Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.09.2015


BPatG 22.09.2015 - 1 Ni 30/14 (EP)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Sicherungseinrichtung und Kletteranlage (europäisches Patent)" – Sachvorträge unterliegen nicht dem Amtsermittlungsgrundsatz


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
22.09.2015
Aktenzeichen:
1 Ni 30/14 (EP)
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 28. Juni 2016, Az: X ZR 33/16, Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 832 315

(DE 50 2007 000 390)

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2015 durch die Präsidentin Schmidt sowie die Richter Prof. Dr. Kortbein, Dipl.-Ing. Schlenk, Dr.-Ing. Krüger und Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder

für Recht erkannt:

I. Das europäische Patent 1 832 315 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass

- Patentanspruch 1,

- Unteranspruch 2 im Umfang seiner vierten oder-Variante,

- Unteranspruch 3 rückbezogen auf Anspruch 1 und/oder rückbezogen auf Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante,

- Unteranspruch 4 im Umfang seiner ersten oder-Variante rückbezogen auf Unteranspruch 3 und/oder Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante und/oder Anspruch 1 und

- Unteranspruch 5 im Umfang seiner ersten und/oder-Variante rückbezogen auf Unteranspruch 4 mit seiner ersten oder-Variante und/oder Unteranspruch 3 und/oder Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante und/oder Anspruch 1

 gestrichen werden.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu voll–streckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 50 2007 000 390 registrierten europäischen Patents 1 832 315. Es wurde beim Europäischen Patentamt am 14. Februar 2007 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 10 2006 010 898 vom 9. März 2006 angemeldet. Gegen das am 21. Januar 2009 veröffentlichte Streitpatent ist kein Einspruch eingelegt worden. Das Patent ist in deutscher Sprache veröffentlicht und trägt die Bezeichnung „Sicherungseinrichtung und Kletteranlage“.

2

Das Streitpatent umfasst 10 Ansprüche, die von der Nichtigkeitsklage teilweise angegriffen worden sind. Auf den Hauptanspruch 1 beziehen sich die Unteransprüche 2 bis 10 unmittelbar oder mittelbar zurück. Die jeweils ganz bzw. teilweise angegriffenen Ansprüche 1 bis 5 lauten wie folgt:

3

1. Sicherungseinrichtung zum Schutz von Personen vor Absturz,

4

- mit zwei Anschlagelementen (2, 3), die jeweils an einem ortsfesten Sicherungselement (4) lösbar anbringbar sind und die jeweils über ein Verbindungselement (5, 6) mit der zu sichernden Person verbindbar sind,

5

- wobei jedes Anschlagelement (2, 3) eine Riegeleinrichtung (13) aufweist, die zwischen einem Entriegelungszustand, in dem das jeweilige Anschlagelement (2, 3) am jeweiligen Sicherungselement (4) anbringbar oder davon lösbar ist, und einen Verriegelungszustand verstellbar ist, in dem das jeweilige am jeweiligen Sicherungselement (4) angebrachte Anschlagelement (2, 3) nicht vom jeweiligen Sicherungselement (4) zerstörungsfrei lösbar ist,

6

- wobei eine Kopplungseinrichtung (14) vorgesehen ist, die mit den Riegeleinrichtungen (13) der beiden Anschlagelemente (2, 3) gekoppelt ist, derart, dass sie im Entriegelungszustand der Riegeleinrichtung (13) des einen Anschlagelements (2, 3) die Riegeleinrichtung (13) des anderen Anschlagelements (2, 3) in deren Verriegelungszustand blockiert.

7

2. Sicherungseinrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,

8

- dass die Kopplungseinrichtung (14) ihre den Verriegelungszustand der einen Riegeleinrichtung (13) blockierende Blockadestellung freigibt, wenn die andere Riegeleinrichtung (13) ihren Verriegelungszustand aufweist, und/oder

9

- dass zumindest eine der Riegeleinrichtungen (13) eine Freigabeeinrichtung (27) aufweist, die so ausgestaltet ist, dass sie die entriegelte Riegeleinrichtung (13) in deren Entriegelungszustand sperrt und diesen Entriegelungszustand beim Anbringen des jeweiligen Anschlagelements (2, 3) am jeweiligen Sicherungselement (4) freigibt und ein Verriegeln der Riegeleinrichtung (13) zulässt, und/oder

10

- dass zumindest eine der Riegeleinrichtungen (13) eine Freigabeeinrichtung (27) aufweist, die mit der Kopplungseinrichtung (14) gekoppelt ist, derart, dass sie die Kopplungseinrichtung (14) in einer den Verriegelungszustand der jeweils anderen Riegeleinrichtung (13) blockierenden Blockadestellung sperrt und diese Blockadestellung beim Anbringen des Anschlagelements (2, 3) mit der entriegelten Riegeleinrichtung (13) am jeweiligen Sicherungselement (4) freigibt, und/oder

11

- dass die Kopplungseinrichtung (14) so ausgestaltet und mit den Riegeleinrichtungen (13) gekoppelt ist, dass die beiden Riegeleinrichtungen (13) nicht gleichzeitig entriegelbar sind.

