Entscheidungsdatum: 19.10.2010
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das deutsche Patent 100 49 002
hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2010 durch den Richter Schramm als Vorsitzenden sowie die Richter Schell, Dipl.-Ing. Schlenk, Dr.-Ing. Baumgart und Dr.-Ing. Krüger
für Recht erkannt:
1. Das deutsche Patent 100 49 002 wird für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 27. September 2000 angemeldeten deutschen Patents 100 49 002 (Streitpatent), dessen Erteilung am 22. Mai 2003 veröffentlicht wurde. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung "Programmgesteuertes Rührwerk". Es umfasst in seiner erteilten und vom Bundespatentgericht im Einspruchsverfahren unverändert aufrechterhaltenen Fassung 11 Patentansprüche, die die Klägerin mit der Nichtigkeitsklage in vollem Umfang angreift. Die Beklagte verteidigt das Patent im erteilten Umfang, hilfsweise in den Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 4.
Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
"Programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit (1), die ein Rührwerkzeug umfaßt, welches in ein Mischgefäß eingreift,
dadurch gekennzeichnet, daß die Rühreinheit an einen Mikroprozessor (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der Rühreinheit (1) bestimmt, wobei ein vom Mikroprozessor ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfaßt:
— Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und die Größe des Mischgefäßes;
— Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von Mischgefäßen Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;
— Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;
— Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der Rühreinheit mit diesen Steuerparametern;
— Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten Steuerparameter, gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);
— Ausgabe der angewendeten Steuerparameter und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über Datenausgabemittel (9)".
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird das Rührwerk als Salbenrührwerk bezeichnet, weiter sind in der zweiten Zeile die Worte "oder dergleichen" gestrichen. Dieser Patentanspruch hat folgenden Wortlaut:
"Programmgesteuertes Salbenrührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit (1), die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein Mischgefäß eingreift, dadurch gekennzeichnet, dass
die Rühreinheit an einen Mikroprozessor (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der Rühreinheit (1) bestimmt, wobei ein vom Mikroprozessor ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:
a) Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren
— die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und
— die Größe des Mischgefäßes;
b) Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von Mischgefäßen Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;
c) Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;
d) Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der Rühreinheit mit diesen Steuerparametern;
e) Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten Steuerparameter, gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);
f) Ausgabe der angewendeten Steuerparameter und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über Datenausgabemittel (9)".
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.
In dem wieder auf ein Rührwerk gerichteten Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 schließt sich an den weiteren Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 das zusätzliche Merkmal an:
"wobei das Rührwerkzeug an die Größe des Mischgefäßes angepasst ist".
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.
Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 die Angabe
"zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen"
ersetzt durch
"zur Einzelanfertigung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen in Apotheken".
Weiter schließt sich im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 an den Wortlaut des Patentanspruchs gemäß Hilfsantrag 2 das zusätzliche Merkmal an:
"und eingespeicherte Vorgabewerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit in einem Programmiermodus vom Benutzer einspeicherbar sind".
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 hat folgenden Wortlaut:
"Programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit (1), die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein Mischgefäß eingreift, und weiterhin mit einer Hubeinheit (2), durch welche die relative Lage des Rührwerkzeugs im Mischgefäß während des Rührvorgangs veränderbar ist dadurch gekennzeichnet, dass
die Rühreinheit an einen Mikroprozessor (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der Rühreinheit (1) bestimmt, wobei ein vom Mikroprozessor ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:
a) Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren
— die Kategorie der herzustellenden Rezeptur, und
— die Größe des Mischgefäßes;
b) Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von Mischgefäßen Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;
c) Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur und Ermitteln der optimalen Hubzahl und Hubgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Qualität der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;
d) Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der Rühreinheit mit diesen Steuerparametern;
e) Umwandeln der ermittelten Hubzahl und Hubgeschwindigkeit in korrespondierende zweite Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der Hubeinheit mit diesen zweiten Strom- bzw. Spannungswerten;
f) Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten Steuerparameter, gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);
g) Ausgabe der angewendeten Steuerparameter und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über Datenausgabemittel (9)".
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 10 wird auf die Akte verwiesen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe, dass die Erfindung im Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.
Sie beantragt,
das deutsche Patent 100 49 002 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung gemäß den mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2010 übermittelten Hilfsanträgen 1 - 4 (Hilfsantrag 1 in der Fassung der im Termin übergebenen Seite 1) erhält.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und ist der Auffassung, dass die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht gegeben seien.
Die zulässige Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit, der unvollständigen Offenbarung und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 PatG) ist begründet.
I.
