Entscheidungsdatum: 15.05.2012
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betreffend das europäische Patent 1 203 599
(DE 696 33 804)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2012 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richter Voit, Dipl.-Ing. Schlenk, Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. Hubert
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 203 599 (Streitpatent), das am 16. Juli 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der britischen Patentanmeldung GB 9515986 vom 4. August 1995 angemeldet worden ist. Das Streitpatent wurde am 3. November 2004 in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 696 33 804 geführt. Es betrifft eine Gesichtsmaske mit Filter und umfasst in der erteilten Fassung 9 Ansprüche, die alle angegriffen sind. Anspruch 1 hat in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
In der deutschen Übersetzung lautet Anspruch 1 wie folgt:
Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 203 599 B1 Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Neben einem Zeugenangebot für eine offenkundige Vorbenutzung bezieht sie sich auf folgende Dokumente und Druckschriften:
Offenkundige Vorbenutzung: Konvolut (E1a-E1e)
US 4 934 362 A (E2)
US 5 295 478 A (E3)
WO 93/24181 A1 (E4)
EP 0 252 890 A1 (E5)
DE 40 29 939 A1 (E6)
JP 60231077 A (mit dt. Übersetzung (E7a)) (E7)
US 1 867 478 A (E8)
GB 2 072 516 A (E9)
GB 1 551 709 A (E10).
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent EP 1 203 599 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollständig für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in vollem Umfang entgegen.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Gegenstand des Streitpatents ist neu und beruht auf erfinderischer Tätigkeit. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit i. S. v. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) und Art. 54, 56 EPÜ, liegt nicht vor.
I.
1. Das Streitpatent betrifft eine Filtermaske mit einem Ein-Richtungs-Fluidventil (Rückschlagventil), das als Ausatmungsventil für die Filtermaske verwendet wird. Unter "Filtermaske" wird hier eine Vorrichtung verstanden, die zum Tragen über Nase und Mund eines Benutzers geeignet ist und aus einem Filtermaterial zum Entfernen einer oder mehrerer unerwünschter Komponenten aus der eingeatmeten Luft hergestellt oder in der dieses Material eingebaut ist.
Zur Verbesserung von Komfort und Effizienz solcher Vorrichtungen ist gewöhnlich ein Ein-Richtungs-Ausatmungsventil an der Maske vorgesehen, das sich bei der Druckdifferenz infolge des Ausatmens des Benutzers öffnet, damit Exhalat aus der Maske relativ ungehindert ausströmen kann, sich aber unter allen anderen Bedingungen schließt.
Bei der Gestaltung eines Ausatmungsventils ist es wichtig, die Querschnittfläche der offenen Öffnung zu maximieren, damit Exhalat frei durch das Ventil strömen kann, und ferner den Differenzluftdruck zu minimieren, der zum Öffnen des Ventils nötig ist (d. h. den "Öffnungsdruck" des Ventils).
Ein üblicher Ausatmungsventiltyp weist eine runde Membran aus z. B. Silikonkautschuk und einen kooperierenden runden Ventilsitz auf, der die Ausatemöffnung umgibt. Die Membran ist in ihrer Mitte eingespannt, und Randabschnitte biegen sich vom Sitz weg, wenn der Benutzer ausatmet, was eine größere Kraft zu ihrem Öffnen erfordert, als einseitig eingespannte Klappenventile äquivalenter Größe, da ihr verfügbarer "Hebelarm" kleiner ist.
Bei einem weiteren bekannten Typ hat die Membran die Form einer flexiblen Klappe, die an einer kooperierenden Sitzstruktur an einem Ende, d. h. einseitig eingespannt, befestigt ist und die sich beim Ausatmen des Benutzers vom Rest des Sitzes wegbiegt. Dort behindert die Struktur eines einseitig eingespannten Klappenventils im offenen Zustand den Strom allgemein weniger als das mittig eingespannte runde Membranventil oder erzeugt anders ausgedrückt einen kleineren Druckabfall für eine bestimmte Öffnungsgröße.
