Entscheidungsdatum: 28.06.2011
In der Beschwerdesache
betreffend das europäische Patent 0 292 948
(DE 38 77 823)
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 28. Juni 2011 durch die Präsidentin Schmidt, die Richter Engels und Dr. Baumgart
beschlossen:
1. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 250.000 € festgesetzt.
I
Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 292 948 (Streitpatent), das unter Inanspruchnahme der südafrikanischen Priorität ZA 873761 vom 26. Mai 1987 als europäische Patentanmeldung Nr. 88108349.7 am 25. Mai 1988 angemeldet worden ist und durch Zeitablauf am 25. Mai 2008 erloschen ist. Das in englischer Sprache veröffentlichte Streitpatent trägt in der deutschen Übersetzung (DE 38 77 823 T2, Anlage K3a) die Bezeichnung “Vorrichtung zur langsamen Freigabe eines Pestizids“.
Das Streitpatent umfasst in der erteilten Fassung 17 Patentansprüche. Anspruch 1 lautet:
Anwendungsvorrichtung zur langsamen Abgabe eines Gases oder Dampfes aus einem hydrolysierbaren aktiven Bestandteil eines in dieser Vorrichtung enthaltenen Schädlingsbekämpfungsmittels an eine Umgebung, wobei die Vorrichtung einen Behälter zum Aufbewahren des Schädlingsbekämpfungsmittels umfasst, der zumindest teilweise aus einem gas- und dampfdurchlässigen spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Vliesmaterial für druckloses flüssiges Wasser praktisch undurchlässig ist und eine Wasserdampfdurchlässigkeit von 500 bis 750 g/m²/24h hat.
Die übrigen Ansprüche sind direkt oder indirekt auf den Anspruch 1 rückbezogen.
Die Klägerin hat mit der beim Bundespatentgericht am 11. März 2009 eingegangenen Nichtigkeitsklage vom 10. März 2009 das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 bis 5 sowie 7 bis 16 unter dem Aspekt der mangelnden Ausführbarkeit und fehlenden Patentfähigkeit aufgrund mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen. Die Klageschrift ist dem Beklagtenvertreter am 11. Mai 2009 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Zur Stützung ihres Vorbringens bezieht sich die Klägerin u. a. auf folgende Unterlagen:
K17 | EP 0 131 759 B1 |
K22 | N.N.: „TYVEK: SPUNBONDED DIVERSIEFIERS“. In: Textile | Horizons, Band 6, 1986, Heft 7, S. 31 - 33. |
Die Klägerin war Nebenintervenientin in einem von der jetzigen Beklagten gegen die Abnehmerin der jetzigen Klägerin - die Fa. PROSANTIS, Freising - gerichteten Verletzungsverfahren vor dem LG München I (Az. 21 O 2331/03). Klagegegenstand waren das Streitpatent sowie das - das Parallelverfahren 1 Ni 6/09 (EU) betreffende - europäische Patent 0 686 571. Nachdem durch Teil- Endurteil vom 24. Juni 2009 die Verletzungsklage rechtskräftig zurückgewiesen worden war, soweit sie auf das Streitpatent gestützt worden war, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. August 2009 (Bl. 105 d. A.) die Erledigung in der Hauptsache erklärt. Die Beklagte hat das Streitpatent mit Schriftsatz vom 26. August 2009 (Bl. 125 d. A.) weiterhin mit beschränkten Anspruchssätzen nach Haupt- und Hilfsantrag (Bl. 151 d. A. und Bl. 152 d. A.) verteidigt und beantragt zunächst mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 (Bl. 193), die Klage insoweit abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2011 (Bl. 259 d. A.) hat die Beklagte sich schließlich der Erledigterklärung der Klägerin angeschlossen und widerstreitenden Kostenantrag gestellt.
