Entscheidungsdatum: 14.12.2011
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Juni 2010 - 18/10 Sa 1113/08 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Die Parteien streiten über die Zahlung von Urlaubskassenbeiträgen für die Zeit von Februar 2004 bis Dezember 2005 sowie über die Rückzahlung erstatteter Urlaubsvergütung.
Der Kläger ist die gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 in der jeweils geltenden und für allgemeinverbindlich erklärten Fassung. Die Beklagte, eine juristische Person polnischen Rechts mit Sitz in Krakau (Polen), erbrachte als Subunternehmerin in den Kalenderjahren 2004 und 2005 mithilfe entsandter polnischer Arbeitnehmer in Deutschland Rohbau-, Putz- und Trockenbauarbeiten. Sie erteilte dem Kläger Beitragsmeldungen auf der Grundlage 170 monatlich geleisteter Arbeitsstunden für jeden Arbeitnehmer und zahlte die sich daraus ergebenden Beiträge. Sie beantragte die Erstattung von Urlaubsvergütung, die der Kläger antragsgemäß auszahlte.
Die Beklagte hat ihren Geschäftssitz unter derselben Anschrift in Krakau wie die Firma P Sp.z.o.o. Der Mitgeschäftsführer der Beklagten war Geschäftsführer dieser Firma. Auch der Projektleiter und ein Bauleiter der Beklagten arbeiteten zunächst für diese Firma und anschließend für die Beklagte. Über das Vermögen der P Sp.z.o.o. wird in Polen ein Insolvenzverfahren geführt.
Im Zuge von Durchsuchungen der Geschäftsräume und Überprüfung von Baustellen der P Sp.z.o.o. durch das Hauptzollamt A kam es zu Ermittlungen gegen die Beklagte. Im Februar 2006 vernahmen Zollbeamte polnische Arbeitnehmer der Beklagten auf einer Baustelle. Ausweislich einer von den Arbeitnehmern unterschriebenen „Sammelaussage/Zeugenvernehmung“ betrug die Arbeitszeit montags bis freitags mindestens zehn Stunden, samstags wurde von 7:00 Uhr bis 13:00 Uhr oder 14:00 Uhr gearbeitet. Die Arbeitnehmer mussten danach bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags auf Urlaub verzichten; tatsächlich sei Urlaub nicht oder nur teilweise und ohne Zahlung einer Urlaubsvergütung gewährt worden. Nach dem Abschlussbericht des Hauptzollamts haben die Bauleiter der Beklagten auf Anweisung des Projektleiters, dieser in Kenntnis der Geschäftsführer handelnd, dem Kläger nur einen Teil der geleisteten Arbeitsstunden gemeldet. Anstelle gemeldeter 170 Arbeitsstunden seien im Monat mindestens 220 Stunden gearbeitet worden. Die erstattete Urlaubsvergütung sei zumindest teilweise nicht an die Arbeitnehmer ausgekehrt worden. Der Projektleiter wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dem Urteil ging eine Absprache voraus. Er wurde vor Beginn des Strafverfahrens in Anwesenheit seines Verteidigers durch Zollbeamte vernommen und sagte aus, er sei angewiesen gewesen, dem Kläger maximal Beiträge über 170 Monatsstunden für jeden Arbeiter zu melden. Durchschnittlich seien 220 Stunden im Monat gearbeitet worden. Er habe vom Geschäftsführer freie Hand bekommen, Meldungen zu fälschen. Der Bauleiter der Beklagten hat in seiner Aussage die Angaben bestätigt und eingeräumt, auf einer Baustelle auf Weisung falsche Stundenaufzeichnungen geführt und die Arbeiter zum Unterschreiben dieser Nachweise veranlasst zu haben. Er habe zwei Stundenlisten geführt.