1. Das Streitpatent betrifft ein programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit, die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein Mischgefäß eingreift, siehe Absatz 0001 der Streitpatentschrift.
2. In der Beschreibung des Streitpatents wird als Stand der Technik von einem bekannten Rührwerk ausgegangen, bei dem es möglich ist, die Rührgeschwindigkeit und die Rührzeit manuell einzugeben, um diese Parameter an die Eigenschaften der Ausgangsstoffe und an die Menge der jeweiligen Rezeptur anzupassen, siehe Absatz 0003 der Streitpatentschrift.
3. Als nachteilig wird dabei angesehen, dass bei dem bekannten Gerät die Rührwerksparameter immer wieder neu eingegeben werden müssen. Da die individuellen Eingaben der Rührgeschwindigkeit und der Rührzeit zu einem späteren Zeitpunkt nicht reproduzierbar seien, könnten spezielle Rezepturen bei mehrmaliger Herstellung zu unterschiedlichen Zeitpunkten schwankende Qualitäten aufweisen, siehe Absatz 0003 der Streitpatentschrift.
4. Hiervon ausgehend ist als Aufgabe genannt, ein programmgesteuertes Rührwerk bereitzustellen, wobei sich die Bedienung vereinfachen und insbesondere der Aufwand zur Eingabe einzelner Steuerparameter gegenüber den bekannten Einrichtungen verringern soll, siehe Absatz 0007 der Streitpatentschrift.
5. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein programmgesteuertes Rührwerk gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
D1 Programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit (1),
D2 die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein Mischgefäß eingreift,
D3 dadurch gekennzeichnet, dass die Rühreinheit an einen Mikroprozessor (5) gekoppelt ist,
D4 der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der Rühreinheit (1) bestimmt,
D5 wobei ein vom Mikroprozessor ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:
D6 — Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren
D6.1 die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und
D6.2 die Größe des Mischgefäßes;
D7 — Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält für
D7.1 vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und
D7.2 Größen von Mischgefäßen;
D8 — Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;
D9 — Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der Rühreinheit mit diesen Steuerparametern;
D10 — Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten Steuerparameter, gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);
D11 — Ausgabe der angewendeten Steuerparameter und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über Datenausgabemittel (9).
6. Als zuständigen Fachmann, dessen Verständnis Maßstab für die Auslegung des Streitpatents ist, sieht der Senat einen Diplomingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik an, der über mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von programmgesteuerten Rührwerken verfügt, und der hinsichtlich der Definition der Programmabläufe den jeweiligen Anwender zu Rate zieht. Dieser Fachmann wird den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 folgendermaßen auffassen:
Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist gemäß Merkmal D1 ein programmgesteuertes Rührwerk mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit. Der weiteren Angabe des Merkmals D1, "zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen", entnimmt der Fachmann, dass das beanspruchte Rührwerk so ausgebildet sein muss, dass es für diesen Zweck verwendbar ist. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall keine über die im Anspruch 1 weiter genannten Merkmale hinausgehende Beschränkung des Gegenstandes auf Rührwerke, die speziell für die in Absatz 0002 der Streitpatentschrift beispielhaft genannte Einzelanfertigung von Individualrezepturen in Apotheken vorbestimmt sind, vielmehr können aus Sicht des Fachmanns auch andere, z. B. für die Herstellung von Nahrungsmittelrezepturen bestimmte Rührwerke für den im Merkmal D1 angegebenen Zweck verwendbar sein.
Die Rühreinheit des Rührwerks umfasst gemäß Merkmal D2 ein Rührwerkzeug, welches in ein Mischgefäß eingreift, und ist gemäß Merkmal D3 an einen Mikroprozessor gekoppelt.
Der Mikroprozessor bestimmt gemäß Merkmal D4 programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der Rühreinheit und führt dabei gemäß Merkmal D5 ein Datenverarbeitungsprogramm aus, das die in den weiteren Merkmalen D6 bis D11 genannten Schritte umfasst.
Davon beschreiben die Merkmale D6 bis D9 die zur Ansteuerung der Rühreinheit ausgeführten Schritte. Nach Merkmal D6 werden über Dateneingabemittel variable Daten eingelesen, die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens die Kategorie der herzustellenden Rezeptur (Merkmal D6.1) und die Größe des Mischgefäßes (Merkmal D6.2) definieren.
Bezüglich der Kategorie herzustellenden Rezeptur werden in Absatz 0025 der Streitpatentschrift im Zusammenhang mit der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels die Rezepturarten "Normal, Emulsion, Suspension, Reaktionsgemisch, Pulver oder dergleichen" aufgezählt.