Jedoch besteht ein bei der Gestaltung eines einseitig eingespannten Klappenventils zu berücksichtigendes potentielles Problem darin, zu gewährleisten, dass die Klappe in allen Orientierungen der Maske bzw. des Ventils geschlossen bleibt, während nicht ausgeatmet wird. Das heißt, während es zum Minimieren der Öffnungsdruckdifferenz des Ventils vorteilhaft ist, eine hoch flexible Klappe minimaler Dicke einzusetzen, kann genau diese Flexibilität der Klappe bedeuten, dass beim Umdrehen des Ventils im Gebrauch (d. h. mit dem Sitz über der Klappe liegend orientiert) die Klappe möglicherweise vom Sitz herabhängt, wenn der Benutzer nicht ausatmet. Natürlich ist das nicht erwünscht oder sogar gefährlich, da sich so ein Durchlassweg in die Maske für die Schmutzstoffe öffnen kann, die sie fernhalten soll (Streitpatent Abs. 0001 und 0002).
2. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des Streitpatents, eine Filterungsgesichtsmaske bereitzustellen, die sicher und angenehm zu tragen sein soll. Damit sie sicher ist, sollte die Gesichtsmaske in jeder Körperlage Luftverunreinigungen nicht durch das Ausatemventil in den Innenraum der Gesichtsmaske gelangen lassen und damit sie angenehm ist, sollte beim Ausatmen ein möglichst großer Prozentsatz der ausgeatmeten feuchten Luft bei minimalem Ausatemwiderstand durch das Ausatemventil strömen können.
3. Gelöst werden soll diese Aufgabe nach Patentanspruch 1 (in deutscher Übersetzung, Merkmalsgliederung hinzugefügt) durch eine
1. Filtergesichtsmaske, die Folgendes aufweist: |
3.1 das am Maskenkörper (1) angeordnet ist, |
3.2.1 eine flexible Klappe (7), |
3.3 wobei der Ventilsitz (5) |
3.3.1 eine oder mehrere Einlassöffnungen (8) umfasst, |
3.4 wobei der Ventildeckel (6) |
3.4.1 eine oder mehrere Auslassöffnungen (10) umfasst und |
3.5 wobei die flexible Klappe (7) |
3.5.1 einen feststehenden Abschnitt, |
3.5.3.1 die ein feststehendes und |
3.5.3.2 ein freies Segment umfasst, |
3.5.4 wobei das feststehende Segment der Umfangskante der Klappe dem feststehenden Abschnitt der flexiblen Klappe derart zugeordnet ist, dass es während eines Ausatemvorgangs feststehend bleibt, und |
4. die flexible Klappe (7) eine Querkrümmung hat, |
4.1 die der flexiblen Klappe (7) durch die Anordnung der Klappe (7) am feststehenden Abschnitt verliehen wird, |
4.2.1 der freie Abschnitt der Klappe unter neutralen Bedingungen zur Dichtungsfläche (9C) hin vorgespannt wird, während |
4. Fachmann ist nach Auffassung des Senats ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konzeption und Konstruktion von Atemschutzmasken und vertieften Kenntnissen und Erfahrungen in der Montage und Prüfung derartiger sicherheitsrelevanter Geräte und ihrer Bestandteile.
II.
1. Verständnis und Offenbarung des Streitpatentgegenstandes
Anhand der deutschen Beschreibung und den Fig. 1 bis 5 der Schrift DE 696 33 804 T2 soll der wesentliche Aufbau und die Funktion des Streitpatentgegenstandes dargestellt werden.
Hierbei ist für die Rechtsfrage der stets gebotenen Auslegung der Patentansprüche (BGH GRUR 2007, 959, Tz. 20 - Pumpeinrichtung) wegen der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache der englischsprachige Wortlaut und der übrige Inhalt der Patentschrift in englischer Sprache heranzuziehen (BGH GRUR 2010, 904, Tz. 51 – Maschinensatz) und entscheidend, welcher technische Sinngehalt aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zukommt (BGH GRUR 2011, 129, Tz. 29 – Fentanyl-TTS; GRUR 2006, 311, Tz. 15 – Baumscheibenabdeckung). Die Patentschrift stellt deshalb im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe auch ihr eigenes Lexikon dar (BGH GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; Mitt. 2000, 105, 106 - Extrusionskopf).