Zur Stützung ihres Vorbringens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 folgende Unterlagen vorgelegt:
B9 | Prüfbericht Freudenberg Forschungsdienste KG |
B11 | Auszug Firmenbroschüre DUPONT Tyvek for Packaging. |
Patentanspruch 1 der nach Hauptantrag verteidigten Fassung des insgesamt 15 Ansprüche umfassenden Streitpatents lautet:
Anwendungsvorrichtung zur langsamen Abgabe eines Gases oder Dampfes aus einem hydrolysierbaren Metallphospid eines in dieser Vorrichtung enthaltenen Schädlingsbekämpfungsmittels an eine Umgebung, wobei die Vorrichtung einen Behälter zum Aufbewahren des Schädlingsbekämpfungsmittels umfasst, der zumindest teilweise aus einem gas- und dampfdurchlässigen spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Vliesmaterial für druckloses flüssiges Wasser praktisch undurchlässig ist und eine Wasserdampfdurchlässigkeit von 500 bis 750 g/m²x24h hat, wobei für das handelsübliche Vliesmaterial Tyvek 1073 D eine Wasserdampfdurchlässigkeit von ca. 614g/m2x24h gilt.
Patentanspruch 1 der nach Hilfsantrag verteidigten Fassung des insgesamt 11 Ansprüche umfassenden Streitpatents lautet:
Begasungsbeutel zur langsamen Abgabe eines Gases oder Dampfes aus einem hydrolysierbaren Metallphospid eines in diesem Beutel enthaltenen Schädlingsbekämpfungsmittels an eine Umgebung, wobei der Beutel zum Aufbewahren des Schädlingsbekämpfungsmittels zumindest teilweise aus einem gas- und dampfdurchlässigen spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial gebildet wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Vliesmaterial für druckloses flüssiges Wasser praktisch undurchlässig ist und eine Wasserdampfdurchlässigkeit von 500 bis 750 g/m²/24h hat, wobei für das handelsübliche Vliesmaterial Tyvek 1073 D eine Wasserdampfdurchlässigkeit von ca. 614g/m2/24h gilt, wobei das gesamte Vliesmaterial (1) an der Innenseite des Beutels beschichtet ist mit einer thermoplastischen stark porösen (3) Heißsiegelverbindungsschicht (2), die einen Schmelzpunkt bzw. Schmelzbereich besitzt, der um soviel unter dem der Polyolefinfasern liegt, dass konventionelles Verschweißen unter Druck und Hitze zu einer Schweißnaht führt, bevor die Fasern ihren Schmelzpunkt erreichen, so dass die physikalischen Eigenschaften der Polyolefinfasern im Wesentlichen erhalten bleiben und die Feuchtigkeitsdurchlässigkeit der Verbindungsschicht so hoch ist, dass das beschichtete Vliesmaterial (1, 2, 3) die genannte Wasserdampfdurchlässigkeit besitzt, wobei die Durchlässigkeit der Verbindungsschicht vorzugsweise um Größenordnungen über der des Vliesmaterials liegt.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und des Inhalts der weiteren Patentansprüche sowie der vorgelegten Dokumente wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Nachdem die Parteien den Rechtstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist durch den Senat (§ 67 Abs. 2 Alt. 2 PatG) unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nur noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a Abs. 1 ZPO), was im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss erfolgen kann.
Gemäß §§ 84 Abs. 2, 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a Abs. 1 ZPO ist diese Entscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen, wobei auf die Prognose des Verfahrensausgangs im Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärungen und das von den Parteien bis dahin Vorgebrachte sowie die bis dahin erhobenen Beweise und ihre Ergebnisse abzustellen ist (BGH GRUR 2001, 140 Zeittelegramm; Keukenschrijver Patentnichtigkeitsverfahren 4. Aufl. (2011) S. 120 Rdn. 207, m. w. H.). Danach sind für die Prognose des Verfahrensausgangs auch die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 26. August 2009 eingereichten und mit Haupt- und Hilfsantrag verteidigten geänderten Fassungen des Streitpatents einzubeziehen. Die von den Parteien zunächst kontrovers erörterte Frage, ob die von der Beklagten nach Erledigterklärung der Klägerin eingereichten geänderten Fassungen des Streitpatents auch ohne die spätere übereinstimmende Anschließung an die Erledigterklärung für die dann durch Urteil zu treffende streitige Feststellung der Erledigung der Hauptsache - hier der Rechtskraft des Urteils des LG München vom 24. Juni 2009 - beachtlich gewesen wären, kann deshalb dahinstehen.