12

3. Sicherungseinrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet,

13

- dass die Anschlagelemente (2, 3) an die jeweiligen Sicherungselemente (4) adaptiert sind, derart, dass das jeweilige Anschlagelement (2, 3) nur an passenden Sicherungselementen (4) anbringbar ist, und/oder

14

- dass die Anschlagelemente (2, 3) jeweils eine Einführöffnung (30) aufweisen, in welche das jeweilige Sicherungselement (4) beim Anbringen des jeweiligen Anschlagelements (2, 3) am jeweiligen Sicherungselement (4) einzuführen ist und die so dimensioniert ist, dass nur passende Sicherungselemente (4) darin einführbar sind.

15

4. Sicherungseinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet,

16

- dass die Kopplungseinrichtung (14) einen Bowdenzug (20) aufweist, der die beiden Riegeleinrichtungen (13) miteinander koppelt, oder

17

- dass die Kopplungseinrichtung (13) zwei Hydraulikaktuatoren (24), die jeweils mit einer der Riegeleinrichtungen (13) gekoppelt sind, und eine die Hydraulikaktuatoren (24) miteinander hydraulisch koppelnde Hydraulikleitung (25) aufweist, oder

18

- dass die Kopplungseinrichtung (14) zwei Pneumatikaktuatoren (24), die jeweils mit einer der Riegeleinrichtungen (13) gekoppelt sind, und eine die Pneumatikaktuatoren (24) miteinander pneumatisch koppelnde Pneumatikleitung (25) aufweist, oder

19

- dass die Kopplungseinrichtung (14) zwei Elektroaktuatoren (21), die jeweils mit einer der Riegeleinrichtungen (13) gekoppelt sind, und ein die Elektroaktuatoren (21) miteinander elektrisch koppelndes Elektrokabel (22) aufweist, oder

20

- dass die Kopplungseinrichtung (14) zwei Elektroaktuatoren (21), die jeweils mit einer der Riegeleinrichtungen (13) gekoppelt sind, und zwei drahtlos miteinander kommunizierende Sende- und Empfangseinheiten (23) aufweist, die jeweils mit einem der Elektroaktuatoren (21) elektrisch gekoppelt sind.

21

5. Sicherungseinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet,

22

- dass zumindest eine der Riegeleinrichtungen (13) einen Riegel (15) aufweist, der zur Realisierung des Entriegelungszustands und des Verriegelungszustands der jeweiligen Riegeleinrichtung (13) zwischen zwei Positionen verstellbar ist, und/oder

23

- dass zumindest eine der Riegeleinrichtungen (13) einen Entriegelungshebel (16) aufweist, der zur Realisierung des Entriegelungszustands und des Verriegelungszustands der jeweiligen Riegeleinrichtung (13) zwischen zwei Positionen verstellbar ist, und/oder

24

- dass der Entriegelungshebel (16) selbst den Riegel (15) bildet, und/oder

25

- dass der Entriegelungshebel (16) mit dem Riegel (15) gekoppelt ist, derart, dass mit dem Entriegelungshebel (16) der Riegel (15) zum Verstellen zwischen dessen Positionen antreibbar ist, und/oder

26

- dass zumindest eine der Riegeleinrichtungen (13) einen Sicherungshebel (18) aufweist, der zum Sichern und Entsichern des Verriegelungszustands der jeweiligen Riegeleinrichtungen (13) zwischen zwei Positionen verstellbar ist, und/oder

27

- dass der Sicherungshebel (18) mit dem Entriegelungshebel (16) gekoppelt ist, derart, dass der Sicherungshebel (18) in seiner ersten Position den Entriegelungshebel (16) in dessen erster Position sperrt und in seiner zweiten Position ein Verstellen des Entriegelungshebels (16) von dessen ersten Position in dessen zweite Position zulässt.

28

Die Klägerin macht den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜbkG iVm Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) und der fehlenden Patentfähigkeit geltend. Der Gegenstand des Streitpatents sei im angegriffenen Umfang auf Grund der in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen nicht neu, zumindest beruhe er nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG iVm Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ, Art. 54, 56 EPÜ).

29

Im Verfahren ist u. a. folgende Druckschrift:

30

D1:US 4 423 796

31

Die Beklagte hat der Klage rechtzeitig widersprochen und tritt der Auffassung der Klägerin entgegen. Sie führt aus, das Streitpatent sei neu und durch den Stand der Technik nicht nahegelegt. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2015 hat sie die Hilfsanträge 1 bis 4 und in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2015 den Hilfsantrag 5 eingereicht.

