Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 01.03.2011


BPatG 01.03.2011 - 1 Ni 19/09 (EU)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Verfahren zur Herstellung von dickwandigen spiraligen Kartonhülsen für die Papierindustrie (europäisches Patent)" – zur objektiven Aufgabe und erfinderischen Tätigkeit


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
01.03.2011
Aktenzeichen:
1 Ni 19/09 (EU)
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
nachgehend BGH, 12. Juni 2014, Az: X ZR 96/11, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 54 EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk
Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk
Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 071 556

(DE 699 03 413)

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2011 durch den Richter Engels als Vorsitzenden, die Richterin Friehe sowie die Richter Dipl.-Ing. Sandkämper, Dr.-Ing. Baumgart und Dr.-Ing. Krüger

für Recht erkannt:

I. Das Patent EP 1 071 556 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 071 556 (Streitpatent), das am 22. Januar 1999 unter Inanspruchnahme einer finnischen Priorität vom 23. Januar 1998 angemeldet wurde. Das Streitpatent wurde am 9. Oktober 2002 in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 699 03 413 geführt. Es betrifft einen Kartonkern für die Paperindustrie mit verbesserter Futterstärke und ein Verfahren zu dessen Herstellung (A paperboard core with an improved chuck strength, for the paper industry, and a method of fabricating such) und umfasst 11 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind.

2

Die Patentansprüche 1, 7 und 11 haben in der Verfahrenssprache Englisch folgenden Wortlaut:

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3

und lauten in der deutschen Übersetzung wie folgt:

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4

Wegen des Wortlauts der abhängigen Patentansprüche 2 bis 6 und 8 bis 10 wird auf die Patentschrift EP 1 071 556 B1 Bezug genommen.

5

Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht ausführbar. Ihm komme die in Anspruch genommene Priorität nicht zu, denn im Vergleich zur prioritätsbegründenden Schrift fehlten bei dem Gegenstand des Streitpatents die Merkmale „… mit einer verbesserten Spannfestigkeit und dicken Wänden…“ sowie „… zum Herstellen anderer Kartonhülsen ähnlicher Größe, wobei die Kartonhülsen hohe Spannfestigkeiten aufweisen…“. Dies führe zu einer Verallgemeinerung, die von der Prioritätsschrift nicht umfasst sei.

6

Der Gegenstand des Streitpatents sei des weiteren insgesamt nicht patentfähig. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin unter anderem auf folgende Druckschriften und Dokumente:

7

D2 Gerhardt, T.D.: External Pressure Loading of Spiral Paper Tubes: Theory and Experiment, Journal of Engineering Materials and Technology, 144 / Vol. 112, April 1990

8

D5 Englische Übersetzung der finnischen Gebrauchsmusteranmeldung Nr. U970081 (Veröffentlichungsnummer FI 3004 U1)

9

D7a Finnische Gebrauchsmusteranmeldung Nr. U970081

mit englischer und deutscher Übersetzung

10

D8 US 5,505,395

11

NK2 Erläuterungen zur Berechnung des Wickelwinkels α, der Kartonstreifenbreite B und der Kartonkantenlänge LMP

12

NK7 Englische Übersetzung der Prioritätsanmeldung FI 980145.

13

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22. Februar 2010 Hilfsanträge vorgelegt, mit denen sie ihr Patent beschränkt verteidigt.

14

Gemäß Hilfsantrag 1 werden die erteilten Patentansprüche 1 bis 11 mit der Maßgabe verteidigt, dass es (in der englischen Fassung) in Patentanspruch 1 heißt:

15

1. A method of fabricating spiral paperboard cores for the paper industry having an improved chuck strength and thick walls by winding … (weiter wie erteilt)

16

und in Patentanspruch 7 heißt:

17

7. A spiral paperboard core for the paper industry having an improved chuck strength and thick walls or a spiral paperboard core for other purposes but … (weiter wie erteilt).