Zur Größe des Mischgefäßes ist Absatz 0030 der Streitpatentschrift zu entnehmen, dass entsprechende Rührwerke mit vorbestimmten Mischgefäßen, sogenannten Kruken , in verschiedenen Größen bestückt sein können. Gemäß Merkmal D7 werden konstante Daten aus einem Datenspeicher eingelesen, der gemäß den Merkmalen D7.1 und D7.2 für die bereits in den Merkmalen D6.1 und D6.2 genannten Parameter Rezepturkategorie und Mischgefäßgröße Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält. Nach den Merkmalen D8 und D9 werden durch Verknüpfung der variablen und konstanten Daten die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit ermittelt, diese in korrespondierende Strom- und Spannungswerte umgewandelt und die Rühreinheit mit diesen Steuerparametern angesteuert.
Die weiteren Merkmale D10 und D11 beschreiben das Abspeichern und Ausgeben der angewendeten Steuerparameter gemeinsam mit Identifizierungsdaten.
II.
1. Der Gegenstand des Patents in der erteilten Fassung geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
Zur Beurteilung, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen und zu prüfen, ob die erteilten Patentansprüche auf einen Gegenstand gerichtet sind, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht als zur Erfindung gehörend erkennen ließ (BGH GRUR 2010, S. 509, Rdn. 25 – Hubgliedertor I; BGH GRUR 2005, 1023, 1024 – Einkaufswagen II). Der hierfür maßgebliche Inhalt ist dabei nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt, vielmehr ist anhand der Gesamtheit aller ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln, was als zur angemeldeten Erfindung gehörend anzusehen ist (vgl. BGH GRUR 2010, 910, Rdn. 46 – Fälschungssicheres Dokument, m. w. N.).
Die Anmeldung offenbart als erfindungsgemäß ein programmgesteuertes Rührwerk, bei welchem die Rühreinheit an einen Mikroprozessor gekoppelt ist (siehe Absatz 0005 der Offenlegungsschrift und den ursprünglichen Anspruch 1). Dieser Mikroprozessor führt ein Datenverarbeitungsprogramm aus, das unter anderem die folgenden Schritte umfasst:
A6 — Einlesen von variablen Daten über Dateneingabemittel,
die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren
A6.1 die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und
A6.2 die Menge der herzustellenden Rezeptur;
A7 — Einlesen von konstanten Daten aus einem Datenspeicher, der Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält
A7.1 für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und
A7.2 je Mengeneinheit dieser Rezepturen.
In den diesen Merkmalen A6.2 und A7.2 der ursprünglich offenbarten Erfindung entsprechenden Merkmalen D6.2 und D7.2 des erteilten Anspruchs 1 ist der Parameter "Rezepturmenge" durch den Parameter "Mischgefäßgröße" ersetzt. Dementsprechend ist es im erteilten Anspruch 1 auch die "Mischgefäßgröße" und nicht die "Rezepturmenge", die gemäß dem Merkmal D8 zur Ermittlung der Rührzeit und Rührgeschwindigkeit verwendet wird. Da aber in der Anmeldung weder die Möglichkeit offenbart ist, den Parameter "Rezepturmenge" durch den Parameter "Mischgefäßgröße" zu ersetzen, noch der Begriff "Mischgefäßgröße" in der Anmeldung als gleichbedeutend mit der "Rezepturmenge" oder als ein gegenüber der "Rezepturmenge" einschränkender Unterfall benutzt wird, stellt dies eine unzulässige Erweiterung in Form einer Abwandlung der in der Anmeldung offenbarten Lehre dar.