32

Die Klägerin beantragt,

33

1. das europäische Patent 1 832 315 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in nachfolgendem Umfang für nichtig zu erklären:

34

- Patentanspruch 1,

35

- Unteranspruch 2 im Umfang seiner vierten oder-Variante,

36

- Unteranspruch 3 rückbezogen auf Anspruch 1 und/oder rückbezogen auf Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante,

37

- Unteranspruch 4 im Umfang seiner ersten oder-Variante rückbezogen auf Unteranspruch 3 und/oder Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante und/oder Anspruch 1 und

38

- Unteranspruch 5 im Umfang seiner ersten und/oder-Variante rückbezogen auf Unteranspruch 4 mit seiner ersten oder-Variante und/oder Unteranspruch 3 und/oder Unteranspruch 2 mit seiner vierten oder-Variante und/oder Anspruch 1, und

39

2. der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

40

Die Beklagte beantragt,

41

1. die Klage in vollem Umfang abzuweisen, hilfsweise das Streitpatent im Umfang der mit Schriftsatz vom 22. Juni 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4, weiter hilfsweise im Umfang des in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2015 eingereichten Hilfsantrags 5 aufrechtzuerhalten und

42

2. der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

43

Mit Schriftsatz vom 28. September 2015 bittet die Klägerin darum, im Hinblick auf den neu zu formulierenden Hauptanspruch die gebotene Amtsermittlung nach § 87 Abs. 1 PatG auszuüben. Sie trägt vor, dass auch die erste Merkmalsgruppe des Anspruchs 2:

44

„dass die Kopplungseinrichtung (14) ihre den Verriegelungszustand der ersten Regeleinrichtung (13) blockierende Blockadestellung freigibt, wenn die andere Riegeleinrichtung (13) ihren Verriegelungszustand aufweist“

45

zusammen mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu sei, da sie bereits in der D1 offenbart werde.

46

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

47

Die zulässige Klage ist begründet, da sich der Gegenstand des Streitpatents, soweit er von der Klage angegriffen ist, sowohl in der erteilten Fassung als auch nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 als nicht patentfähig erweist.

48

Es bedurfte somit vorliegend keiner Entscheidung, ob der weiter geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜbkG iVm Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) begründet ist.

I.

49

1. Als zuständiger Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur mit Fachhochschulabschluss anzusehen, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Absturzsicherungen durch Seile und Gurte verfügt.

50

2. Anspruch 1 nach Hauptantrag weist folgende Merkmale auf:

51

a Sicherungseinrichtung zum Schutz von Personen vor Absturz,

52

b mit zwei Anschlagelementen (2, 3), die jeweils an einem ortsfesten Sicherungselement (4) lösbar anbringbar sind und

c die jeweils über ein Verbindungselement (5, 6) mit der zu sichernden Person verbindbar sind,

53

d1 wobei jedes Anschlagelement (2, 3) eine Riegeleinrichtung (13) aufweist,

d2 die zwischen einem Entriegelungszustand, in dem das jeweilige Anschlagelement (2, 3) am jeweiligen Sicherungselement (4) anbringbar oder davon lösbar ist, und einem Verriegelungszustand verstellbar ist, in dem das jeweilige am jeweiligen Sicherungselement (4) angebrachte Anschlagelement (2, 3) nicht vom jeweiligen Sicherungselement (4) zerstörungsfrei lösbar ist,

54

e1 wobei eine Kopplungseinrichtung (14) vorgesehen ist, die mit den Riegeleinrichtungen (13) der beiden Anschlagelemente (2, 3) gekoppelt ist, derart,

e2 dass sie im Entriegelungszustand der Riegeleinrichtung (13) des einen Anschlagelements (2, 3) die Riegeleinrichtung (13) des anderen Anschlagelements (2, 3) in deren Verriegelungszustand blockiert.

55

 3. Im jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 (abgekürzt mit „Hi1“ bis „Hi5“) weichen folgende Merkmale vom Anspruch 1 nach Hauptantrag ab (Änderungen in Fettdruck):

        
56

aHi1 Sicherungseinrichtung für Seilgärten zum Schutz von Personen vor Absturz,

        
57

aHi2 bis Hi5 Seilgartensicherungseinrichtung zum Schutz von Personen vor Absturz,

        
58

d3Hi3, Hi4 wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die

59

  Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind,

        
60

d3Hi5 wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind, und darin nicht blockiert sind,

        
61

e3Hi4 wobei die Kopplungseinrichtung (14) im Ausgangszustand den Verriegelungszustand der Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) nicht blockiert.

62

4. Zum Verständnis des Streitpatents sowie zur Merkmalsauslegung:

63

Anhand der Beschreibung und der Fig. 1 bis 4 der Patentschrift (PS) EP 1 832 315 B1 des Streitpatentswerden der wesentliche Aufbau und die Funktion des jeweiligen Gegenstandes nach den geltenden Ansprüchen 1 dargestellt.