Der Kläger macht auf der Grundlage dieser Ermittlungsergebnisse die sich errechnenden Beitragsdifferenzen geltend. Da die Arbeitnehmer tatsächlich keinen bezahlten Urlaub erhalten hätten, sei auch die erstattete Urlaubsvergütung zurückzuzahlen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
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1. |
an ihn 25.639,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2006 zu zahlen, |
2. |
an ihn weitere 22.527,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2005 zu zahlen. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, und behauptet, die Monatsmeldungen seien richtig gewesen. Der Projektleiter sei geständig gewesen, weil ihm ein günstiges Urteil in Aussicht gestellt worden sei. Die Schätzung der Beitragsnachforderung sei unzulässig. Die erstattete Urlaubsvergütung habe sie an die Arbeitnehmer ausgezahlt. Dies ergebe sich aus schriftlichen Erklärungen ihrer Arbeitnehmer über den vollständigen Erhalt von Arbeits- und Urlaubsvergütung sowie aus unterschriebenen Lohnabrechnungen. Solche Erklärungen lasse sie sich grundsätzlich von allen Arbeitnehmern beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis anlässlich der letzten Lohnzahlung in Polen unterzeichnen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage ohne Beweisaufnahme stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zollbeamten. Zu der beabsichtigten Vernehmung des Projektleiters und des Bauleiters kam es nicht, weil beide Zeugen zum Beweistermin nicht erschienen. Nach Stellungnahme beider Parteien zum vorläufigen Beweisergebnis hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht entsprochen.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 18 Abs. 1 VTV iVm. § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung vom 23. Dezember 2003 (im Folgenden: AEntG aF) einen Anspruch auf die geltend gemachten Beitragsdifferenzen.
1. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG aF ist ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland verpflichtet, einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes, der nach für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen die Einziehung von Urlaubskassenbeiträgen übertragen ist, Beiträge zu leisten, soweit der Betrieb überwiegend Bauleistungen iSv. § 211 Abs. 1 SGB III aF erbringt. Die Beklagte hat im Streitzeitraum Bauleistungen erbracht, ihr Betrieb unterfiel nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 20 (Hochbauarbeiten), Nr. 34 (ua. Putzarbeiten) und Nr. 37 (Trocken- und Montagebauarbeiten) dem VTV.
2. Die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten haben monatlich mindestens 220 Arbeitsstunden geleistet. Die Beklagte schuldet dem Kläger deshalb die geforderten Beiträge.
a) Die Urlaubskasse, die den Anspruch aus § 18 Abs. 1 VTV geltend macht, hat nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für dessen anspruchsbegründende Voraussetzungen. Streiten die Parteien über die Höhe der Beitragsschuld, so obliegt der Urlaubskasse auch dafür die Darlegungs- und Beweislast, dass ihr ein höherer Anspruch zusteht, als er sich aus der vom Arbeitgeber erteilten Beitragsmeldung ergibt (vgl. BAG 14. Februar 2007 - 10 AZR 63/06 - Rn. 20, NZA-RR 2007, 300). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs schlüssig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen (BAG 28. April 2004 - 10 AZR 370/03 - zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264). Ist die Höhe der Beitragsschuld im Streit, muss die Urlaubskasse deshalb konkrete Tatsachen dafür vortragen, dass über die gemeldete Beitragsschuld hinaus weitere Beiträge zu entrichten sind. Auf einen substanziierten Tatsachenvortrag der Kasse hat sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Erklärt er sich nicht, gilt die Behauptung der Kasse nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BAG 14. Februar 2007 - 10 AZR 63/06 - Rn. 23, aaO). Erklärt sich der Arbeitgeber, so obliegt ihm regelmäßig die Last des substanziierten Bestreitens, weil die Urlaubskasse außerhalb des Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber diese kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind. Es gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Umfang der etwaigen weiteren Darlegungslast der Urlaubskasse richtet sich nach der Einlassung des Arbeitgebers (vgl. BAG 14. Februar 2007 - 10 AZR 63/06 - Rn. 23, aaO; BGH 23. April 1991 - X ZR 77/89 - zu II 4 b aa der Gründe, NJW 1991, 2707 ). Ihr Tatsachenvortrag bedarf nur dann der Präzisierung oder Ergänzung, wenn er aufgrund der Einlassungen des Arbeitgebers nach § 138 Abs. 2 ZPO unklar wird oder nicht mehr den Schluss auf die begehrte Rechtsfolge zulässt.
b) Steht fest, dass die gemeldeten Beiträge zu niedrig sind, kann die tatsächliche Beitragsschuld nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden.
aa) Nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn zwischen den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden und wie hoch er ist. Nach § 287 Abs. 2 ZPO sind die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 und Satz 2 bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teils der Forderung in keinem Verhältnis stehen. Voraussetzung der Anwendung von § 287 Abs. 2 ZPO auf vermögensrechtliche Streitigkeiten ist, dass der Anspruch dem Grunde nach besteht (Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 287 Rn. 29).