Soweit sich die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Juni 2011 (Bl. 272 d. A.) auf eine fehlende Veranlassung der Klägerin zur Klageerhebung mit der Begründung berufen hat, die Klägerin hätte als Nebenintervenientin im Verletzungsverfahren vor Erhebung der Nichtigkeitsklage am 10. März 2009 den auf 1. April 2009 bestimmten Verkündungstermin des LG München abwarten können, rechtfertigt auch dieser Vortrag keine abweichende Beurteilung. Zwar ist auch im Rahmen der nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a ZPO zu treffenden Kostenentscheidung § 93 ZPO entsprechend anwendbar (vgl. hierzu BGH GRUR 2003, 726, 727 – Luftverteiler; GRUR 2044, 138, 141 - Dynamisches Mikrofon; BPatGE 34, 93, 94; Benkard/ Rogge, PatG, 10. Aufl. (2006), § 81 Rn. 37), wonach dem Kläger die Prozesskosten zur Last fallen, wenn der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage keine Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt (vgl. BGH GRUR 1984, 272, 276 - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung; Busse/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. (2003), § 84 Rdn. 18). Unabhängig davon, dass das hier maßgebliche Urteil erst am 24. Juni 2009 und nicht am 1. April 2009 verkündet worden ist und nicht ersichtlich ist, weshalb allein ein anstehender Termin zur Verkündung (irgendeiner) Entscheidung eine entsprechende Verhaltenspflicht auslösen soll, fehlt es vorliegend an dem von § 93 ZPO vorausgesetzten sofortigen Anerkenntnis der Beklagten, die noch mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 (Bl. 193) weiterhin die Abweisung der Klage beantragt hat und das Klagebegehren unter beschränkter Verteidigung des Streitpatents als insoweit unbegründet zurückweist.
2. Hiernach entspricht es vorliegend unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands dem billigen Ermessen, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da nach der gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage das Streitpatent auch in den nach Haupt- und Hilfsantrag beschränkten Fassungen mangels Patentfähigkeit keinen Bestand gehabt und nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ zur Nichtigerklärung des Streitpatents geführt hätte.
a. | Anwendungsvorrichtungen gemäß der Erfindung können zur Entseuchung von Massengütern, Gebäuden, Verpackungsmitteln und Transportmitteln verwendet werden, indem diese ein schädlingstötendes Gas freisetzen und in entsprechender Konzentration aufrechterhalten, vgl. Seite 15, Abs. 2 in DE 38 77 823 2 (K3a). |
Eine der zu begasenden Umgebung ausgesetzte Anwendungsvorrichtung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 soll - wie in der Patentschrift als allgemein bekannt vorausgesetzt (vgl. Seite 2, dritter Absatz) - einerseits die Einwirkung von Umgebungsfeuchtigkeit auf ein in der Vorrichtung enthaltenes, hierbei ein schädlingsbekämpfendes Gas entwickelndes Mittel sowie ein Entweichen des Gases ermöglichen, andererseits das Mittel und dessen Rückstände in der Anwendungsvorrichtung zurückhalten sowie vor versehentlicher Berührung mit flüssigem Wasser schützen (vgl. Seite 11, zweiter Absatz). Diese Funktionalität soll sich bei der erfindungsgemäßen Vorrichtung in vorteilhafter Weise einstellen, wenn der Behälter zumindest teilweise aus einem die geforderten Eigenschaften aufweisenden Material gebildet ist.