64

Das Streitpatent beansprucht eine Sicherungseinrichtung zum Schutz von Personen vor Absturz, vgl. Merkmal a. Absturzsicherungen sind laut PS, Abs. [0002] bis [0007] zum Personenschutz bei solchen Arbeiten oder Tätigkeiten erforderlich und zumeist vorgeschrieben, bei denen Personen in einer Höhe tätig sind, bei der mit ernsthaften Verletzungen zu rechnen ist, wenn die Person abstürzt. Absturzgefährdete Tätigkeiten gibt es beispielsweise im Arbeitsbereich, wenn Personen an hohen Gebäuden, z.B. Hochhäusern, Brücken, Türmen, Kaminen, Kranen oder Schiffen tätig sind, und im Touristik- oder Freizeitbereich, wenn Personen an Kletterwänden oder alpin klettern oder sich durch sogenannte „Seilgärten" bewegen. Hierzu werden die einzelnen Personen mit Hilfe von Sicherungseinrichtungen gesichert, die ein Anschlagelement umfassen, z.B. einen Karabinerhaken, mit dem sich die jeweilige Person mit einem ortsfesten Sicherungselement verbindet. An dem Anschlagelement ist ein seilförmiges Verbindungselement angebracht, das wiederum, z.B. über einen Brust- oder Hüftgurt als Sicherheitsgurt, am anderen Ende mit der zu sichernden Person verbunden ist (PS, Abs. [0005]).

65

Dabei kann das ortsfeste Sicherungselement beispielsweise aus einem Gurt, Seil oder einer an einer Wand befestigten Ösenschraube sowie auch aus einer Leitersprosse o.ä. bestehen.

Um die Absturzgefahr zu reduzieren, kann die jeweilige Person mit einer Sicherungseinrichtung arbeiten, die zwei Anschlagelemente aufweist, die über zwei separate Verbindungselemente mit der Person (meist über einen Sicherheitsgurt) verbunden sind. Die Person kann sich dann stets mit zwei Anschlagelementen am jeweiligen Sicherungselement sichern. Eine derartige Absturzsicherung ist deshalb gemäß den Merkmalen b und c des Anspruchs 1 mit zwei Anschlagelementen ausgestattet, die beispielsweise aus Karabinern oder Rollenführungen bestehen und für die Befestigung an jeweils einem ortsfesten Sicherungselement lösbar anbringbar bzw. einhängbar sind.

Beim Umsetzen der Sicherung von einem ortsfesten Sicherungselement auf ein anderes besteht nun die Möglichkeit, die beiden Anschlagelemente nacheinander umzusetzen. Diese beiden Anschlagelemente sind wiederum durch kurze Seile oder Gurte (Verbindungselemente) über eine Schlaufe verbunden, an der die zu sichernde Person über einen Sicherheitsgurt oder ein entsprechendes „Haltegeschirr" hängt. Bei gelöstem ersten Anschlagelement ist die Person über das zweite Anschlagelement noch immer am ersten Sicherungselement gesichert. Nach dem Anbringen des ersten Anschlagelements am zweiten Sicherungselement kann das zweite Anschlagelement gefahrlos gelöst und ebenfalls umgesetzt werden.

66

Es hat sich jedoch gezeigt, dass immer wieder einzelne Personen damit überfordert sind, die beiden Anschlagelemente nacheinander umzusetzen. Ebenso gibt es besonders leichtsinnige Personen, die beispielsweise aus Übermut die Anschlagelemente nicht ordnungsgemäß benutzen. In der Folge kommt es trotz derartiger Sicherungseinrichtungen immer wieder zu lebensgefährlichen Unfällen (PS, Abs. [0007]).

        
67

Das Streitpatent beschäftigt sich deshalb mit dem Problem, für eine Sicherungseinrichtung gemäß dem vorstehenden Oberbegriff eine verbesserte Ausführungsform anzugeben, die sich insbesondere durch eine erhöhte Personensicherheit auszeichnet, vgl. PS, Abs. [0008].

Zur Lösung des vorstehend skizzierten Problems schlägt das Streitpatent nach Anspruch 1 eine Kopplungseinrichtung vor, die mit den Riegeleinrichtungen der beiden Anschlagelemente so gekoppelt ist, dass sie im Entriegelungszustand der Riegeleinrichtung des einen Anschlagelements (2) die Riegeleinrichtung des anderen Anschlagelements (3) in deren Verriegelungszustand blockiert. Dies entspricht den Merkmalen e1 und e2 des Anspruchs 1.

68

Der Entriegelungszustand und der Verriegelungszustand sind der jeweiligen Riegeleinrichtung zugeordnet und bewirken, dass das zugehörige Anschlagelement nur im Entriegelungszustand vom Sicherungselement lösbar bzw. daran anbringbar ist. Der Verriegelungszustand bewirkt dagegen, dass das zugehörige Anschlagelement nicht vom Sicherungselement lösbar ist bzw. soweit geschlossen ist, dass eine Trennung vom Sicherungselement zerstörungsfrei nicht möglich ist.

69

Die beschriebene Sicherungseinrichtung verhindert somit ein willkürliches oder versehentliches gleichzeitiges Entfernen beider Anschlagelemente von den jeweiligen Sicherungselementen, so dass die gesicherte Person stets mit wenigstens einem Anschlagelement an einem Sicherungselement gesichert ist.

