Entscheidungsdatum: 13.08.2010
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
A. Die Parteien haben über einen Anspruch der Klägerin auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zur Teilnahme an Sitzungen des Ortsvorstands einer Gewerkschaft gestritten.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Sie ist nicht freigestelltes Mitglied des Betriebsrats. Seit Ende 2007 gehört sie dem Ortsvorstand einer Gewerkschaft an. Dieser hält in zumeist monatlichen Abständen an Dienstagen jeweils von 13.00 bis 17.00 Uhr seine Sitzungen ab. Für den Weg vom Betrieb bis zum Sitzungsraum der Gewerkschaft muss die Klägerin eine Wegezeit von rund einer Stunde zurücklegen.
Bis August 2008 hatte die Klägerin eine regelmäßige Arbeitszeit von 6.00 bis 14.00 Uhr, danach war sie im Dreischichtbetrieb mit Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht eingesetzt.
Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte habe sie an den Sitzungstagen des Ortsvorstands in der Zeit von 12.00 bis 18.00 Uhr von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unbezahlt freizustellen. Auf die Festlegung der Sitzungstermine habe sie keinen Einfluss. Dementsprechend hat die Klägerin zuletzt die unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für konkret benannte Tage im Jahre 2009 verlangt. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, sie werde das Freistellungsbegehren der Klägerin - soweit sie im Dreischichtbetrieb beschäftigt sei - bei der Schichtplanung berücksichtigen. Eine weitergehende unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht lehnte sie ab.
Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2010 hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt; die Beklagte hat sich dem angeschlossen.
B. Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist gem. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Danach hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Frage, ob der von der Klägerin gestellte Antrag auf Freistellung von Arbeitspflichten als Antrag auf eine zukünftige Leistung zulässig war, bedarf dabei im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO keiner Entscheidung. Ihre zulässige Revision wäre jedenfalls unbegründet gewesen. Für das Freistellungsbegehren der Klägerin fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
I. Soweit die Klägerin während der Zeit der Ortsvorstandssitzungen zu arbeiten hat, kann sie von der Beklagten nach Art. 9 Abs. 3 GG keine unbezahlte Freistellung von ihrer Arbeitspflicht verlangen.
1. Die Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen des Ortsvorstands der IG Metall stellt allerdings eine durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte koalitionsspezifische Betätigung dar. Der Schutz dieses Grundrechts beschränkt sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Erhaltung und die Sicherung des Bestands der Koalition unerlässlich sind, sondern umfasst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen des Verbands und seiner einzelnen Mitglieder (BVerfG 14. November 1995 - 1 BvR 601/92 - BVerfGE 93, 352). Dazu zählt auch die Mitwirkung in gewerkschaftlichen Organen und bei deren Willensbildung.
Hieraus allein ergibt sich jedoch noch kein Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht. Die Klägerin lässt unberücksichtigt, dass sie mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags und den damit eingegangenen Bindungen in zulässiger Weise auch über Grundrechtspositionen verfügt hat. Mit der Begründung des Arbeitsverhältnisses hat sie der Beklagten zugesagt, ihr im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. In diesem zeitlichen Umfang hat sie Einschränkungen ihrer privaten Lebensführung hingenommen (vgl. zu Art. 4 GG Starck in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 6. Aufl. Art. 4 Rn. 137). Die damit verbundene Verfügung über Grundrechtspositionen ist eine wesentliche Form des Grundrechtsgebrauchs und um der personalen Selbstbestimmung willen grundsätzlich zulässig (ErfK/Dieterich 10. Aufl. Einl. GG Rn. 63). Die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit ist daher für sich betrachtet keine Abrede, welche die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigungsfreiheit unzulässig einschränkt oder behindert (Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG).
2. Mit der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und der damit verbundenen Grundrechtsdisposition verlieren verfassungsrechtlich geschützte Freiheitsrechte jedoch nicht jede Bedeutung. Durch den Arbeitsvertrag werden nicht nur Hauptleistungspflichten, sondern auch vertragliche Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) begründet. Diese sind unter Beachtung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen zu konkretisieren. Entsprechendes gilt bei der Ausübung des dem Arbeitgeber nach § 106 GewO zustehenden Weisungsrechts zur Verteilung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher zu bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Die Leistungsbestimmung ist nach billigem Ermessen zu treffen. Das verlangt vom Arbeitgeber eine Abwägung der wechselseitigen berechtigten Interessen unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen (vgl. BAG 15. September 2009 - 9 AZR 757/08 - EzA GewO § 106 Nr. 4). Dazu gehört auch die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsbetätigungsfreiheit des Arbeitnehmers. Da im Rahmen der nach § 106 GewO vorzunehmenden Abwägung die berechtigten betrieblichen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen sind, kann dahinstehen, ob die von der Klägerin in der Revision vorgenommene Einschränkung ihres Klageantrags durch den Zusatz „soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen“ wirksam erfolgt ist.
3. Danach besteht keine vertragliche Rücksichtnahmepflicht der Beklagten, die Klägerin - wie von ihr begehrt - generell von 12.00 bis 18.00 Uhr zur Teilnahme an den um 13.00 Uhr beginnenden Ortsvorstandssitzungen der Gewerkschaft von der Arbeit freizustellen. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Koalitionsbetätigungsfreiheit überwiegt das Interesse der Beklagten an der Einhaltung der vertraglich begründeten Arbeitspflicht das Interesse der Klägerin an der Teilnahme der regelmäßig an einem Werktag um 13.00 Uhr beginnenden Sitzungen. Die Festlegung dieser Sitzungstermine fällt in den Verantwortungsbereich des Ortsvorstands. Als dessen Mitglied wäre es Sache der Klägerin gewesen, darauf hinzuwirken, dass die Sitzungen nicht um die Mittagszeit beginnen und damit eine Kollision mit den Arbeitspflichten vollzeitbeschäftigter ehrenamtlich tätiger Gewerkschaftsmitglieder auszuschließen. Ihr Einwand, sie habe keinen Einfluss auf die Terminfestsetzung, ist im Verhältnis zur Beklagten unbeachtlich.
II. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich wegen der Teilnahme an den Ortsvorstandssitzungen der IG Metall auch kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB. Auch insoweit geht es um das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung. Dabei ist wie bei § 241 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, dass der auf 13.00 Uhr festgelegte Sitzungsbeginn bei Vollzeitbeschäftigten offenkundig regelmäßig zu einer Kollision mit bestehenden Arbeitspflichten führt. Da eine Verlegung des Sitzungsbeginns auf einen späteren Zeitpunkt nicht ausnahmslos unmöglich ist, steht der Klägerin wegen der Teilnahme an gewerkschaftlichen Ortsvorstandssitzungen kein Leistungsverweigerungsrecht zu.
III. Soweit die Klägerin im Schichtdienst tätig ist, hat die Beklagte bei der Schichteinteilung allerdings den Wunsch der Klägerin an einer Teilnahme an den gewerkschaftlichen Ortsvorstandssitzungen zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass die Aufstellung der Schichtpläne nicht allein durch die Beklagte erfolgt, sondern gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats. Die Betriebsparteien haben dabei neben anderen Interessen, wie etwa der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit (dazu BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 893/07 - AP TzBfG § 8 Nr. 27 = EzA TzBfG § 8 Nr. 23), auch den Wunsch der Klägerin an einer Teilnahme an Sitzungen des Ortsvorstands zu beachten. Diese Termine stehen weit im Voraus fest. Die damit verbundene zeitliche Bindung der Klägerin kann ohne Weiteres in die Schichtplanung einfließen. Davon geht auch die Beklagte aus.
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