Gegenstand der Lehre des Patentanspruchs 1 ist danach eine Filtergesichtsmaske, mit einem Maskenkörper, der sich über Mund und Nase des Benutzers erstreckt (Halbmaske) und aus einem Filtermaterial besteht bzw. in die ein Filtermaterial eingebaut ist, das eine oder mehrere unerwünschte Komponenten aus der eingeatmeten Luft entfernt (Abs. 0001) mit einem Ausatmungsventil, das am Maskenkörper angeordnet ist. |
Dieses soll die Ausatemluft möglichst ohne Gegendruck entweichen lassen. Durch das Entweichen des größten Teils der Ausatemluft nach Außen wird, da diese dann das Filtermaterial nicht durchfeuchten kann, eine längere Standzeit des Filters und ein geringerer Ein- und Ausatemwiderstand sowie ein angenehmeres Trageverhalten erreicht.
Beim Ausatemventil, das beim Einatmen und beim Atemstillstand einerseits sicher schließen soll, um eine Kontamination des Innenraums und des Trägers sicher zu verhindern (Abs. 0018), handelt es sich idR um ein elastisch vorgespanntes Einweg-(Rückschlag-)Ventil, um in jeder Körperlage eine zuverlässige Funktion zu gewährleisten, andererseits aber einen möglichst geringen Ausatemwiderstand für eine geringe körperliche Belastung sicherzustellen.
Zur Erläuterung werden nachfolgend folgende Begriffe anhand der Zeichnungs- und Beschreibungsunterlagen der deutschen Fassung des Streitpatents (StrP) sowie des Wissens des Fachmanns definiert:
- Unter Ventilsitz nach Abs. 3.3 der Merkmalsgliederung wird derjenige Teil des Ventilkörpers verstanden, der sich außerhalb der Durchflussöffnung(en) für die Ausatemluft befindet und auf dem die Ventilmembran aufliegt und abdichtet (Abs. 0016). |
2. Unklarheit
Nach Überzeugung des Senats ist eine Unklarheit hinsichtlich des Merkmals 4 nicht gegeben. Entscheidend ist, welcher Sinngehalt aus der Sicht des Fachmanns den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit (BGH GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I BGH GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher, jeweils m. w. N.) aufgrund einer am Gesamtzusammenhang orientierten Betrachtung zukommt (st. Rspr. vgl. BGH GRUR 2011, 129 - Fentanyl-TTS; GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung, m. w. N.). In diesem Sinne ist auch die Erzeugung der „Querkrümmung“ gemäß Merkmal 4 zu verstehen, die nach der Fassung in der Verfahrenssprache
4. that the flexible flap (7) has a transverse curvature
4.1 that is imparted to the flexible flap (7) by the mounting of the flap at the stationary portion
nach der Auffassung des Senats so zu interpretieren ist, dass nach Merkmal 4.1 die Querkrümmung der flexiblen Klappe ihr allein durch die Befestigung/Einspannung („mounting“) an ihrem feststehenden Abschnitt bewusst (imparted) verliehen wird. Der Fachmann erkennt sofort, dass damit das Aufbringen einer Querkrümmung bei nicht gekrümmter Befestigung/Einspannung des feststehenden Abschnitts nur durch eine erhöhte oder abgesenkte Positionierung des Ventilsitzes relativ zur Befestigungs-/Einspannungsstelle der Klappe gerade nicht gemeint ist.