b. | Mit dem Patentanspruch 1 |
b1. | in der nach Hauptantrag verteidigten Fassung ist Schutz für einen Gegenstand beansprucht, der insgesamt folgende Merkmale aufweist: |
M1 | Anwendungsvorrichtung |
M2 | zur langsamen Abgabe eines Gases oder Dampfes |
M3 | . | aus einem hydrolysierbaren Metallphosphid eines in dieser |
Vorrichtung enthaltenen Schädlingsbekämpfungsmittels |
M4 | . | an eine Umgebung, |
M5 | wobei die Vorrichtung einen Behälter zum Aufbewahren des Schädlingsbekämpfungsmittels umfasst, |
M6 | . | der zumindest teilweise aus einem gas- und dampfdurchlässigen spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial gebildet wird; |
M7 | . | das Vliesmaterial ist für druckloses flüssiges Wasser praktisch undurchlässig; |
M8 | . | das Vliesmaterial hat eine Wasserdampfdurchlässigkeit von 500 bis 750 g/m²/24h hat; |
M9 | für das handelsübliche Vliesmaterial Tyvek 1073 D gilt eine Wasserdampfdurchlässigkeit von ca. 614 g/m²x24h. |
b2. | in der Hilfsantrag verteidigten Fassung ist Schutz für einen Gegenstand beansprucht, der insgesamt folgende Merkmale aufweist: |
M1H | Begasungsbeutel |
M2 | zur langsamen Abgabe eines Gases oder Dampfes |
M3H | . | aus einem hydrolysierbaren Metallphosphid eines in diesem Beutel enthaltenen Schädlingsbekämpfungsmittels |
M4 | . | an eine Umgebung, |
M6H | . | wobei der Beutel zum Aufbewahren des Schädlingsbekämpfungsmittels zumindest teilweise aus einem gas- und dampfdurchlässigen spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial gebildet wird; |
M7 | . | das Vliesmaterial ist für druckloses flüssiges Wasser praktisch undurchlässig; |
M8 | . | das Vliesmaterial hat eine Wasserdampfdurchlässigkeit von 500 bis 750 g/m²/24h hat; |
M9 | für das handelsübliche Vliesmaterial Tyvek 1073 D gilt eine Wasserdampfdurchlässigkeit von ca. 614 g/m²x24h; |
M10H | . | das gesamte Vliesmaterial an der Innenseite des Beutels ist mit einer thermoplastischen, stark porösen Heißsiegelverbindungsschicht beschichtet; |
M11H | . | . | die Heißsiegelverbindungsschicht besitzt einen Schmelzpunkt bzw. Schmelzbereich, der um soviel | unter dem der Polyolefinfasern liegt, dass konventionelles Verschweißen unter Druck und Hitze zu einer | Schweißnaht führt, bevor die Fasern ihren Schmelzpunkt erreichen, so dass die physikalischen Eigenschaften der Polyolefinfasern im Wesentlichen erhalten bleiben; |
M12H | . | . | die Feuchtigkeitsdurchlässigkeit der Verbindungsschicht ist so hoch, | dass das beschichtete Vliesmaterial | die genannte Wasserdampfdurchlässigkeit besitzt, | wobei die Durchlässigkeit der Verbindungsschicht | vorzugsweise um Größenordnungen über der des Vliesmaterials liegt. |
c. | Es kann dahinstehen, ob die nach Art. II § 6 Abs. 3 IntPatÜG mögliche beschränkte Verteidigung des Streitpatents im Nichtigkeitsverfahren hinsichtlich der jeweiligen Fassung der Ansprüche nach Haupt- und Hilfsantrag auf einer zulässigen Änderung beruht, insbesondere ob sich diese im Hinblick auf eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der Anmeldung (§ 123 Abs. 2 EPÜ) oder des Schutzbereichs (Art. 123 Abs. 3 EPÜ) oder das Erfordernis der Klarheit und knappen Anspruchsfassung (Art. 84 EPÜ) als zulässig erweisen (vgl. BGH GRUR 2010, 709, Tz 55 - Proxyserversystem; Keukenschrijver GRUR 2001, 571, Tz 55). Auch kann dahinstehen, ob die Klägerin zu Recht die Ausführbarkeit der insoweit beanspruchten Patentgegenstände angreift. Denn unter Berücksichtigung einer summarischen Prüfung des hier maßgeblichen Sach- und Streitstandes ergab sich für den hier maßgeblichen Fachmann im Zeitpunkt der Anmeldung des Streitpatents die insoweit beanspruchte technische Lehre gemäß Haupt- und Hilfsantrag in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ). |