bb) Eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ist auch zulässig, wenn die Höhe von Urlaubskassenbeiträgen streitig ist (vgl. für die Inanspruchnahme von Bürgen nach § 1 AEntG: BAG 2. August 2006 - 10 AZR 688/05 - Rn. 23, BAGE 119, 170). Die in § 287 ZPO geregelte Beweiserleichterung mindert die Darlegungslast der Partei für die Höhe des geltend gemachten Anspruchs (vgl. BAG 10. Dezember 2008 - 10 AZR 889/07 - Rn. 22, AP BGB § 280 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 23; Stein/Jonas/Leipold § 287 Rn. 32).
c) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten im Streitzeitraum monatlich nicht 170 Arbeitsstunden, sondern zumindest 220 Arbeitsstunden geleistet.
aa) Nach § 559 Abs. 2 ZPO ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gebunden, soweit nicht eine zulässige und begründete Verfahrensrüge iSv. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO erhoben worden ist. Diese Rüge muss im Einzelnen die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend macht. Weiter ist darzulegen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, also bei richtigem Verfahren das Berufungsgericht möglicherweise anders entschieden hätte, sofern sich dies nicht aus der Art des gerügten Verfahrensfehlers von selbst ergibt (BAG 16. Oktober 2007 - 9 AZR 321/06 - Rn. 37, AP TzBfG § 8 Nr. 22). Bei der Rüge einer unterlassenen Beweiserhebung muss bestimmt angegeben werden, über welches Thema Beweis hätte erhoben werden müssen, wo konkret das entsprechende Beweisangebot gemacht worden ist, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - Rn. 36, BAGE 109, 145; GMP/Müller-Glöge 7. Aufl. § 74 Rn. 61).
bb) Die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe den durch Vernehmung der zwei Bauleiter und von weiteren 17 Arbeitnehmern angebotenen Gegenbeweis übergangen, die gemeldeten Stunden hätten den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden entsprochen und seien deshalb zutreffend gewesen. Es habe keinen Grund gegeben, die Beweisaufnahme nach Vernehmung von zwei Zeugen abzubrechen und auf die Erhebung des Gegenbeweises zu verzichten. Diese Rüge ist unbegründet.
(1) Eine Beweisaufnahme soll dem Gericht die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung verschaffen. Beweisbedürftig sind regelmäßig die der Gegenpartei ungünstigen rechtserheblichen Tatsachen. Angebotene Beweise sind zu erschöpfen. Das Gericht ist nach § 286 ZPO grundsätzlich gehalten, sämtliche von den Parteien für die entscheidungserheblichen Tatsachen angetretenen Beweise zu erheben und benannte Zeugen zu vernehmen (BGH 15. März 2000 - VIII ZR 31/99 - zu II 2 b der Gründe, NJW 2000, 2024). Es darf sich nicht darauf beschränken, zu einem konkreten Sachverhalt, der Gegenstand einer Beweisaufnahme ist, nur die von der beweisverpflichteten Partei benannten Zeugen zu vernehmen, wenn ein konkreter Gegenbeweis angetreten ist. Allein ein Beweisbeschluss verpflichtet ein Gericht aber nicht zur Durchführung einer Beweisaufnahme. Der Beweisbeschluss ist prozessleitende Anordnung und bindet das Prozessgericht weder hinsichtlich der Erheblichkeit noch hinsichtlich der Beweisbedürftigkeit der Tatsachen (Stein/Jonas/Berger § 360 Rn. 1). Das Gericht kann deshalb ganz oder teilweise von der (weiteren) Erledigung eines Beschlusses absehen (Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 360 Rn. 1) und ihn aufheben, etwa weil sich die Unerheblichkeit der zu beweisenden Tatsache herausgestellt hat (BAG 5. April 1995 - 4 AZR 144/94 - zu I 2 a der Gründe).