Gemäß den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 1 bis 5 soll darüber hinaus die in Rede stehende Sicherungseinrichtung durch die Formulierung „für Seilgärten" (Hilfsantrag 1) bzw. „Seilgartensicherungseinrichtung" (Hilfsanträge 2 bis 5) für Seilgärten geeignet sein. Die Formulierung „Seilgartensicherungseinrichtung" der Hilfsanträge 2 bis 5 stellt sich dabei als eine abgekürzte Ausdrucksweise der Formulierung „Sicherungseinrichtung für Seilgärten" des Hilfsantrags 1 dar, durch die sich kein Unterschied zwischen den Gegenständen der Hilfsanträge 2 bis 5 und des Hilfsantrags 1 ergibt. Dadurch ist die beanspruchte Sicherungseinrichtung jedoch nicht auf die Verwendung für Seile beschränkt, sondern umfasst bspw. auch Rohre (StrPS, Sp. 4, Z. 37 bis 39). Weiterhin soll ein Zustand einstellbar sein, in dem die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente jeweils im Verriegelungszustand sind, d.h. beide Anschlagelemente können in diesem Zustand nicht vom Sicherungselement gelöst werden (Hilfsantrag 3 und 4). Gemäß Hilfsantrag 4 soll darüber hinaus zusätzlich „die Kopplungseinrichtung (14) im Ausgangszustand den Verriegelungszustand der Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) nicht blockieren", was nach dem Verständnis des Fachmanns bedeutet, dass aus diesem Ausgangszustand heraus die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente jeweils einzeln und abwechselnd (gemäß Merkmal d2) in den Entriegelungszustand gebracht werden können.

70

Im Anspruch 1 nach Hilfsantrag 5 werden die zusätzlichen Merkmale

71

der Hilfsanträge 3 und 4,

72

„wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind“,

73

und des Hilfsantrags 4,

74

wobei die Kopplungseinrichtung (14) im Ausgangszustand den Verriegelungszustand der Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) nicht blockiert“,

        
75

wie folgt zusammengefasst:

76

„wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die  Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind, und darin nicht blockiert sind“.

77

Im Fall der Hilfsanträge 3 und 4 wird der Ausgangszustand dadurch definiert, dass „die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind“. Dies ist beim Ausführungsbeispiel in den Figuren 1a und 1e der Fall.

78

Jedoch ist in Figur 1e die zusätzliche Bedingung des Hilfsantrags 4, dass in diesem Ausgangszustand „die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) nicht blockiert“ sind, nicht erfüllt, da offensichtlich die Kopplungseinrichtung 14 den Verriegelungszustand der linken Riegeleinrichtung (13) blockiert. Denn das Kreissymbol 26 ist als Kreisfläche dargestellt und nicht als Kreisring (vgl. PS, Sp. 8, Z. 35-40).

79

Auf den Hinweis des Senats, dass bei dem oben genannten Verständnis der Merkmale des Hilfsantrags 4 ein Widerspruch zur ursprünglichen Offenbarung gegeben sein könnte, hat die Beklagte im Hilfsantrag 5 die Angabe, dass die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) „nicht blockiert sind“ in die Definition des Begriffs „Ausgangszustands“ aufgenommen, so dass dieser nunmehr zwar in Fig. 1a, nicht jedoch in Fig. 1e dargestellt ist.

Abbildung

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Abbildung

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80

5. Patentfähigkeit des Gegenstands nach Anspruch 1

81

5.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag ist nicht neu gegenüber der D1 (US 4 423 796).

82

Die D1 offenbart gemäß dem Wortlaut ihres Anspruchs 1 eine Sicherheitseinrichtung für einen Leiterkletterer („a ladder climber's safety device"). Mit dieser Einrichtung soll ein Absturz eines Leiterkletterers von einer Leiter verhindert werden. Sie dient damit als Sicherungseinrichtung zum Schutz von Personen vor Absturz (Merkmal a).

83

Der weitere Wortlaut des Anspruchs 1 der D1 beschreibt mit „a pair of handle members, each handle member comprising a manually operable rung engaging portion" eine Einrichtung mit zwei Griffelementen, die nach dem Verständnis des Fachmanns funktional ausgebildet sind als Anschlagelemente 12, 13 mit einer Riegeleinrichtung, die aus je einem Riegel 20, 20‘ besteht. Diese zwei Anschlagelemente (12, 13) sind dabei jeweils lösbar an einem ortsfesten Sicherungselement (hier in Form einer „rung 15“ oder mehrerer Leitersprossen „rungs of the ladder 15“) anbringbar (Merkmal b).

84

Nach Anspruch 1 der D1 weist die Sicherungseinrichtung auch ein Verbindungselement („connector assembly", s. Fig. 2, Ziff. 25) für eine Verbindung zu einem Sicherheitsgurt oder einem Sicherheitsgurtzeug einer Person auf (Merkmal c).