3. Die Filtergesichtsmaske gemäß Anspruch 1 ist neu (Art. 54 Abs. 1 und 2 EPÜ).
- Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 sieht der Senat gegenüber dem Schriftenkonglomerat E1 zur offenkundigen Vorbenutzung schon deshalb als gegeben an, weil die Definition der „Filtergesichtsmaske“ nach den Merkmalen 1 und 2, wie schon im Punkt „Verständnis und Offenbarung“ abgehandelt, nur eine Halbmaske mit zumindest teilweise gasdurchlässigem Maskenkörper umfasst und nicht auch eine Vollmaske („Dräger Nova“) mit integrierter Innenmaske zur Scheibenspülung mit Frischluft (Fig. 7 des Drägerheftes 283 (E1c), wie in den einzelnen zu E1 gehörenden Schriften (E1a bis E1e ) beschrieben. Die Merkmale 1 und 2 sind deshalb daraus nicht bekannt.
Darüber hinaus weist die aus der E1 bekannte Atemschutzmaske auch keine Ventilklappe mit einer Umfangskante mit einem feststehenden Segment entsprechend den Merkmalen 3.5.3, 3.5.3.1 und 3.5.4 auf.
Aus der Schrift US 4 934 362 A (E2), die eine Atemschutzhalbmaske mit den Merkmalen 1 bis 3.5.5 und 4.2 bis 4.2.2 beschreibt, sind die Merkmale 4 und 4.1, die eine Querkrümmung der Ausatemventilmembran beschreiben, nicht bekannt, lediglich eine gewollte Längskrümmung sowie etwaige, durch die Befestigung und Biegung des Membranmaterials entstehende unbeabsichtigte Verformungen, die aber nicht mit einer vom Streitpatent beanspruchten einspannungsbedingten Querkrümmung der Membran zu verwechseln sind, werden dem Fachmann offenbart.
- Aus der Schrift WO 93/24181 A1 (E4) ist ebenfalls eine Atemschutzhalbmaske nur mit Längskrümmung der Ausatemventilmembran bekannt, während in der Schrift GB 2 072 516 A (E9) lediglich eine Filterhalbmaske mit Ausatemventil und ebener Membranklappe aufgezeigt wird. Die Merkmale 4 und 4.1, die eine Querkrümmung verlangen, sind aus diesen Schriften nicht bekannt.
Die Schriften EP 0 252 890 A1 (E5), DE 40 29 939 A1 (E6) und US 1 867 478 A (E8) zeigen und beschreiben zwar Ausatemventile für Atemmasken, jedoch keine flexiblen Ventilklappen mit einer Querkrümmung der Membran im Sinn der Merkmale 4 und 4.1.
- Die Schriften US 5 295 478 A (E3), JP 60231077 A (E7) und GB 1 551 709 A (E10) zeigen alle keine Filtergesichtsmasken mit einem Maskenkörper (Halbmaske) und Klappenventil auf (Merkmale 1 bis 3.1), sondern befassen sich mit
- einem 3/2 -Wegeventil an einer Beatmungsmaske (E3),
- mit einem Rückschlagventil für Staubsauger, um das Herausfallen von Staub zu verhindern (E7) und
- einem allgemein anwendbaren Rückschlagventil für Gase, Flüssigkeiten und Suspensionen von Feststoffen (E10).
4. Die Filtergesichtsmaske gemäß Anspruch 1 ist nach dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auch nicht nahegelegt (Art. 56 EPÜ). Die im Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt bekannten Lösungen gaben dem Fachmann weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit Veranlassung, den mit dem Streitpatent vorgeschlagenen Lösungsweg zu beschreiten.
a) Für die Beurteilung, ob eine beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist von dem auszugehen, was der Gegenstand der Erfindung in der Gesamtheit seiner Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang (BGH GRUR 2007, 1055 - Tz. 28 - Papiermaschinengewebe) gegenüber dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 607, Tz. 18 - Fettsäurezusammensetzung; BGH GRUR 2010, 602, Tz. 27 – Gelenkanordnung), wobei verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein können (BGH GRUR 2009, 1039, Tz. 20 - Fischbissanzeiger; BGH GRUR 2009, 382, Tz. 51 - Olanzapin; BPatG GRUR 2004, 317, 319 - Programmartmitteilung).