18

Gemäß Hilfsantrag 2 werden die erteilten Patentansprüche 1 bis 11 mit der Maßgabe verteidigt, dass es (in der englischen Fassung) in Patentanspruch 3 heißt:

19

3. … and more preferably 350 to 450 mm, but below a maximum ply width … (weiter wie erteilt)

20

und in Patentanspruch 4 heißt:

21

4. … and more preferably 350 to 500 mm, but below a maximum ply width … (weiter wie erteilt)

22

und in Patentanspruch 6 heißt:

23

6. … and more preferably 250 to 450 mm, but below a maximum ply width … (weiter wie erteilt)

24

sowie in Patentanspruch 8 heißt:

25

8. … more preferably over 230 mm, but below a maximum ply width… (weiter wie erteilt)

26

und in Patentanspruch 9 heißt:

27

9 … and more preferably 350 to 500 mm, but below a maximum ply width … (weiter wie erteilt).

28

Gemäß Hilfsantrag 3 werden die erteilten Patentansprüche 1, 2, 5, 7, 10 und 11 mit der Maßgabe verteidigt, dass

29

Patentanspruch 5 in Patentanspruch 3 umnummeriert wird,

30

Patentanspruch 7 in Patentanspruch 4 umnummeriert wird,

31

Patentanspruch 10 in Patentanspruch 5 umnummeriert wird und es dort heißt: „A paperboard core as recited in claim 4, characterized in that…“ (weiter wie erteilt),

32

Patentanspruch 11 in Patentanspruch 6 umnummeriert wird und es dort heißt: „…as recited any of the claims 4 to 5 …“ (weiter wie erteilt).

33

Gemäß Hilfsantrag 4 werden die erteilten Patentansprüche 1 bis 11 mit der Maßgabe verteidigt, dass Patentansprüche 1 und 7 geändert werden wie in Hilfsantrag 1 und zudem Patentansprüche 3, 4, 6, 8 und 9 geändert werden wie in Hilfsantrag 2.

34

Gemäß Hilfsantrag 5 werden die erteilten Patentansprüche 1, 2, 5, 7, 10 und 11 verteidigt mit den Änderungen gemäß Hilfsantrag 3 und zudem Patentansprüche 1 und 7 (umnummeriert in 4) geändert wie in Hilfsantrag 1.

35

Die Klägerin beantragt,

36

das europäische Patent 1 071 556 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

37

Die Beklagte beantragt,

38

die Klage abzuweisen,

39

hilfsweise, die Klage abzuweisen, soweit das Patent nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 vom 22. Februar 2010 verteidigt wird.

40

Sie ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Streitpatents, insbesondere auch der Unteransprüche, hinreichend offenbart, patentfähig und insbesondere durch die von der Klägerin angezogenen Druckschriften weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch nahegelegt sei.

Entscheidungsgründe

I.

41

Die zulässige Klage ist begründet. Sie führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, denn der Gegenstand des Streitpatents einschließlich der nachgeordneten Patentansprüche ist nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54, 56 EPÜ).

42

1. Das Streitpatent betrifft einen Kartonkern für die Papierindustrie mit verbesserter Futterstärke und ein Verfahren zu dessen Herstellung.

43

In der Papier-, Film- und Textilindustrie produzierte Bahnen werden normalerweise auf Kernhülsen für Rollen gewickelt. Aus Karton gefertigte Spiralhülsen werden hergestellt, indem Kartonstreifen übereinander geklebt und in einer speziellen Spiralhülsenwickelmaschine spiralig gewunden werden. Breite, Dicke und Zahl der Kartonstreifen, die zur Bildung einer Hülse benötigt werden, variieren in Abhängigkeit von den Dimensionen und den Festigkeitsanforderungen der herzustellenden Hülse (vgl. Übersetzung der Streitpatentschrift DE 699 03 413 T2, Seite 1, Zeile 19 bis 25). In der Papierverarbeitungsindustrie haben die Gewichte der in Druckmaschinen benutzten Papierrollen ständig zugenommen, was eine immer höhere Festigkeit und eine immer höhere Kapazität von Spiralhülsen erfordert (Seite 1, Zeile 33 bis 35).

44

2. Vor diesem Hintergrund betrifft das Streitpatent das objektive technische Problem, ein verbessertes und effektiveres Verfahren zur Herstellung von dickwandigen Kartonhülsen für die Papierindustrie zu schaffen (Seite 5, Zeile 4 bis 7 der T2-Schrift) und eine Kartonhülse anzugeben, die den durch stets zunehmende Rollengewichte gestellten Anforderungen an die Hülsen gerecht wird (Seite 5, Zeilen 16 bis 20).