85

Dass auch jedes Anschlagelement eine Riegeleinrichtung (latching member 20, 20´) aufweist, die zwischen einem Entriegelungszustand, in dem das jeweilige Anschlagelement am jeweiligen Sicherungselement anbringbar oder davon lösbar ist, und einem Verriegelungszustand verstellbar ist, in dem das jeweilige am jeweiligen Sicherungselement angebrachte Anschlagelement nicht vom jeweiligen Sicherungselement zerstörungsfrei lösbar ist, wird in den Figuren 2 (linkes Anschlagelement im Entriegelungszustand, rechtes Anschlagelement im Verriegelungszustand) und 3 dargestellt und in der Beschreibung, Sp. 1, Z. 59 bis Sp. 2, Z. 29, beschrieben (Merkmale d 1 , d 2 ).

86

Die Merkmale e1 und e2 werden ebenfalls durch die Figuren 2 und 3 iVm der Beschreibung Sp. 2, Z. 31 bis Sp. 2, Z. 54 iVm Sp. 1, Z. 20 bis 24, gelehrt. Demnach ist auch in der D1 eine Kopplungseinrichtung vorgesehen (Bowdenzug 23, 24), die mit den Riegeleinrichtungen (latching member 20, 20´) der beiden Anschlagelemente (handle member 12, 13) gekoppelt ist (Merkmal e 1 ), derart, dass lediglich jeweils eines davon und nicht beide gleichzeitig gelöst werden können, siehe auch Sp. 2, Z. 44 bis 47. Somit ist sichergestellt, dass im Entriegelungszustand der ersten Riegeleinrichtung (z.B. „latching member Pos. 20“ in Fig. 2) des einen Anschlagelements 12 die Riegeleinrichtung 20´des anderen Anschlagelements 13 in ihrem Verriegelungszustand blockiert ist (Merkmal e 2 ).

87

 Damit sind alle Merkmale des geltenden Anspruchs 1 in neuheitsschädlicher Weise aus der vorveröffentlichten Schrift D1 bekannt.

        
88

Die Behauptung der Beklagten, in D1 könnten in einer „Mittelstellung“ beide Haken/Anschlagelemente von den Leitersprossen/Sicherungselementen gelöst werden, trifft nicht zu:

89

In D1 ist in der Beschreibung eindeutig ausgesagt, dass immer nur ein Anschlagelement gelöst werden kann, siehe z.B. Sp. 2, Z. 66 bis Sp. 3, Z. 2.

90

Weiterhin definiert die D1 in Spalte 1, Zeilen 20 bis 24, als zwingende Aufgabe der Erfindung, dass immer nur ein einziges Anschlagelement auf einmal von der Leiter (also vom Sicherungselement) gelöst werden kann, während das andere an der Leiter verbleibt.

91

Weiter argumentierte die Beklagte in der mündlichen Verhandlung, dass anders als beim Gegenstand nach der D1,

92

1. es beim Gegenstand des Streitpatents Entriegelungshebel 16 gebe, die blockiert oder nicht blockiert sein könnten, und

93

2. beim Gegenstand des Streitpatents beide Riegel 15 gleichzeitig geschlossen sein könnten.

94

Dies trifft tatsächlich für das Ausführungsbeispiel gemäß Fig. 1a bis f zu, bei dem A) die Riegeleinrichtung 13 einen Riegel 15, einen Entriegelungshebel 16 und einen Sicherungshebel 18 umfasst und

95

A) die Riegeleinrichtung 13 einen Riegel 15, einen Entriegelungshebel 16 und einen Sicherungshebel 18 umfasst und

96

B) es die Entriegelungshebel 16 sind, die über die Kopplungseinrichtung 14 gekoppelt sind.

97

Diese Merkmale des Ausführungsbeispiels gemäß Fig. 1a bis f finden sich jedoch nicht im Anspruch 1 des Streitpatents:

98

A) Im Anspruch 1 ist lediglich der Begriff „Riegeleinrichtung (13)“ aufgeführt, ohne jede weitere Angabe, woraus diese bestehen soll. Laut PS, Abs. [0025] Zeilen 28 bis 31, ist damit auch ein Gegenstand umfasst, bei dem die Riegeleinrichtung lediglich aus einem Riegel 15 besteht, siehe dazu in der PS, Fig. 2, rechts das nach Art eines Karabinerhakens ausgestaltete Anschlagelement 2’. Aus der PS, Absatz [0019], geht weiter hervor, dass auch beide Anschlagelemente als Karabinerhaken ausgebildet sein können.

99

B) Im Anspruch 1 ist lediglich angegeben, dass die „Riegeleinrichtungen“ über die Kopplungseinrichtung 14 gekoppelt sind. Laut PS, Abs. [0027], fällt es auch unter das Patent, wenn dabei die Riegel 15 gekoppelt sind.

100

Für die patentgemäße Ausführungsform einer Sicherungseinrichtung mit 2 Karabinerhaken wie in Fig. 2 rechts folgt:

101

- Die Begriffe „Verriegelungszustand“ und „Entriegelungszustand“ im Merkmal d2 lassen sich nur so auslegen, dass der jeweilige Riegel 15 geöffnet oder geschlossen ist.