b) Aus der Schrift US 4 934 362 A (E2) ist eine Atemschutzhalbmaske mit den Merkmalen 1 bis 3.5.5 und 4.2 bis 4.2.2 bekannt. Obwohl diese Schrift in Sp. 3, Z. 44 bis 46 auch eine (nicht in den Figuren dargestellte) einseitige Befestigung der Ventilklappe analog zum Streitpatent beschreibt, sind die Merkmale 4 und 4.1, die eine einspannungsbedingte Querkrümmung der Ausatemventilmembran beschreiben, daraus nicht bekannt, lediglich eine gewollte Längskrümmung (also in Öffnungsrichtung der Membran) wird aufgezeigt. Dass dabei etwaige, von der Nichtigkeitsklägerin behauptete und durch die Befestigung und Biegung des Membranmaterials entstehende unbeabsichtigte minimale Verformungen bzw. Falten in Querrichtung entstehen können, ist unbeachtlich, da diese nicht mit einer vom Streitpatent beanspruchten und zur Versteifung der Ventilklappe gewollten, definierten einspannungsbedingten Querkrümmung der Membran zu verwechseln sind. Es werden in dieser Schrift dem Fachmann auch keinerlei irgendwie geartete Hinweise oder Anregungen gegeben, Falten bzw. Krümmungen in anderer als in Längsrichtung also z. B. in Querrichtung und zum Zweck der Versteifung der Ventilklappe gegen Biegung beim Öffnen des Ventils vorzusehen.
Auch aus der Schrift WO 93/24181 A1 (E4) der Beklagten ist eine Atemschutzhalbmaske mit einseitig angebrachtem Ausatem-Klappenventil und mit Längskrümmung der Ausatemventilmembran bekannt, analog zur oben beschriebenen E2, weiterhin ist das Vorsehen einer Längskrümmung in Verbindung mit dem einseitigen Anbringen der Ventilklappe zur Verbesserung der Dichteigenschaften und der Schließsicherheit sowie zur Verringerung des Ausatemwiderstands beschrieben (S. 3, Abs. 2 bis S. 4, Abs. 2). Eine einspannungsbedingte Querkrümmung im Sinne der Merkmale 4 und 4.1 ist hier jedoch weder offenbart noch angeregt.
Aus der Schrift GB 2 072 516 A (E9) ist lediglich eine Filterhalbmaske mit Ausatemventil und ebener Membranklappe bekannt, sowie der Hinweis, bei undichtem Ventil eine Vorkammer (ante-chamber) vorzusehen, um das Einatmen gefährlicher Stoffe zu verhindern (S. 1, Sp. 58 bis 64). Weitergehende Hinweise oder Anregungen zur Verbesserung der Ventilsicherheit oder gar auf das Vorsehen einer einspannungsbedingten Querkrümmung im Sinn der Merkmale 4 und 4.1 des Streitpatents werden auch in dieser Schrift nicht gegeben.
Wenn nun die Klägerin der auch in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung ist, durch eine einfache Übertragung des auch für Gase geeigneten Rückschlagventils mit einseitig befestigter Klappe nach der GB 1 551 709 A (E10) auf eine der vorstehend beschriebenen Masken nach der E2, E4 oder E9 zur Maske nach Anspruch 1 des Streitpatents zu gelangen, ist das nach Überzeugung des Senats das Ergebnis einer rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der konstruktiven Ausbildung des patentgemäßen Ventils.
Denn selbst wenn der Fachmann seine Recherche auf weitere, nicht atemschutzspezifische Ventile ausgedehnt hätte, was von ihm nicht zu erwarten war (vgl. BGH X ZR 88/88 zum Nichtnaheliegen der Verwendung eines Überdruckventils für einen Akkumulatorverschlussstopfen als Überdruckventil für einen Verpackungsbehälter, insb. Abs. 16), so hätte er doch eine Verwendung des aus E10 bekannten Rückschlagventils als Ausatmungsventil deshalb nicht in Betracht gezogen, weil er es seiner Konstruktionsweise nach als ungeeignet angesehen hätte:
Die in E10 vorgesehene stark gekrümmte Membran (flap 7) setzt einer Verformung in Öffnungsrichtung einen großen Widerstand entgegen. Weiterhin führt die - speziell für den Betrieb mit Festkörpern enthaltenden Flüssigkeiten vorgesehene -- große Sitzfläche (surface 6, siehe S. 2, Z. 58 bis 63) im Betrieb mit Gas bei Feuchtigkeit zu einem Kleben der Membran an der Sitzfläche. Beides steht dem bei Atemschutzmasken geforderten extrem geringen Öffnungsdruck entgegen.