Die Mischgefäßgröße als möglicher Parameter der einzulesenden variablen Daten ist in der Anmeldung fünfmal erwähnt (siehe die Beschreibungsabsätze 0018, 0027 und 0028 sowie die Ansprüche 4 und 13 der Offenlegungsschrift). So offenbart Absatz 0018 ab Zeile 44 "Eingabemöglichkeiten für die Größe des verwendeten Mischgefäßes, damit aus dieser Angabe die optimalen Steuerwerte ermittelt werden können". Die hier genannte Eingabe der Mischgefäßgröße versteht der Fachmann jedoch als zusätzliche Eingabeoption, die eine weitere Optimierung der Steuerwerte ermöglicht, nicht dagegen als möglichen Ersatz für die Eingabe der Rezepturmenge. Denn nach der Beschreibung der Erfindung im Absatz 0005 und im Anspruch 1 sind mindestens Daten zur Definition der Rezepturmenge und der Rezepturkategorie einzugeben (Merkmale A6, A6.1, A6.2). Dies wird auch im Zusammenhang mit der Beschreibung des Ausführungsbeispiels im Absatz 0022 ab Zeile 16 wiederholt, wo beispielhaft die Herstellung von 50 ml (Rezepturmenge) einer Suspensionssalbe (Rezepturkategorie) beschrieben und dazu ab Zeile 21 ausgeführt wird, dass zumindest die Menge der herzustellenden Suspensionssalbe einzugeben ist. Weitere Eingaben können somit lediglich zusätzlich, nicht aber an Stelle der Rezepturmenge erfolgen. Dementsprechend ist auch die Möglichkeit der Eingabe der Mischgefäßgröße in Zeile 44 des Absatzes 0018 als Abschluss einer Aufzählung möglicher vom Benutzer einzugebender variabler Daten genannt. Die Aufzählung beginnt in Zeile 38 damit, dass der Benutzer "die Menge der herzustellenden Rezeptur (beispielsweise eine Suspensionssalbe)" eingeben kann, also die Rezepturmenge und die Rezepturkategorie. Im Absatz 0010 ab Spalte 3, Zeile 2, wird dann die bereits eingeführte Option wiederholt, bei Bedarf Vorgabewerte für die Ansteuerung des Rührwerks direkt einzugeben. Erst zum Schluss wird die "Größe des verwendeten Mischgefäßes" als - weitere – zweckmäßige Eingabemöglichkeit benannt.
Auch der Absatz 0027 der Offenlegungsschrift (siehe die Zeilen 26 bis 30), offenbart die Möglichkeit, die Mischgefäßgröße einzulesen. Anders als im Fall der Rezepturkategorie und der Rezepturmenge, die gemäß Absatz 0005 zur Ermittlung der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit verwendet werden, soll jedoch nach Absatz 0027 die Mischgefäßgröße zur Festlegung der vom Rührgerät auszuführenden Umdrehungszahl verwendet werden. Dies entspricht der Offenbarung des Anspruchs 4, wonach die Mischgefäßgröße eingelesen und daraus die Anzahl der benötigten Umdrehungen ermittelt wird. Die Anzahl der benötigten Umdrehungen stellt gegenüber der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit weder eine synonyme noch eine redundante Angabe dar, die sich als Produkt aus Rührzeit und Rührgeschwindigkeit aus diesen ermitteln ließe, denn der Rührvorgang kann nach der Beschreibung auch mehrstufig mit verschiedenen Rührgeschwindigkeiten durchgeführt werden (siehe Absätze 0024 und 0025 der Offenlegungsschrift). Die Anzahl der benötigten Umdrehungen ist somit ein zusätzlicher Parameter zur Ansteuerung der Rühreinheit. Dass demnach die Eingabe der Mischgefäßgröße einem anderen Zweck dienen soll als die Eingabe der Rezepturkategorie und der Rezepturmenge, offenbart dem Fachmann neben der Tatsache, dass die Begriffe "Rezepturmenge" und "Mischgefäßgröße" nicht gleichbedeutend sind auch, dass die Eingabe der Mischgefäßgröße zusätzlich erfolgen soll, nicht dagegen anstelle der Rezepturmenge.
Die Formulierung in den Zeilen 30 bis 32 des Absatzes 0027, "damit ist es ausreichend, wenn der Benutzer die Krukengröße über die Dateneingabemittel einspeist", in Verbindung mit der gemäß Absatz 0028 vorgesehenen automatischen Erfassung über Sensoren, "so dass auch diese Dateneingabe ohne unmittelbare Tätigkeit des Benutzers automatisiert erfolgt", kann auch dahingehend verstanden werden, dass hiermit alternativ eine besonders einfache Ausführungsform vorgeschlagen wird, bei der nur die Anzahl der vom Rührwerkzeug auszuführenden Umdrehungen als einziger Steuerparameter vorgegeben und hierzu nur die Mischgefäßgröße ( Krukengröße ) als einzige variable Größe eingelesen werden soll. Auch dies offenbart jedoch nicht, die Mischgefäßgröße anstelle der Rezepturmenge als variable Größe einzulesen und zur Ermittlung der Steuerparameter Rührzeit und Rührgeschwindigkeit zu verwenden.