45

3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1, eine Hülse mit den Merkmalen des Patentanspruchs 7 sowie die Verwendung einer Hülse gemäß Anspruch 11 vor.

46

Patentanspruch 1 weist folgende Merkmale auf:

47

1.1 Verfahren zur Herstellung von spiraligen Kartonhülsen für die Papierindustrie

48

1.2 durch Wickeln von Kartonstreifen spiralig um eine Spindel zu einem Rohr,

49

1.3 welche Hülsen eine Wanddicke H von 10 mm oder mehr und einen Innendurchmesser über 70 mm haben,

50

1.4 welche Hülsen zur Verwendung bei Auf-/Abrollgeschwindigkeiten von zumindest ungefähr 200 m/min (3,3 m/s) vorgesehen sind,

51

dadurch gekennzeichnet, dass

52

1.5 für die Zylinderfläche, auf der die maximalen Zug- und Scherspannungen, d. h. ein Spannungsmaximum in z-Richtung in der Wand einer fertig gestellten Kartonhülse vorkommen, und

53

1.6 in der Nähe der Zylinderfläche, einschließlich des Kartonstreifens in der Mitte der Hülsenwand

54

1.7 bei einem Innendurchmesser von 73 [mm] bis 110 mm: LMP <1550 mm, bevorzugt unter 1450 mm und bevorzugter unter 1300 mm,

55

1.8 bei einem Innendurchmesser von 111 [mm] bis 144 mm: LMP, <1900 mm, bevorzugt unter 1650 mm und bevorzugter unter 1500 mm, und

56

1.9 bei einem Innendurchmesser von 145 [mm] bis 180 mm: LMP, <2450 mm, bevorzugt 2200 bis 1500 mm und bevorzugter unter 1500 mm,

57

1.10 wobei LMP die Kantenlänge des Kartonstreifens auf der Zylinderfläche pro 1 Laufmeter Kartonhülse ist.

58

Die Kartonhülse nach Patentanspruch 7 weist die folgenden Merkmale auf:

59

7.1 Spiralige Kartonhülse für die Papierindustrie oder spiralige Kartonhülse, die für andere Zwecke vorgesehen ist, aber hohe Spannfutterfestigkeit erfordert und

60

7.2 aus einer Vielzahl Kartonstreifen besteht, die spiralig zu einer Hülse gewunden sind,

61

7.3 welche Hülsen eine Wanddicke H von 10 mm oder mehr und einen Innendurchmesser über 70 mm haben,

62

7.4 welche Hülsen für den Einsatz bei Auf-/Abrollgeschwindigkeiten von zumindest ungefähr 200 m/min (3,3 m/s) vorgesehen sind,

63

dadurch gekennzeichnet, dass

64

7.5 auf der Zylinderfläche, auf der die maximalen Zug- und Scherspannungen, d. h. ein Spannungsmaximum in z-Richtung in der Wand einer fertig gestellten Kartonhülse vorkommen, und

65

7.6 in der Nähe der Zylinderfläche, einschließlich des Kartonstreifens in der Mitte der Hülsenwand

66

7.7 bei einem Innendurchmesser von 73 [mm] bis 110 mm: LMP <1550 mm, bevorzugt unter 1450 mm und bevorzugter unter 1300 mm,

67

7.8 bei einem Innendurchmesser von 111 [mm] bis 144 mm: LMP <1900 mm, bevorzugt unter 1650 mm und bevorzugter unter 1500 mm, und

68

7.9 bei einem Innendurchmesser von 145 [mm] bis 180 mm: LMP <2450 mm, bevorzugt 2200 bis 1500 mm und bevorzugter unter 1500 mm,

69

7.10 wobei LMP die Kantenlänge des Kartonstreifens auf der Zylinderfläche pro 1 Laufmeter Kartonhülse ist.

70

Die Klammerergänzungen der Dimension der unteren Innendurchmesserangaben ergeben sich aus der maßgeblichen englischen Fassung der Patentansprüche.

71

Anspruch 11 schlägt die Verwendung einer spiraligen Kartonhülse nach einem der Patentansprüche 9 bis 10 beim Auf-/Abrollen von Papierrollen vor, die zumindest 6,5 Tonnen, bevorzugt zumindest 8,5 Tonnen wiegen.