Der Fachmann hätte sich daher auf dem Gebiet der Atemschutzmasken umgesehen und bspw. beim Klappenventil nach der E9 eine aus der E2 oder E4 bekannte Längskrümmung oder eine Verstärkung der Ventilmembran zur Verbesserung des Andruck- bzw. Schließverhaltens vorgesehen, während bei den Ventilen nach der E2 oder E4 eine Veränderung der Membrankrümmung, des Membranwerkstoffs oder der Ventilabmessungen bzw. der Ventilanzahl übliche fachnotorische Verbesserungen darstellen würden.
Der Argumentation der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und schriftlich u. a. in der Erwiderung der Klägerin Seite 13, das Vorsehen einer Querkrümmung gemäß Merkmalen 4 und 4.1 wäre auch schon aufgrund von Fachwissen naheliegend, ist hier nicht überzeugend: Dass der Fachmann sich bei der Gestaltung eines Ausatemventils mit einer sehr weichen, elastischen Gummimembran auf sein Wissen über Materialien wie Papier oder Karosserieblech stützen soll, ist nicht einsichtig, da er weiss, dass sich diese Materialien bei Biegung anders verhalten als eine elastische Membran.
Dieses Wissen um die Materialeigenschaften hätte den Fachmann wohl eher von einer derartigen Lösung abgehalten. Dass sich durch geeignete Wahl der Krümmung, durch Wegbegrenzung usw. doch ein besonders zuverlässiges Öffnen und Schließen der Ventilklappe erreichen lässt, war deshalb nicht ohne Weiteres ersichtlich.
c) Auch wenn der Fachmann stets bestrebt ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere - oder auch nur eine andere - Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (BGH GRUR 2009, 1039 Tz. 20 - Fischbissanzeiger), so ergab sich für ihn keine Veranlassung, die bekannten Atemschutzmasken nach der E2, E4 und E9 sowie das allgemein anwendbare, aber nicht von Atemschutzgeräten her bekannte Ventil nach der E10 miteinander zu verknüpfen. Insoweit ist zu beachten, dass erfahrungsgemäß die technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr oder weniger zwangsläufig darstellen. Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs - hier die erfindungsgemäße Lehre, durch eine einspannungsbedingte Querkrümmung der flexiblen Ventilklappe eine bessere Abdichtung bei niedrigem Ausatemwiderstand zu erreichen - nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall, in dem es für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist (vgl. BGH GRUR 2009, 936 Tz. 21 - Heizer; GRUR 2010, 814, Tz. 26 – Fugenglätter) - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2009, 746, Tz. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung). Das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln kann danach insbesondere nicht schon deshalb als nahegelegt bewertet werden, weil lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von dem im Stand der Technik Bekannten zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen. Diese Wertung setzt vielmehr voraus, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (BGH GRUR 2010, 407, Tz. 17 – einteilige Öse).
d) Der weitere im Verfahren befindliche Stand der Technik liegt weiter ab.
Über die zur Neuheit ausgeführten Unterschiede hinaus verleiht beim Gegenstand nach dem Konvolut E1 die Befestigung mit den zwei Steckstiften der Klappe keine Krümmung (vgl. Schnittdarstellung auf dem fünftletzten Blatt (BA 2057 Seite: 5 von E1d). Eine Krümmung (wenn man das Abknicken nach oben als Krümmung bezeichnen möchte) der im Gegensatz zur einflügligen Klappe nach dem Streitpatent „zweiflügligen“, nierenförmigen Klappe mit ihrer mittigen Befestigung entsteht beim Gegenstand der E1 nur dadurch, dass die umlaufende Sitzkante gegenüber der innenliegenden Befestigung erhöht angeordnet ist und die Membran deshalb auf dem Weg von der Befestigung zur Sitzkante hin nach oben verbogen wird.
