbescheid bestehe, nicht ersetzen.

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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie beantragt,

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den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B66B vom 16. April 2010 aufzuheben und das Prüfungsverfahren fortzusetzen.

5

Die Anmelderin macht geltend, dass die Anmeldung zu Unrecht zurückgewiesen worden sei. Der Beschluss vom 14. Januar 2010 hätte wegen der Nichtberücksichtigung des Fristgesuches vom 18. Dezember 2009 von Amts wegen aufgehoben werden müssen, nachdem die Anmelderin durch die Zahlung der Weiterbehandlungsgebühr, das erneute Fristgesuch und die Erwiderung auf den Prüfungsbescheid hinreichend und für das Patentamt erkennbar deutlich gemacht habe, dass das Prüfungsverfahren fortgesetzt werden solle. Das ihr am 1. März 2010 zugegangene Schreiben des Patentamts vom 22. Februar 2010 sei als erneute amtliche Fristsetzung für die Weiterbehandlung oder die Einreichung einer Beschwerde anzusehen. Die versäumte Handlung habe somit noch bis 1. April 2010 vorgenommen werden können, und sei daher mit dem Eingang der Erwiderung auf den Prüfungsbescheid beim Patentamt am 26. März 2010 rechtzeitig erfolgt.

II.

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Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

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1. Das Patentamt hat den Antrag auf Weiterbehandlung zu Recht zurückgewiesen. Die Anmelderin hat zwar den Antrag auf Weiterbehandlung innerhalb der Frist des § 123a Abs. 2 Satz 1 PatG gestellt, jedoch nicht die versäumte Handlung innerhalb dieser Frist nachgeholt (§ 123a Abs. 2 Satz 2 PatG).

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a) Nach der am 1. Januar 2005 neu in das Patentgesetz eingeführten Bestimmung des § 123a kann der Anmelder die Weiterbehandlung der Anmeldung beantragen, wenn nach einer vom Patentamt bestimmten Frist die Patentanmeldung zurückgewiesen worden ist, mit der Folge, dass der Beschluss wirkungslos wird (§ 123a Abs. 1 PatG). Voraussetzung hierfür ist, dass die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist von einem Monat nachgeholt wird (§ 123a Abs. 2 Satz 2 PatG).

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aa) Was unter der nachzuholenden Handlung zu verstehen ist, wird in § 123a PatG ebenso wenig wie in § 123 PatG, der diesen Begriff ebenfalls verwendet, definiert. Der Senat hat bereits entschieden, dass der übereinstimmende Wortlaut mit § 123 Abs. 2 Satz 3 PatG, die systematische Einordnung der Vorschrift im Anschluss an § 123 PatG sowie der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachte Sinn und Zweck der Vorschrift des § 123a PatG, der die Fortführung des Erteilungsverfahrens ohne die aufwendige Prüfung des Verschuldens des Säumigen ermöglichen soll (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums unter E. Art. 7 Nr. 35, in BlPMZ 2002, 14, 54 r. Sp.), es nahelegen, für die Auslegung des Begriffs "versäumte Handlung" auf die Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffs im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens zurückzugreifen (BPatG, Beschluss vom 17. Januar 2008 – 10 W (pat) 42/06, BPatGE 50, 90, 93; Beschluss vom 21. April 2008 – 10 W (pat) 45/06, veröffentlicht in juris Rn. 12). Hier ist nach ständiger Rechtsprechung unter der nachzuholenden Handlung ausschließlich diejenige Handlung zu verstehen, die innerhalb der gesetzlichen Frist hätte vorgenommen werden sollen. Ein Fristgesuch genügt nicht, da dieses kein Äquivalent der versäumten Handlung darstellt (BGH, Beschluss vom 20. September 2006 – IV ZB 16/06, VersR 2006, 1706; Beschluss vom 7. Juni 1999 – II ZB 25/98, NJW 1999, 3051 m. w. N.; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 236 Rn. 8a; Benkard/Schäfers, 10. Aufl., § 123 Rn. 58).

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bb) Der Umstand, dass die Wiedereinsetzung nach § 123 PatG nur bei Fristen möglich ist, deren Versäumung nach den gesetzlichen Vorschriften unmittelbar zu einem Rechtsnachteil führt, während § 123a PatG den Fall der Zurückweisung einer Anmeldung nach Versäumung einer vom Patentamt bestimmten Frist regelt, gebietet es nicht, im Falle eines Antrags auf Weiterbehandlung ein anderes Verständnis der Nachholung der versäumten Handlung als bei der Wiedereinsetzung zugrundezulegen. Auch wenn die von § 123a PatG erfasste, vom Patentamt bestimmte, Frist bei der Angabe ausreichender Gründe bzw. bei der Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses in der Regel verlängerbar ist (vgl. § 18 Abs. 2 und 3 DPMAV), hat dies nicht zur Folge, dass schon ein Fristgesuch die auf den patentamtlichen Bescheid hin vorzunehmende Handlung darstellt. Zwar kann die vom Anmelder nach dem Prüfbescheid innerhalb der vom Patentamt bestimmten Frist vorzunehmende Handlung unterschiedlich sein. Wenn der Anmeldung nach § 45 Abs. 1 PatG gerügte Mängel anhaften, besteht die vorzunehmende Handlung in der Beseitigung der Mängel. Wäre dagegen die Anmeldung zurückzuweisen, weil sie - wie im Streitfall - keine nach den §§ 1 bis 5 PatG patentfähige Erfindung betrifft, besteht die vom Anmelder innerhalb der vom Patentamt bestimmten Frist vorzunehmende Handlung in der Abgabe einer Stellungnahme zum Prüfungsbescheid und gegebenenfalls in der Einreichung inhaltlich geänderter Anmeldunterlagen. Ein Fristgesuch stellt damit in keinem Fall die vorzunehmende Handlung dar und kann folglich auch nicht als nachzuholende Handlung im Sinne des § 123a Abs. 2 PatG angesehen werden.