72

4. Zum Verständnis des Patents aus der Sicht des hier zuständigen Fachmanns, eines Maschinenbauingenieurs (FH) oder -technikers, der über langjährige Erfahrung in der Entwicklung von Kartonhülsen verfügt, ist folgendes auszuführen:

73

Anspruch 7 betrifft eine spiralige Kartonhülse für die Papierindustrie (Merkmal 7.1). Die Wandung derartiger Hülsen ist aus mehreren Lagen Karton aufgebaut. Dabei werden entsprechend der gewünschten Wanddicke mehrere Kartonstreifen zunächst mit Klebstoff versehen und dann spiralförmig zu einer Hülse gewickelt (Merkmal 7.2), vgl. nachfolgende Fig. 3 aus der D8.

Abbildung

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74

Die Hülsen weisen eine Wanddicke von mindestens 10 mm und einen Innendurchmesser über 70 mm auf und sollen für den Einsatz bei Aufroll- und Abrollgeschwindigkeiten von zumindest 200 m/min geeignet sein (Merkmale 7.3 und 7.4). Merkmal 7.4 i. V. m. der Verwendungsangabe im Merkmal 7.1 („für die Papierindustrie“) besagt, dass die Hülse für den genannten Zweck verwendbar sein muss (BGH GRUR 2009, 837 - Bauschalungsstütze). Die relativ große Wanddicke von mindestens 10 mm deutet ebenfalls auf diesen Zweck hin (vgl. Seite 5, Zeile 35 bis Seite 6, Zeile 5 der DE 699 03 413 T2).

75

Gemäß dem kennzeichnenden Teil werden die bei der Herstellung der Hülse verwendeten Kartonstreifen durch ihre Kantenlänge pro laufendem Meter Hülse in Abhängigkeit vom Innendurchmesser der Hülsen (73 mm bis 110 mm, 111 mm bis 144 mm, 145 mm bis 180 mm) definiert. Die Kantenlängen beziehen sich dabei auf den Bereich der Hülsen, in dem ein Spannungsmaximum auftritt (Merkmal 7.5) und auf den Kartonstreifen in der Mitte der Hülsenwand (Merkmal 7.6). Das Spannungsmaximum liegt in der Nähe der Mitte der Hülsenwand einer Kartonhülse, wie sich aus Seite 10, Zeile 1 bis 5 der T2-Schrift ergibt. Anlage NK2 der Klägerin erläutert die Berechnungsmethoden anhand der Abwicklung einer Kartonstreifens einer Hülse. In der nachfolgend wiedergegebenen NK2 sind auch die im Streitpatent verwendeten Bezeichnungen Kartonkantenlänge LMP, Kartonstreifenbreite B und Wickelwinkel α eingetragen.

Abbildung

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76

Aus der unten zuletzt genannten Formel zur Kartonkantenlänge (Kartonkantenlänge LMP = 1000 mm / sin α) ergibt sich im Übrigen, dass sich die in den Ansprüchen genannte Kartonkantenlänge ohne Weiteres auf den normalerweise gebräuchlichen Wickelwinkel umrechnen lässt, wobei das Ungleichheitszeichen umzukehren ist. Für den erteilten Anspruch 7 ergeben sich - in Klammern - folgende Wickelwinkel:

77

7.7 bei einem Innendurchmesser von 73 bis 110 mm: LMP <1550 mm (α > 40,2o), bevorzugt unter 1450 mm (α > 43,6o) und bevorzugter unter 1300 mm (α > 50,3o),

78

7.8 bei einem Innendurchmesser von 111 bis 144 mm: LMP <1900 mm (α > 31,8o), bevorzugt unter 1650 mm (α > 37,3o) und bevorzugter unter 1500 mm (α > 41,8o) und

79

7.9 bei einem Innendurchmesser von 145 bis 180 mm: LMP <2450 mm (α > 24,1o), bevorzugt 2200 bis 1500 mm (α = 27o bis α = 41,8o) und bevorzugter unter 1500 mm (α > 41,8o).

80

Das Patent schlägt somit relativ hohe Wickelwinkel vor, wobei der Wickelwinkel gemäß Fig. 3 -nachfolgend wiedergegeben - den Winkel zwischen der Richtung quer zur Kartonhülsenachse und der Kante der Kartonlage bezeichnet:

Abbildung

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81

Anspruch 1 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von spiraligen Kartonhülsen für die Papierindustrie, Anspruch 11 deren Verwendung.