Auch der eventuelle Einwand, es sei naheliegend gewesen, die vorbenutzte Maske nach E1 mit einem Ventil nach der E10 zu versehen bzw. das bekannte „zweiflüglige“ Membranventil der Drägermaske als zwei zusammengebaute „einflügelige“ Klappenventile anzusehen, scheint daher nicht frei von einer rückschauenden Betrachtung. Aus diesen Gründen konnte der Senat die zwischen den Parteien umstrittene Vorbenutzung zugunsten der Klägerin als wahr unterstellen, da auch diese nicht in naheliegender Weise zu der patentgemäßen Lehre nach Patentanspruch 1 führt.
Die Schriften EP 0 252 890 A1 (E5), DE 40 29 939 A1 (E6) und US 1 867 478 A (E8) zeigen und beschreiben nur Ausatemventile für Atemschutzmasken, jedoch keine Filtergesichtsmasken und keine flexiblen Ventilklappen mit einer Querkrümmung der Membran im Sinn der Merkmale 4 und 4.1.
- Die Schriften US 5 295 478 A (E3) und JP 60231077 A (E7) zeigen keine Filtergesichtsmasken mit einem Maskenkörper (Halbmaske) und Klappenventil auf (Merkmale 1 bis 3.1). Die Schrift E3 befasst sich mit einem Ventil an einer Beatmungsmaske, bei dem zwar die Klappe 12 von der Kante 11 so verformt wird, dass eine Querkrümmung entsteht, das dort offenbarte Ventil ist allerdings kein (2/2-Wege-) Ausatemventil, sondern ein (3/2-Wege-) Beatmungsventil. Im Gegensatz zu einem Ausatemventil, das immer geschlossen sein soll, wenn nicht gerade ausgeatmet wird (d. h. beim Ein- und Nicht-Atmen), soll das Beatmungsventil immer geöffnet sein, wie in Fig. 3 gezeigt (d. h. beim Ein- Aus- und Nicht-Atmen), außer die beatmende Person bläst von oben durch das Rohr 9. Da in E3 die Krümmung der Klappe ausdrücklich dazu dient, das Ventil offen zu halten, siehe Spalte 1, Zeilen 19 bis 23 und Spalte 2, Zeilen 19, 20, lässt sich die E3 deshalb auch nicht in eine Argumentation zum Naheliegen eines Ausatemventils einbeziehen. Darüber hinaus führt die Schrift E3 auch deshalb nicht zu einem patentgemäßen Ausatmungsventil, weil entgegen dem Merkmal 4.1 in der E3 der flexiblen Klappe 12 die Querkrümmung nicht durch ihre Befestigung/Einspannung (mounting) am feststehenden Abschnitt verliehen wird (in der E3, siehe Fig. 2 und 4, wo bei Nr. 16 die Sitzkante 11 die Klappe 12 auf den Steg 17 drückt), sondern durch die davon beabstandete Kante 19.
Die Schrift E7 befasst sich mit einem Rückschlagventil für Staubsauger, um das Herausfallen von Staub zu verhindern.
Die Schriften E3, E5, E6, E7 und E8 lagen der Filtergesichtshalbmaske nach Anspruch 1 des Streitpatents insoweit ferner und es waren aus ihnen auch keine Gesichtspunkte erkennbar, die dem Fachmann Hinweise oder Anregungen gegeben hätten, durch eine Kombination untereinander oder mit den weiteren im Verfahren befindlichen Schriften zum Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 zu gelangen. Ohne hinreichende Hinweise oder Anregungen aus dem Stand der Technik bedurfte es jedoch erfinderischer Tätigkeit ausgehend von einer Maske nach den Schriften E2, E4 oder E9 zum Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 zu gelangen.
Der Anspruch 1 hat somit Bestand.
5. Die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche werden durch den Anspruch 1 getragen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.