102

- „Riegeleinrichtung im Verriegelungszustand“ in Merkmal e2 bedeutet deshalb lediglich, dass der Riegel 15 geschlossen ist,

103

- „Riegeleinrichtung im Verriegelungszustand blockiert“ in Merkmal e2 bedeutet ebenfalls lediglich, dass der Riegel 15 nicht geöffnet werden kann. Abbildung

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104

Die von der Beklagten behaupteten Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und dem Gegenstand der D1,

105

1. Entriegelungshebel 16, die blockiert oder nicht blockiert sein können,

106

2. Riegel 15, die beide gleichzeitig geschlossen sein können,

107

existieren daher nur in Bezug auf das in PS, Abs. [0034] bis [0045] beschriebene Ausführungsbeispiel gemäß Fig. 1a bis f, nicht dagegen zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und der D1.

108

Denn der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht auf den zweistufigen Aufbau des Ausführungsbeispiels beschränkt, bei dem nicht die Riegeleinrichtung 13, sondern der Riegel 15 verhindert, dass das Anschlagelement 3 von der Sicherungseinrichtung 4 abgenommen wird, die Riegeleinrichtung 13 dagegen lediglich verhindert, dass der Riegel 15 entriegelt wird.

109

Das Ausführungsbeispiel darf nicht dazu verwendet werden, den erteilten Anspruch unter seinen Wortlaut auszulegen (vgl. BGH „Mehrgangnabe", GRUR 2008, 779).

110

 5.2 Die Zulässigkeit der Hilfsanträge 1 bis 5 kann letztlich dahinstehen, da die Gegenstände der Ansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 jedenfalls gegenüber der D1 nicht patentfähig sind.

5.2.1 Zum Hilfsantrag 1:

Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, der sich gegenüber dem Anspruch 1 nach Hauptantrag nur durch die Zweckangabe „für Seilgärten" im Merkmal aHi1 unterscheidet, ist ebenfalls nicht neu.

 Nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sowie unter Zugrundelegung der Beschreibung des Streitpatents ist die beanspruchte Sicherheitseinrichtung für Seilgärten nicht ausdrücklich auf die Verwendung nur an Seilen beschränkt. Sie umfasst beispielsweise auch die Verwendung an Rohren (PS, Sp. 4, Z. 37 bis 39).

Auch die D1 offenbart die Befestigung an Rohren, hier beispielsweise Leitersprossen (D1, ladder 15), womit sie zwangsläufig auch geeignet ist als Sicherheitseinrichtung für zumindest solche Seilgärten, die Sicherungselemente in Form von Rohren aufweisen.

5.2.2 Zum Hilfsantrag 2:

111

Da sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 nicht von dem nach Hilfsantrag 1 unterscheidet, ist er aus denselben Gründen nicht neu gegenüber der D1.

112

5.2.3 Zum Hilfsantrag 3:

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 weist gegenüber dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 noch folgendes zusätzliches Merkmal auf:

113

d3Hi3, Hi4 wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind,

        
114

Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 mag neu sein, er ist jedoch durch die D1 iVm Fachwissen nahegelegt:

115

Laut D1 soll der Leiterkletterer zu jedem Zeitpunkt gesichert sein (Sp. 2, vorletzte Zeile ff.). Es ergibt sich daher ohne weitere erfinderische Überlegungen, dass in der D1 die dortigen Anschlagelemente (handle member 12, 13) und die Riegeleinrichtungen (latching member 20, 20‘) so zu bemessen und auszubilden sind, dass beim Öffnen der einen Riegeleinrichtung (z.B. 20´ in Fig. 2) des einen Anschlagelements (13) diese das Sicherungselement (15’) nicht freigeben darf, bevor die andere Riegeleinrichtung (z.B. 20 in Fig. 2) soweit geschlossen ist, dass sie (20) nicht mehr vom Sicherungselement (15) gelöst werden kann.

116

Der Fachmann erkennt ohne Weiteres, dass es zwingend einen einstellbaren Mittelbereich/ Übergangsbereich als anspruchgemäßen „Ausgangszustand" geben muss, in dem die Riegeleinrichtungen (20, 20’) beider Anschlagelemente (12, 13) jeweils im Verriegelungszustand (nämlich geschlossen) sind, um ein zufälliges gleichzeitiges Entriegeln beider Riegeleinrichtungen zu vermeiden, da dies die beabsichtigte verbesserte Sicherung durch die Erfindung verhindern würde.

        
117

5.2.4 Zum Hilfsantrag 4:

118

Der Gegenstand nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 umfasst gegenüber dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3 noch das zusätzliche Merkmal:

        
119

e3Hi4 wobei die Kopplungseinrichtung (14) im Ausgangszustand den Verriegelungszustand der Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) nicht blockiert.