II.

82

Das Patent nimmt die Priorität der finnischen Patentanmeldung FI 980145 (Übersetzung gemäß Anlage NK7) wirksam in Anspruch. Dort ist in den nebengeordneten Ansprüchen 1 und 7 zwar angegeben, dass die Hülsen eine verbesserte Spannfutterfestigkeit und große Wanddicke aufweisen sollen (having an improved chuck strength and thick walls), was aber lediglich die Eigenschaften der nach dem Anspruch 1 hergestellten Hülsen umschreibt. Die Streichung dieser Angaben im Erteilungsverfahren war daher zulässig.

83

Außerdem ist die Lehre gemäß den Ansprüchen 3, 4, 6, 8 und 9 ausführbar. Das Patent schützt ein Verfahren zur Herstellung von spiraligen Kartonhülsen und eine spiralförmig gewickelte Kartonhülse; ein Winkel von 90o, bei dem sich keine Windung entlang der Hülsenachse einstellte, fällt für den sachverständigen Leser der Streitpatentschrift damit nicht unter den Schutzbereich.

84

Letztlich kann dieses aber auch dahingestellt bleiben, da die dem Streitpatent in der erteilten Fassung zu entnehmenden Gegenstände der nebengeordneten Patentansprüche 1, 7 und 11 gegenüber dem Stand der Technik zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen (Art. 56 EPÜ).

85

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten technischen Lehre ist von der dem Streitpatent objektiv zugrunde liegenden Aufgabe auszugehen, die im vorliegenden Fall darin zu sehen ist, ein verbessertes und effektiveres Verfahren zur Herstellung von dickwandigen Kartonhülsen für die Papierindustrie zu schaffen und eine Kartonhülse anzugeben, die den durch stets zunehmende Rollengewichte gestellten Anforderungen an die Hülsen gerecht wird.

86

Die Ermittlung des technischen Problems ist Teil der Auslegung des Patentanspruchs; das technische Problem ergibt sich nämlich aus dem, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH GRUR 2010, 602, Tz. 27 - Gelenkanordnung m. w. N.). Das als Aufgabe der Erfindung Bezeichnete kann dabei einen Hinweis auf das richtige Verständnis der Patentansprüche geben; es gilt aber auch für die Angaben zur Aufgabe in der Beschreibung der Vorrang des Patentanspruchs gegenüber dem übrigen Inhalt der Patentschrift (BGH GRUR 2010, 602, Tz. - Gelenkanordnung).

87

Dies gilt auch für in der Patentschrift angegebene Vorteile der Erfindung und Nachteile bekannter Lösungen, da sie lediglich die Grundlage für die Formulierung der in der Patentschrift genannten Aufgabe bilden (vgl. Schulte PatG, 8. Aufl., § 1 Rdn. 63 und 65, Busse PatG, 6. Aufl., § 1 Rdn. 88, 92 bis 94, Benkard PatG, 10. Aufl., § 1 Rdn. 55a, 56; § 34 Rdn. 18 bis 20).

88

Vorliegend ist demzufolge zu berücksichtigen, dass die patentgemäß beanspruchte Problemlösung auf eine spiralige Kartonhülse (siehe Patentanspruch 7) und auf ein Verfahren zur Herstellung von spiraligen Kartonhülsen (siehe Patentanspruch 1) gerichtet ist, nicht aber allein auf eine verbesserte Spannfutterfestigkeit aufweisende Kartonhülse. Die tatsächliche Leistung der beanspruchten Erfindung besteht folglich darin, dass mit den patentgemäßen Kartonhülsen auch schwere Rollen in einer Druckmaschine eingesetzt werden können. Von einer Aufgabenstellung, die lediglich auf eine verbesserte Spannfutterfestigkeit gerichtet ist, wie sie die Einspruchsabteilung des EPA bzgl. der Aufrechterhaltung des vorliegenden Streitpatents zugrunde gelegt hat, kann demzufolge nicht ausgegangen werden, da eine solche Aufgabenstellung von der in dem geltenden Patentanspruch 7 genannten Kartonhülse und dem im Patentanspruch 1 angegebenen Verfahren nicht gelöst wird.