Das Einlesen der Mischgefäßgröße gemäß dem ursprünglichen Anspruch 4 geschieht aufgrund dessen Rückbeziehung auf den ursprünglichen Anspruch 1 ebenfalls zusätzlich zum Einlesen der Rezepturmenge und der Rezepturkategorie. Der schon im Zusammenhang mit der Offenbarung des Absatzes 0027, Zeilen 26 bis 30, erläuterten Tatsache, dass die variable Kategorie Mischgefäßgröße einerseits und die variablen Daten Rezepturmenge und Rezepturkategorie andererseits zur Ermittlung unterschiedlicher Steuerparameter verwendet werden sollen, entnimmt der Fachmann auch, dass der Begriff "Mischgefäßgröße" im Anspruch 4 nicht als die Menge der herzustellenden Rezeptur im Sinne des Merkmals A6.2 des ursprünglichen Anspruchs 1 definierend und somit beschränkend ausgestaltend verstanden werden kann.
Ausführlicher als bereits Absatz 0028 offenbart der ursprüngliche Anspruch 13, dass einige der variablen Daten automatisch eingelesen statt von Hand eingegeben werden können. Mit der ersten Alternative der hier verwendeten Formulierung "und/oder" wird dabei klargestellt, dass sowohl die Rezepturmenge als auch die Mischgefäßgröße automatisch eingelesen werden sollen. Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Mischgefäßgröße weder als gleichbedeutend mit der Rezepturmenge noch als diese beschränkend ausgestaltend verstanden werden kann. Diese Schlussfolgerung lässt sich auch bereits aus den in den Absätzen 0005 und 0027 bzw. den Ansprüchen 1 und 4 angegebenen, unterschiedlichen Verwendungszwecken der variablen Daten Rezepturmenge und Mischgefäßgröße entnehmen. Zwar kann die Ermittlung der Rührzeit und Rührgeschwindigkeit auf Grundlage der Rezepturkategorie und der Rezepturmenge einerseits oder auf Grundlage der Rezepturkategorie und der Mischgefäßgröße andererseits zu ähnlichen Ergebnissen führen, wenn der Benutzer des Rührwerkes stets ein hinsichtlich seiner Größe sinnvoll an die herzustellende Rezepturmenge angepasstes Mischgefäß wählt. Diese technische Lösung war dem Offenbarungsgehalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen. Sie ergab sich für den Fachmann auch keineswegs zwangsläufig bei Beachtung des mit der Erfindung angestrebten Ziels. Vielmehr konnte der Fachmann zu dieser weitergehenderen Erkenntnis nur aufgrund eigenständiger, auf seinem allgemeinen Fachwissen basierenden Erwägungen und einer entsprechenden Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung ist somit hinsichtlich des fraglichen Merkmals als unzulässige Erweiterung anzusehen (vgl. BGH GRUR 2010, 910, Rdn. 62 – Fälschungssicheres Dokument).
Dem Einwand der Beklagten, die Austauschbarkeit der beiden Begriffe Rezepturmenge und Mischgefäßgröße stelle schon deshalb keine Erweiterung dar, weil als zuständiger Fachmann ein Pharmazeut anzusehen sei, der zwischen den Begriffen Rezepturmenge und Mischgefäßgröße nicht unterscheide, kann nicht gefolgt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 auf speziell für die Verwendung in Apotheken vorbestimmte Rührgeräte beschränkt ist. Selbst in diesem Fall wäre der Pharmazeut zwar der Benutzer, nicht jedoch der zuständige Fachmann für die Entwicklung eines solchen Apothekenrührgerätes. Im Übrigen müsste ein Fachmann, auch wenn er die Begriffe Rezepturmenge und Mischgefäßgröße synonym benutzt (wie dies möglicherweise bei einem Pharmazeuten der Fall sein könnte), aufgrund einer Zusammenschau der zitierten Passagen der Anmeldung erkennen, dass die fraglichen Begriffe dort gerade nicht gleichbedeutend verwendet werden.
2. Auch die Gegenstände des Patents in seinen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 gehen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, denn in diesen Fassungen wurden lediglich die Angaben zum Verwendungszweck geändert und zusätzliche Merkmale ergänzt. Die Merkmale D6 und D7 des erteilten Anspruchs 1 mit ihren Unterpunkten D6.2 und D7.2 wurden dabei jedoch übernommen, in denen jeweils die Mischgefäßgröße anstelle der ursprünglich offenbarten Rezepturmenge genannt wird. Ein Hinweis auf diese Austauschbarkeit der beiden Begriffe wurde dem Fachmann aber – wie bereits ausgeführt – an keiner Stelle in den Anmeldeunterlagen offenbart.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.