d. | Zuständiger Fachmann ist ein Ingenieur (FH) der Fachrichtung Verpackungstechnik, der mit dem Aufbau des Behälters bzw. der Auswahl der Materialien in Anpassung an den Einsatzort und das Schädlingsbekämpfungsmittel, d. h. dessen Gebrauchseigenschaften, betraut ist. |
e. | Nach dem maßgeblichen Verständnis des Fachmanns hängt die hier als von der Luftfeuchtigkeitsmenge abhängig zu unterstellende Gasentwicklung über der Zeit je nach hydrolisierbarem, aktiven Bestandteil nicht nur von der Art des zur - auch lediglich teilweisen - Bildung des Beutels gelehrten Materials ab (Merkmal M6), sondern auch von der freien, den Zutritt feuchter Umgebungsluft überhaupt ermöglichenden Oberfläche des Behälters sowie von der Menge, Struktur und Verteilung des Mittels in dem Behälter. So ist in DE 38 77 823 T2 (K3a) selbst darauf hingewiesen, dass die Ausgasungsgeschwindigkeit im umgekehrten Verhältnis zur gas- und feuchtigkeitsdurchlässigen Oberfläche steht, vgl. K3a, Seite 14, erster Absatz. Durch die Angaben im Anspruch 1 ist jedenfalls der Anteil des dampfdurchlässigen Vliesmaterials an der von den Wandungen eines Behälters insgesamt aufgespannten Oberfläche nicht näher bestimmt, der Anspruch schweigt sich über die Gestaltung des Behälters auch im Übrigen aus. Mithin umschreiben die Merkmale M7 und M8 wie auch der Merkmale M10H und M11H die am fertigen Behälter der Anwendungsvorrichtung (Anspruch 1 gemäß Hauptantrag) bzw. am Beutel (Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag) festzustellenden Eigenschaften eines spinngebundenen Polyolefin-Vliesmaterial in den Bereichen, in denen dieses entsprechend Merkmal M6 als gas- und dampfdurchlässig im Sinne der Erfindung eingesetzt wird; diese Merkmale definieren jedoch nicht die Dampfdurchlässigkeit des Behälters insgesamt. |
Merkmal M12H fordert, dass die Beschichtung nach Art und Porosität (Merkmal M10H) derart ausgeführt sein soll, dass sie die mit Merkmal M8 vorgegebene Wasserdampfdurchlässigkeit nicht verringert.
Mit dem Merkmal M9 ist lediglich die Ausführungsvariante eines Materials benannt, dass die Eigenschaften gemäß den Merkmalen M7 und M8 aufweisen soll, ohne dass die Lehre des Anspruchs 1 die Anwendung genau dieses Materials zwingend vorschreibt.
f. | Zum Hauptantrag |
Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns bildet die K17, die Beutel und somit Behälter zur Aufnahme eines gasentwickelnden Schädlingsbekämpfungsmittels (vgl. Spalte 1, Zeilen 3 bis 6 ) zeigt und beschreibt: Der in Figur 5 gezeigte Einzelbeutel soll ebenfalls zumindest teilweise (vgl. Wortlaut Anspruch 1) aus gas- und wasserdampfdurchlässigen Vliesstofflagen bestehen und mit dem unter dem Einfluss von Luftfeuchtigkeit ausgasungsfähigen Schädlingsbekämpfungsmittel - hierfür schlägt die K17 u. a. Aluminiumphosphid, also ein Metallphosphid vor - gefüllt sein, vgl. Spalte 2, Zeilen 16 bis 19, Spalte 11, Zeilen 3 bis 8 im Zusammenhang mit Spalte 8, Zeilen 30 bis 37 sowie Spalte 1, Zeilen 7 bis 13. Auch diese Beutel sollen für die Anwendung - nämlich eine Gasfreisetzung über „einige Tage“ hinweg aufgrund „langsamen“ Zerfalls, vgl. Spalte 1, Zeilen 24 bis 28 in Verbindung mit Spalte 11, Zeilen 18 bis 32 - ausgebildet sein. Für das herzunehmende Vliesmaterial schlägt die K17 beispielhaft die Materialkomponenten Polypropylen und Polyäthylen vor, vgl. Spalte 2, Zeilen 45 bis 48 und 51 bis 56. Weil das Patent selbst durch Charakterisierung des für eine Ausführungsform des Polyolefin-Vliesmaterials benannten Materials „Tyvek“ als aus Polyethylenfasern bestehend dem Fachmann das Grundlagenwissen unterstellt, dass es sich bei Polyäthylen um einen Kunststoff der Gruppe der Polyolefine handelt - vgl. in K3a Seite 1, erster Absatz - kann dieses allgemeine Fachwissen auch für das Verständnis der K17 unterstellt werden.