        
120

Auch der Gegenstand nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

121

 Die anspruchsgemäße Kopplungseinrichtung der D1 besteht gemäß Fig. 2 und 3 und zugehöriger Beschreibung aus einem Bowdenzug (core element 23), der als „push-pull cable" ausgebildet ist, also Zug- und Druckkräfte zu übertragen vermag (D1, Sp. 2, Z. 44 bis 45). Da diese Koppelungseinrichtung keinerlei Rasteinrichtungen oder Verriegelungen aufweist, kann in keinem Zustand, und somit auch nicht in dem als „Ausgangszustand" definierten Zustand (s.o. Ausführungen zu Hilfsantrag 3), der Verriegelungszustand der Riegeleinrichtungen durch die Kopplungseinrichtung blockiert werden (Merkmal e3 Hi4 ). Im „Ausgangszustand" sind vielmehr beide Riegeleinrichtungen 20, 20´ aufgrund ihrer dem Fachmann naheliegenden Dimensionierung (s. D1, Sp. 2, vorletzte Zeile ff., sowie die entsprechenden Ausführungen zu Anspruch 1 nach Hilfsantrag 3) geschlossen. Das entspricht Merkmal d3Hi4.

122

 Damit ist auch der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 durch die D1 iVm mit Fachwissen nahegelegt.

5.2.5 Zum Hilfsantrag 5:

123

Der Anspruch 1 nach dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag 5 weist folgende Merkmale (in dieser Reihenfolge auf):

aHi5, b bis d2, d3Hi5, e1, e2

124

 Der Gegenstand nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 unterscheidet sich nur durch folgende unterstrichen gekennzeichnete Ergänzung im Merkmal d3Hi5 vom Gegenstand nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 3:

125

d3Hi5 wobei ein Ausgangszustand einstellbar ist, in dem die Riegeleinrichtungen (13) beider Anschlagelemente (2, 3) jeweils im Verriegelungszustand sind, und darin nicht blockiert sind ,

        
126

Das Merkmal d3Hi5 gibt somit zusätzlich an, dass die Riegeleinrichtungen im Verriegelungszustand nicht blockiert sind (s. Unterstreichung im Merkmal d3Hi5).

Wegen der weiteren Merkmale aHi5, b bis d2 und e1, e2 wird auf das zu Hilfsantrag 3 Ausgeführte verwiesen.

127

Auch beim Gegenstand der D1 besteht die Kopplungseinrichtung gemäß Fig. 2 und 3 und zugehöriger Beschreibung (Sp. 2, Z. 31 bis 47) aus einem Bowdenzug (23), der Zug- und Druckkräfte direkt und stufenlos zu übertragen vermag und keinerlei Rasteinrichtungen oder Verriegelungen aufweist. Somit kann, wie bereits zum Hilfsantrag 4 erläutert, durch diese Kopplungseinrichtung auch keine Blockierung in einem als Ausgangszustand definierten Zustand eintreten. Das entspricht dem Merkmal d3Hi5.

128

 Somit beruht auch der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 5 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

129

6. Patentfähigkeit der angegriffenen Unteransprüche

130

Mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 5 fallen auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 im angegriffenen Umfang, für die seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt wurde, diese nicht gesondert verteidigen zu wollen, da sie in einzelnen Unteransprüchen keinen eigenen erfinderischen Gehalt sehe.

131

7. Patentfähigkeit des Unteranspruchs 2 im Umfang seiner ersten Variante:

132

Die Klägerin hat das Patent nur in beschränktem Umfang angegriffen, Unteranspruch 2 sollte laut Antrag ausdrücklich nur im Umfang seiner vierten oder-Variante für nichtig erklärt werden.

133

Das in dem nach der Urteilsverkündung eingegangenen Schriftsatz der Klägerin vom 28. September 2015 zum Ausdruck kommende Begehren ist dahingehend zu verstehen, dass der Senat die erste Merkmalsgruppe des Anspruchs 2 von Amts wegen für nichtig erklären soll. Diesem Begehren kann nicht entsprochen werden. Gemäß § 87 Abs. 1 PatG hat das Patentgericht den Sachverhalt zwar von Amts wegen zu erforschen und ist dabei an das Vorbringen sowie die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Dies gilt jedoch nicht für Sachanträge. Vielmehr können nicht angegriffene (Unter)Ansprüche nicht ohne Antrag auf Rechtsbeständigkeit überprüft werden (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Auflage, § 81, Rdnr. 100 und § 87, Rdnr. 5). Entsprechendes gilt für nicht von der Nichtigkeitsklage umfasste Teile eines Anspruchs, soweit sie selbständige Alternativen darstellen. Um eine solche handelt es sich bei der ersten Merkmalsgruppe des Anspruchs 2, deren Nichtigerklärung von der Klägerin nicht beantragt wurde. Demzufolge ist es dem Senat verwehrt, die nunmehr von der Klägerin zusätzlich als nicht schutzfähig angesehene Variante des Anspruchs 2 nachträglich in die Prüfung einzubeziehen und für nichtig zu erklären.

134

Neuer Sachvortrag ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung und insbesondere nach Verkündung des Urteils gemäß § 296a ZPO iVm § 99 Abs. 1 PatG nicht mehr möglich.

III.

135

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.