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b) Dass das Patentamt die Anmeldung in der - unzutreffenden - Annahme zurückgewiesen hat, dass ein weiteres Fristgesuch der Anmelderin nicht vorliege und sie daher auch zu dem Prüfbescheid nicht mehr Stellung nehmen wolle, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar hat sich die Anmelderin im Streitfall nicht von sich aus der Möglichkeit einer Fristerstreckung begeben und der Beschluss vom 14. Januar 2010 ist wegen der Nichtbeachtung des Fristgesuchs vom 18. Dezember 2009 unter Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs ergangen. Indessen rechtfertigt diese Fallkonstellation keine andere Auslegung des Begriffs der versäumten Handlung, etwa in dem Sinne, dass quasi als Ausgleich für das übersehene Fristgesuch im Rahmen des Weiterbehandlungsantrags ein weiteres Fristgesuch für ausreichend erachtet werden müsste. Auch ein unter Verstoß gegen rechtliche Vorschriften ergangener Beschluss ist nur mit den nach dem Gesetz hierfür vorgesehenen Rechtsbehelfen unter Beachtung der hierfür geltenden Voraussetzungen anfechtbar. Entscheidet sich der Anmelder - wie im Streitfall die Anmelderin - für die Möglichkeit der Weiterbehandlung nach § 123a PatG, hat er die dort genannten Voraussetzungen für eine solche Verfahrensfortsetzung zu beachten.

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c) Soweit die Anmelderin geltend macht, dass der angefochtene Beschluss aufzuheben sei, weil bereits der Beschluss des Patentamts vom 14. Januar 2010 zu Unrecht ergangen sei und deswegen von Amts wegen hätte aufgehoben werden müssen, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Beschluss vom 14. Januar 2010 war zwar anfechtbar, da er wegen der Nichtbeachtung des Fristgesuchs vom 18. Dezember 2009 unter Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs erging. Auch ein unter Verstoß gegen rechtliche Vorschriften ergangener Beschluss kann indessen nur aufgehoben werden, wenn er mit dem nach dem Gesetz hierfür vorgesehenen Rechtsmittel angefochten wird. Eine Aufhebung von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Der Beschluss vom 14. Januar 2010 enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung sowie einen Hinweis auf die Möglichkeit der Weiterbehandlung gemäß § 123a PatG und deren Voraussetzungen. Wird ein solcher Beschluss vom Adressaten nicht mit dem entsprechenden Rechtsbehelf erfolgreich angefochten, kann ein im weiteren Verfahren ergangener Beschluss nicht unter Hinweis auf die Anfechtbarkeit eines früheren Beschlusses aufgehoben werden.

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d) Entgegen der Auffassung der Anmelderin kann das am 1. März 2010 zugestellte Schreiben des Patentamts vom 22. Februar 2010 nicht als erneute Fristsetzung für die Stellungnahme auf den Prüfbescheid angesehen werden, mit der Folge, dass die versäumte Handlung noch bis zum 1. April 2010 hätte vorgenommen werden können. Dieses Schreiben enthält weder eine ausdrückliche Fristsetzung noch kann ihm konkludent eine solche entnommen werden. Es enthält lediglich eine Entschuldigung für das Versehen beim Erlass des Beschlusses vom 14. Januar 2010 und wiederholt insoweit lediglich nur noch einmal die in Betracht kommenden Angriffsmöglichkeiten.

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e) Im Streitfall hat die Anmelderin innerhalb der Antragsfrist, die mit der Zustellung des Beschlusses vom 14. Januar 2010 am 28. Januar 2010 begann und gemäß § 99 Abs. 1PatG, § 222 ZPO i. V. m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am 1. März 2010 endete, lediglich beantragt, die Frist zur Erwiderung auf den Prüfbescheid vom 5. Oktober 2007 zu verlängern, nicht aber sachlich auf den Prüfbescheid erwidert, was gemäß § 123a Abs. 2 Satz 2 PatG erforderlich gewesen wäre.

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2. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt im Hinblick darauf, dass die hier entscheidungserhebliche Frage, ob ein innerhalb der Antragsfrist nach § 123a Abs. 2 PatG beim Patentamt eingegangenes Fristgesuch als nachzuholende Handlung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist, bisher höchstrichterlich nicht entschieden wurde (§ 100 Abs. 2 PatG).