Weil die K17 derartiges Fliesmaterial als Ersatz für Papierbeutel vorschlägt, das somit den gleichen genannten Anforderungen hinsichtlich „Festigkeit, Gasdurchlässigkeit und wasserabweisender Ausrüstung“ (vgl. Spalte 1, Zeilen 31 bis 34) genügen muss, durch das „zwar Gase noch ohne Weiteres durchtreten können, jedoch Stäube […] am Durchgang gehindert werden“ (vgl. Spalte 4, Zeilen 20 bis 25), unterstellt der Fachmann dem dort als „gas- und wasserdampfdurchlässig“ sowie „wasserfrei“ bezeichneten Vliesstoff (vgl. Spalte 2, Zeilen 18 und 19) zwanglos eine Undurchlässigkeit für druckloses Wasser entsprechend Merkmal M7, zumal die K17 noch die Behandlung mit einem „hydrophobierenden Mittel“ vorschlägt, um das Beutelmaterial „besser wasserabstoßend zu machen“, vgl. Spalte 8, Zeilen 25 bis 29.
Die K17 unterstellt bereits die allgemeine Verfügbarkeit derartiger Vliesstoffe - vgl. Spalte 2, Zeilen 45 bis 48 - auch in Form von Spinnfliesen, vgl. Spalte 4 Zeilen 50 bis 55, deren Art durch die in K17 in Spalte 4 ab Zeile 56 ff. beschriebenen Herstellungsverfahren als spinngebundene Vliesmaterialien charakterisiert ist.
Somit sind die Merkmale M1 bis M7 bereits aus K17 bekannt, die den Fachmann anleitet, ein Beutelmaterial auch unter Berücksichtigung kommerziell erhältlicher, spinngebundener Polyolefin-Vliesmaterialien auszuwählen, die den allgemeinen Anforderungen für die beabsichtigte Verwendung entsprechen.
Ein derartige Gebrauchseigenschaften aufweisendes Material beschreibt die K22, die bestimmten Typen eines spinngebundenen Polythylen-Vliesmaterials („spunbonded high-density polyethylene“, vgl. erste Seite, linke Spalte, zweiter Absatz) neben einer größeren Luftdurchlässigkeit („greater air-permeability“, vgl. erste Seite, rechte Spalte unten) und somit Gasdurchlässigkeit auch eine Barriereeigenschaft gegen Schwallwasser („outer barrier against accidental splashes“, vgl. dritte Seite, linke Spalte, dritter Absatz im Abschnitt „Application of Tyvek“) ausdrücklich zuschreibt - so ist in den Tafeln 1 und 2 auch eine die Wasserundurchlässigkeit bezeichnende Kenngröße aufgeführt („Water resistance hydrostatic pressure Test AATCC“).
Bei der durch den Stand der Technik nach K17 veranlassten, einfachen Auswahlentscheidung unter bekannten Materialien wird der Fachmann das in K22 für vielfältige Anwendungen und als im Handel frei verfügbar beschriebene Polyolefin-Vliesmaterial „Tyvek“ (vgl. Kurzfassung Seite 1 oben rechts) in seine Überlegungen einbeziehen und eine Variante anwenden, die den Anforderungen der Merkmale M6 und M7 genügt. Bei Befolgung der durch K17 vorgegebenen Lehre ergibt sich die vom Merkmal M8 definierte Wasserdampfdurchlässigkeit als zwangsläufiges Ergebnis einer folgerichtigen Auswahl des in der Patentschrift selbst als „handelsüblich“ (Merkmal M9) zum Anmeldezeitpunkt bezeichneten Vliesmaterials „Tyvek 1073 D“. Die routinemäßige Vorgehensweise des Fachmanns schließt eine Überprüfung herstellerseitig verfügbarer Dokumentationen wie der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 vorgelegten Firmenbroschüre gemäß Anlage B11 ein. Folgerichtig würde der Fachmann die Varianten mit ausgewiesener Wasserundurchlässigkeit berücksichtigen - die hierfür charakteristische Kenngröße „hydrostatic head“ bezeichnet den für eine Durchdringung erforderlichen Wasserdruck. Die mit dem Merkmal M8 geforderte Wasserdampfdurchlässigkeit ist hierbei eine inhärente Gebrauchseigenschaft des Vliesmaterials, worauf die Beklagte selbst mit Schriftsatz vom 28. Juni 2010 mit Hinweis auf den Prüfbericht gemäß Anlage B9 hingewiesen hat.