89

1) Zum Patentanspruch 7

90

D5, als FI 3004 U1 am 13. August 1997 veröffentlicht, betrifft eine Strukturschicht einer Kartonhülse und eine daraus hergestellte Kartonhülse, vgl. Bezeichnung gemäß der überreichten deutschen Übersetzung (D7a). Als Anwendungsbeispiel nennt die D5 Druckmaschinen (= Papierindustrie), vgl. Seite 1, ab Zeile 23, mit Innendurchmessern der Hülsen von 76 mm und 150 mm bei Wanddicken von 13 bis 15 mm (vgl. Seite 1, Zeile 30 bis 34). Die Merkmale 7.1 bis 7.3 sind daher verwirklicht. Auch die gemäß Merkmal 7.4 genannten Geschwindigkeiten sind in D5 offenbart, vgl. Seite 2, Zeile 30 und Seite 3, Abs. 1. Bei den angegebenen Wanddicken von 13 bis 15 mm ergibt sich bei einem Innendurchmesser der Hülse von 150 mm ein Durchmesser von 163 bis 165 mm in der Mitte der Hülsenwand (Merkmal 7.6). Als typische Wicklungswinkel - ebenfalls für die Anwendung bei Druckmaschinen - nennt die D5 15o bis 35o (vgl. Seite 5, Zeile 28 und Seite 7, Zeile 20), was umgerechnet Kartonkantenlängen von 3860 (bei 15o) bis 1743 mm (bei 35o) entspricht. Der untere Wert von 1743 deckt einen großen Teil des Merkmals 1.9 (kleiner 2450 mm) bei einem Innendurchmesser von 163 mm bis 165 mm ab, so dass Merkmal 1.9 vorweggenommen ist. Diese Alternative des Anspruchs 7 ist daher nicht neu im Sinne des Art. 54 EPÜ.

91

Zwar sind den Angaben zum Wickelwinkel in der D5 nicht direkt Durchmesserangaben zugeordnet, der Winkelbereich ist aber unabhängig von den in der D5 offenbarten Innendurchmessern (76 und 150 mm) genannt. Die Beklagte meint, der Fachmann ordne dem kleineren Innendurchmesser von 76 mm den Winkel 35o zu und dem Innendurchmesser 150 mm 15o, da diese Wickelwinkel am Prioritätstag des Streitpatents üblich gewesen seien. Gegen dieses Verständnis spricht aber, dass in der D5 ein Winkelbereich angegeben ist, der als üblich angegeben wird, der Fachmann demgemäß von einem Winkelbereich ausgehen wird, der auch für den angegeben Innendurchmesser von 150 mm gilt, zumal keine gänzlich abwegigen Winkelbereiche angegeben sind.

92

Sofern der Fachmann den Winkel 35o lediglich dem kleineren genannten Innendurchmesser zuordnen sollte, sind das Merkmal 7.9 ebenso wie die Merkmale 7.7 und 7.8 durch die D5 zumindest nahe gelegt. Dort ist nämlich bereits dargelegt, dass der Wickelwinkel Einfluss auf die Festigkeit der Kartonhülse hat, vgl. Seite 4, Zeile 6 und 7.

93

In Fig. 1 der D5 ist der Zusammenhang zwischen größerem Wickelwinkel und steigendem E-Modul gezeigt, der ein Maß für die Festigkeit ist. Der Elastizitätsmodul ist ein Materialkennwert, der den Zusammenhang zwischen Spannung und Verformung (meist Dehnung) bei der mechanischen Beanspruchung eines festen Körpers beschreibt. Der Zahlenwert des Elastizitätsmoduls ist um so größer je mehr Widerstand ein Material seiner Verformung entgegensetzt, was zum Fachwissen des Fachmannes gehört.