(2) Das Landesarbeitsgericht hat auf die Erhebung weiteren Beweises mit der Begründung verzichtet, die Beklagte sei dem Ergebnis der am 13. Januar 2010 durchgeführten Beweisaufnahme nicht mehr ausreichend entgegengetreten und habe dieses nicht mehr wirksam bestritten. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Beklagten zum vorläufigen Ergebnis der Beweisaufnahme begegnet diese Würdigung keinen durchgreifenden Bedenken. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat erklärt, er gehe davon aus, dass nicht in Zweifel gezogen werden könne, dass es zumindest auf der Baustelle B Schwierigkeiten gegeben habe; er ziehe jedoch in Zweifel, ob sich Rückschlüsse auf den gesamten Klagezeitraum ziehen ließen. Damit war dem Grunde nach nicht mehr streitig, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen war. Wollte die Beklagte weiter behaupten, die Beitragsmeldungen seien korrekt gewesen, musste sie sich zu den Unregelmäßigkeiten konkret erklären und nunmehr aufgetretene Widersprüche im Vortrag zum Umfang der geleisteten Arbeitsstunden aufklären. Dies ist unterblieben. Ergänzenden Vortrag hat die Beklagte, obwohl ihr dazu Gelegenheit gegeben wurde, nicht gehalten. Die schlichte fortdauernde Behauptung, gemeldete und geleistete Arbeitszeit hätten sich entsprochen, war zumindest jetzt nach § 138 Abs. 2 ZPO unzureichend. Es ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht nunmehr nach § 138 Abs. 3 ZPO von einem nicht mehr ausreichend bestrittenen Vortrag des Klägers und von einem dem Grunde nach bestehenden Anspruch des Klägers auf Nachentrichtung von Beiträgen ausgegangen ist. Stand sodann nur noch die Höhe des Anspruchs im Streit, lag es nach § 287 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 ZPO im Ermessen des Gerichts, weiteren Beweis zu erheben.
cc) Darüber hinaus war der Rechtsstreit auch ohne Beweisaufnahme entscheidungsreif. Der Kläger hat mit dem Ermittlungsbericht und den Aussagen des Bauleiters, des Projektleiters sowie der elf polnischen Arbeitnehmer den Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden substanziiert dargelegt. Diesem Vortrag ist die Beklagte im Kern lediglich mit der pauschalen Erwiderung entgegengetreten, die Beitragsmeldungen seien zutreffend gewesen. Dies ist unzureichend. Nach § 138 Abs. 2 ZPO hätte die Beklagte, die allein umfassende Kenntnis über die tatsächlichen Umstände der Erbringung der Arbeitsleistungen hat, substanziierten Gegenvortrag halten und die Widersprüche zwischen den gemeldeten Arbeitsstunden und den Einlassungen der Arbeitnehmer sowie des Bauleiters und des Projektleiters erklären müssen. Daran fehlt es. Der bloße Verweis auf Bestätigungen und Stundenaufzeichnungen erklärt diese Widersprüche nicht. Auch der Hinweis auf die Absprache mit dem Projektleiter im Strafprozess ist unbehelflich. Ein Geständnis wird zwar regelmäßig zu einer milderen Strafe führen. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass die Aussage unzutreffend ist. Zudem entspricht die Aussage des Projektleiters den Aussagen der weiteren Beteiligten. Der Vortrag des Klägers galt deshalb nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
d) Die Klage ist der Höhe nach begründet. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht nach § 287 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme und nach einer Würdigung der Aussagen des Projektleiters, des Bauleiters, der Sammelaussage der polnischen Arbeitnehmer und des Ermittlungsberichts des Hauptzollamts A von 55 geleisteten Wochenarbeitsstunden ausgegangen ist und auf dieser Grundlage die noch offene Beitragsschuld unter Heranziehung der Vergütungssätze des TV-Mindestlohn nach § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt hat.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus § 29 Satz 1 VTV Anspruch auf Rückzahlung der erstatteten Urlaubsvergütung.
1. Hat eine Kasse dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer gegenüber Leistungen erbracht, auf die dieser zum Zeitpunkt der Antragstellung keinen tarifvertraglichen Anspruch hatte oder die aufgrund unwahrer Angaben erfolgt sind, so ist die Kasse nach § 29 VTV berechtigt, die von ihr gewährten Leistungen zurückzufordern und für die Zeit zwischen Leistungsgewährung und Rückzahlung Zinsen entsprechend § 24 VTV zu fordern.
2. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erlauben keine abschließende Beurteilung, ob der Anspruch auf Rückzahlung der Urlaubsvergütung bereits deshalb besteht, weil die Beklagte keinen tarifvertraglichen Anspruch nach § 13 VTV gegen den Kläger hatte.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats entsteht der Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 13 VTV gegen die Kasse, wenn der Arbeitgeber die Urlaubsvergütung an seine Arbeitnehmer auszahlt. Die Erfüllung der Melde- und Beitragspflichten ist keine Voraussetzung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs (BAG 1. April 2009 - 10 AZR 134/08 - Rn. 29). Nach § 18 Abs. 5 VTV sind Erstattungsforderungen zwar mit der Maßgabe zweckgebunden, dass der Arbeitgeber über sie nur verfügen kann, wenn das bei der Einzugsstelle bestehende Beitragskonto keinen Debetsaldo aufweist und er seinen Meldepflichten entsprochen hat. Die Norm begründet bei nicht vollständiger Erfüllung dieser Pflichten aber nur ein Hindernis für die Durchsetzung des bereits entstandenen Anspruchs (BAG 1. April 2009 - 10 AZR 134/08 - Rn. 30).
b) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Erstattung von Urlaubsvergütung in größerem Umfang beantragt als tatsächlich bezahlter Urlaub gewährt wurde. Nähere Feststellungen hierzu sind nicht getroffen worden. Der Senat kann deshalb nicht beurteilen, in welcher Höhe ein tarifvertraglicher Anspruch nach § 13 Abs. 1 VTV gegenüber dem Kläger auf Erstattung von Urlaubsvergütung entstanden ist.
3. Die Beklagte hat die Urlaubsvergütung jedoch nach § 29 Satz 1 Alt. 2 VTV in vollem Umfang zurückzuzahlen, weil deren Erstattung durch den Kläger auf unwahren Angaben der Beklagten beruht hat.
a) „Unwahr“ ist eine Angabe, wenn sie „erlogen“ ist (Wahrig Deutsches Wörterbuch 8. Aufl. „unwahr“). Der Begriff enthält ein objektives und ein subjektives Element. Eine Angabe ist unwahr, wenn sie objektiv falsch und subjektiv in Kenntnis ihrer Fehlerhaftigkeit abgegeben wird. Eine versehentlich fehlerhafte Meldung löst den Anspruch der Kasse auf Rückzahlung nicht aus, es ist eine vorsätzlich falsche Angabe des Arbeitgebers nötig. Erforderlich ist weiter, dass die Erbringung von Leistungen „aufgrund“ unwahrer Angaben erfolgt ist. Nicht jede unwahre Angabe im Abrechnungs- und Erstattungsverhältnis der Kasse zu den beteiligten Arbeitgebern begründet damit nach § 29 VTV einen Rückzahlungsanspruch; vorausgesetzt wird ein Kausalzusammenhang zwischen unwahrer Angabe und erbrachter Leistung.
b) Die Beklagte hat dem Kläger unwahre Beitragsmeldungen erteilt und nicht die tariflich geschuldeten Beiträge gezahlt. Das Beitragskonto war deshalb nicht ausgeglichen. Nach § 18 Abs. 5 VTV konnte die Beklagte über eine Erstattungsforderung aber nur verfügen, wenn ihr Konto ausgeglichen war. Die Erstattung der Urlaubsvergütung nach § 13 Abs. 1 VTV an die Beklagte erfolgte nur, weil der Kläger wegen der unwahren Beitragsmeldungen von einem ausgeglichenen Beitragskonto und damit von einer Verfügungsbefugnis der Beklagten über eine etwaige Erstattungsforderung ausgehen konnte.
Es kann dahinstehen, ob die Erstattung auch deshalb auf unwahren Angaben beruhte, weil die Beklagte in höherem Umfang die Erstattung von Urlaubsvergütung geltend gemacht hat als ihre Arbeitnehmer bezahlten Urlaub erhalten haben. Auf die gegen diese Würdigung gerichtete Verfahrensrüge der Beklagten kommt es demnach nicht an.
III. Der Zinsanspruch des Klägers in Bezug auf den Antrag zu 1. folgt aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB iVm. §§ 22, 24 VTV und in Bezug auf den Antrag zu 2. aus §§ 29, 24 VTV. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Zinsen entsprechend § 24 VTV für den Zeitraum zwischen der Leistungsgewährung und ihrer Rückzahlung. Dass die Leistungsgewährung (teilweise) nach dem 1. November 2005 erfolgte und deshalb ein späterer Zinsbeginn greift, ist nicht erkennbar und wird von der Revision auch nicht geltend gemacht.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Mikosch |
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Eylert |
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Mestwerdt |
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Baschnagel |
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R. Bicknase |