Somit ergibt sich die Merkmalskombination des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag als Ergebnis einer Befolgung der durch K17 vorgeschlagenen Lehre.
g. | Zum Hilfsantrag |
Hinsichtlich der Merkmale M1H bis M9H des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag gelten vorstehende Ausführungen zum Gegenstand des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sinngemäß; für die dort noch allgemein als „Behälter“ (Merkmal M5) bezeichnete Anwendungsvorrichtung ist gemäß Hilfsantrag eine Ausführung in Form eines „Begasungsbeutels“ (Merkmal M1H) beansprucht, die bereits die K17 vorschlägt, vgl. Spalte 1, Zeilen 3 bis 5.
Für die in K17 angesprochene Herstellung des Beutels durch Verschweißung des Beutelmaterials unter Wärmeeinwirkung (vgl. Spalte 2, Zeilen 3 bis 12) ist die Aufbringung einer zweiten Materialkomponente durch Besinterung mit einem weiteren Material vorgeschlagen, das einen niedrigeren Schmelzpunkt als das faserbildende Material des Beutels besitzt, vgl. dort Spalte 2, Zeilen 16 bis 33 in Verbindung mit Spalte 2, Zeile 63 bis Spalte 3, Zeile 5; somit kann eine Verschweißung bei Temperaturen erfolgen, die unter dem Schmelzpunkt des Vliesmaterials liegen. Das Material mit dem niedrigeren Schmelzpunkt, das nach einem Vorschlag in K17 auch über den gesamten Oberflächenbereich des Vliesstoffes aufgebracht werden soll, vgl. Spalte 3, Zeilen 25 bis 36, dient dabei somit der Bildung von Schweißnähten entsprechend Merkmal M11H.
Die durch Besinterung erfolgte Beschichtung, bei der ein Pulver auf das Vlies auch im den Beutelraum umfassenden Bereich aufgebracht und thermisch fixiert wird - vgl. Spalte 3, Zeilen 6 bis 17, bildet hierbei per se eine stark poröse Heißsiegelverbindungsschicht entsprechend Merkmal M10H, ansonsten der funktionsnotwendige Gasaustausch nicht möglich wäre.
Zur selektiven Verbesserung der Schweißnähte einerseits und wegen der einhergehenden Veränderung der Porengröße des Vliesstoffes andererseits schlägt die K17 noch vor, im von den Schweißnähten umrahmten Bereich - also der für den Gasdurchtritt vorgesehen Beutelfläche - eine geringere Menge der zweiten Materialkomponente als im Schweißnahtbereich vorzusehen, vgl. Spalte 10, Zeilen 12 bis 21 im Zusammenhang mit Figur 1. Der Fachmann wird bei Befolgung dieser Lehre der K17 zur Herstellung eines Beutels aus mittels Beschichtung schweißbar hergerichtetem Vliesmaterial zwangsläufig die Zielvorstellung gemäß Merkmal M12H verfolgen, die gleichsam funktionsnotwendige Wasserdampfdurchlässigkeit beizubehalten.
Mithin ergibt sich auch die Merkmalskombination des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag bei Befolgung der durch K17 vorgeschlagenen Lehre.
h. | Die Unteransprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag weisen keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt auf. Ein solcher wurde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. |
3. Nach alledem entspricht es dem billigen Ermessen, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang aufzuerlegen.
III.
Der für das vorliegende Patentnichtigkeitsverfahren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 4 PatKostG i. V. m. § 63 GKG festzusetzende und gemäß § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmende Streitwert für die Gerichtsgebühren entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung des angegriffenen Patents für die restliche Laufzeit und ist nicht auf das von der Klägerin angesprochene wirtschaftliche Interesse der Parteien reduziert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Senate des Bundespatentgerichts ist dafür im Allgemeinen der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich (BGH GRUR 1957, 79; GRUR 2009, 1100 - Druckmaschinen-Temperierungssystem III; BGH GRUR 2011, 757 - Nichtigkeitsstreitwert). Für das erloschene Streitpatent hält auch der Senat den von der Klägerin mit 250 000,00 € bezifferten und sich am Verletzungsverfahren orientierenden Streitwert mangels anderer Anhaltspunkte für angemessen. Einer Erhöhung im Hinblick auf das über das Individualinteresse hinausgehende Allgemeininteresse (vgl. BGH GRUR 2011, 757 - Nichtigkeitsstreitwert) bedarf es deshalb vorliegend nicht. Auch die Beklagte hat dem angegebenen Streitwert nicht widersprochen.