94

In Fig. 1 ist zunächst auf den Einfluss des E-Moduls abgestellt, in dem vier unterschiedliche Kartonsorten miteinander verglichen werden (senkrechte Achse des Diagramms: E-modulus of core). Andererseits ist auf der waagerechten Achse der mittlere Wicklungswinkel aufgetragen, der wie im Streitpatent definiert ist, was sich aus Fig. 2 und der zugehörigen Beschreibung Seite 7, Abs. 2 ergibt. Dem Diagramm ist eindeutig und unzweifelhaft zu entnehmen, dass mit zunehmendem Wickelwinkel - weitgehend unabhängig von der Papierqualität - eine sehr hohe Zunahme des E-Moduls der Hülse einhergeht. Der Fachmann hatte daher die Anregung, abgesehen von einer besseren Papierqualität auch einen größeren Wickelwinkel in Betracht zu ziehen, wenn er den steigenden Anforderungen an die Festigkeit der Kartonhülsen Rechnung tragen wollte. Die D5 setzt zwar gemäß Anspruchsfassung allein auf die Papierqualität, was jedoch mit höheren Kosten verbunden ist. Daher hatte der Fachmann auch eine Veranlassung, den Wickelwinkel in Betracht zu ziehen, um zu Kartonhülsen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften zu kommen. Die Festlegung geeigneter Kartonkantenlängen - und somit letztlich der Wickelwinkel - für Innendurchmesserbereiche gemäß den Merkmalen 7.7 bis 7.9 erschöpft sich damit ausgehend von der D5 in der Bestimmung geeigneter Wickelwinkelbereiche. Dieses liegt im Bereich des fachmännischen Könnens.

95

Die Beklagte begründet die erfinderische Tätigkeit im Wesentlichen mit der verbesserten Spannfutterfestigkeit der streitpatentgemäßen Kartonhülse. Die Hülse gemäß Patentanspruch 7 des Streitpatents mag eine verbesserte Spannfutterfestigkeit aufweisen, dies ist aber nicht als eine erfinderische Tätigkeit begründender überraschender Effekt zu werten, da er sich zwangsläufig bei der naheliegenden streitpatentgemäßen Lehre einstellt. Er kann daher die Patentfähigkeit nicht begründen. Auch die Nichteignung bestehender Maschinen zur Herstellung von Kartonhülsen mit großem Wickelwinkel, die die Beklagte ebenfalls zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit angeführt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, da die Maschine nicht Gegenstand des Streitpatents ist. Der Fachmann ist jedenfalls hierdurch nicht abgehalten, sich Gedanken über die Eigenschaften von Kartonhülsen mit großem Wickelwinkel zu machen.

96

Anspruch 7 hat nach alledem keinen Bestand.

97

2) Zum Patentanspruch 1

98

Das mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Verfahren kann ebenso wenig als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten wie die hiernach hergestellte Kartonhülse selbst. Es handelt sich bei dem Anspruch um einen Verfahrensanspruch, mit dem eine spiralige Kartonhülse nach Anspruch 7 hergestellt werden kann. Die Lehre des Anspruchs 1 sieht über die Merkmale des Anspruchs 7 hinaus nichts vor, was eine erfinderische Tätigkeit begründen könnte. Die obigen Ausführungen zur Wickelhülse gemäß Anspruch 7 gelten für das Verfahren nach Anspruch 1 sinngemäß.

99

3) Zum Patentanspruch 11

100

Die D5 verweist bereits darauf, dass in der Druckindustrie immer breitere und damit schwerere Rollen zum Einsatz kamen. Die Verwendung der streitpatentgemäßen Kartonhülsen bei Papierrollen mit einem Gewicht über 6,5 t ist daher nahe liegend. Auch die Rückbeziehung auf den Anspruch 9, der zusätzlich noch auf die Streifenbreite der Kartonhülse abstellt, kann hieran nichts ändern, da diese sich aus den in Anspruch 7 angegebenen Werten Innendurchmesser und Kantenlänge der Kartonbahn ergibt, vgl. obige Ausführungen zum Verständnis des Patents mit der Erläuterung zur Berechnung des Wickelwinkels α, der Kartonstreifenbreite B und der Kartonkantenlänge LMP gemäß Anlage NK2 der Klägerin.

101

4) Auch die Unteransprüche weisen keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt auf. Ein solcher wurde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

102

5) Hilfsanträge

103

Die Einfügung des Merkmals „, having an improved chuck strength and thick walls“ in den Patentansprüchen 1 und 7 der Hilfsanträge 1, 4 und 5 schränkt deren Gegenstände nicht ein, da bereits die streitpatentgemäßen Kartonhülsen diese beschriebenen Eigenschaften aufweisen. Diese Patentansprüche sind daher ebenfalls nicht schutzfähig, wie sich aus den Ausführungen zum Hauptantrag ergibt.

104

Gleiches gilt für die nebengeordneten Ansprüche der Hilfsanträge 2 und 3, deren Fassungen mit denen des Hauptantrags übereinstimmen.

III.

105

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.