Entscheidungsdatum: 05.10.2010
Die Unterzeichnung eines Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle kann nach dem Rechtsgedanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) und auch nicht durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden.
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin und unter Zurückweisung der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. Februar 2009 - 3 TaBV 7/08 - aufgehoben, soweit es die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen hat.
2. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin und unter Zurückweisung der Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Rostock vom 16. April 2008 - 3 BV 3/07 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der als Betriebsvereinbarung „Mindestanforderungen an Arbeitsstätten“ bezeichnete Einigungsstellenspruch vom 28. Februar 2007 unwirksam ist.
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.
Die Arbeitgeberin erbringt Telekommunikationsleistungen. Für ihre Betriebsstätten hat sie Zuordnungstarifverträge nach § 3 BetrVG abgeschlossen. Durch einen solchen Tarifvertrag aus dem Jahr 2006 waren die Standorte der Arbeitgeberin in B, F, R, S und P zum Betrieb „Region 2 (Nord-Ost)“ zusammengefasst. Für diesen Betrieb wurde auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle zu „Mindestanforderungen an Arbeitsstätten auf der Grundlage der Arbeitsstättenverordnung“ eingesetzt. Die Einigungsstelle entschied in ihrer dritten Sitzung am 28. Februar 2007 gegen die Stimmen der Beisitzer der Arbeitgeberin über die Angelegenheit durch einen Spruch.
Am 6. März 2007 übersandte die Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien im Anhang zu einer E-Mail ua. das Sitzungsprotokoll sowie die Begründung des Einigungsstellenspruchs. Anschließend übermittelte sie in einer weiteren E-Mail als Textdateien den Einigungsstellenspruch sowie ein korrigiertes Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 28. Februar 2007. Ein unterzeichnetes Exemplar des Einigungsstellenspruchs erhielten die Betriebsparteien erst im September 2010.
Die Arbeitgeberin hat den Einigungsstellenspruch mit der am 19. März 2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift, in der der Gesamtbetriebsrat und der Konzernbetriebsrat der Deutschen Telekom AG wegen einer von der Arbeitgeberin angenommenen Regelungskompetenz als Beteiligte aufgeführt waren, angefochten und beantragt
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festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle „Mindestanforderungen an Arbeitsstätten“ vom 28. Februar 2007 in Gestalt der verabschiedeten Betriebsvereinbarung zu „Mindestanforderungen an Arbeitsstätten“ unwirksam ist. |
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Der Gesamtbetriebsrat und der Konzernbetriebsrat haben keinen Antrag gestellt.
Die Vorinstanzen haben dem Antrag teilweise entsprochen und die Unwirksamkeit einzelner Regelungen des Einigungsstellenspruchs festgestellt. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Arbeitgeberin und des Betriebsrats, mit denen diese ihr ursprüngliches Begehren weiterverfolgen. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens wurde für die Betriebsstätten der Arbeitgeberin ein neuer Zuordnungstarifvertrag (ZTV 2010) abgeschlossen, der bisher dem Betrieb „Region 2 (Nord-Ost)“ zugeordnete Standorte mit weiteren Standorten zum Betrieb „Region 1 (Nord)“ zusammengefasste und auf dessen Grundlage die turnusmäßigen Betriebsratswahlen durchgeführt wurden.
B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet, während die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats erfolglos bleibt. Der Feststellungsantrag ist begründet. Der Einigungsstellenspruch vom 28. Februar 2007 ist unwirksam.
I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass während des Rechtsbeschwerdeverfahrens das Amt des bisher am Verfahren beteiligten Betriebsrats des Betriebs „Region 2 (Nord-Ost)“ geendet hat. An seine Stelle ist hinsichtlich des vorliegenden Beschlussverfahrens der im Jahr 2010 für den Betrieb „Region 1 (Nord)“ gewählte Betriebsrat getreten.
1. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz im Einzelfall am Verfahren beteiligt sind. Beteiligte in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ist jede Stelle, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen ist (BAG 26. Oktober 2004 - 1 ABR 31/03 (A) - zu B I 1 der Gründe mwN, BAGE 112, 227). Dies ist von Amts wegen noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu prüfen.
2. Der Betriebsrat des durch den ZTV 2010 gebildeten Betriebs „Region 1 (Nord)“ ist als Funktionsnachfolger des zuvor für den Betrieb „Region 2 (Nord-Ost)“ errichteten Betriebsrats am Verfahren beteiligt. Der Einigungsstellenspruch vom 28. Februar 2007 gilt für die Betriebsstätten des ehemaligen Betriebs „Region 2 (Nord-Ost)“. Soweit diese durch den ZTV 2010 dem Betrieb „Region 1 (Nord)“ zugeordnet worden sind, ist der dort gewählte Betriebsrat nunmehr der betriebliche Verhandlungspartner der Arbeitgeberin. Dies umfasst auch die Führung von Beschlussverfahren zur Klärung mitbestimmungsrechtlicher Angelegenheiten (BAG 23. Juni 2010 - 7 ABR 3/09 - Rn. 11 mwN, DB 2010, 2511). Hiervon gehen auch alle Beteiligten aus.
II. Der Antrag ist zulässig.
1. Er ist zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtet. Streiten die Betriebsparteien über die Rechtswirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs nach § 76 Abs. 3 und 5 BetrVG, ist die Feststellung seiner Unwirksamkeit und nicht seine Aufhebung zu beantragen (BAG 23. März 2010 - 1 ABR 82/08 - Rn. 11, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 135 = EzA BetrVG 2001 § 50 Nr. 7).
2. Die Vorinstanzen haben den Gesamtbetriebsrat und den Konzernbetriebsrat der Deutschen Telekom AG zu Recht am Verfahren beteiligt. Beide Arbeitnehmervertretungen sind von der Entscheidung im vorliegenden Verfahren unmittelbar betroffen. Die Beteiligten streiten im Rahmen des Anfechtungsverfahrens ua. um die Zuständigkeit für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Bei einer auf die fehlende Zuständigkeit des Betriebsrats gestützten abweisenden Entscheidung stünde zugleich fest, dass das Mitbestimmungsrecht entweder dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat zusteht.
III. Die Anfechtung des Einigungsstellenspruchs vom 28. Februar 2007 ist begründet. Der Spruch ist wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG unwirksam.
1. Die Zuleitung eines Einigungsstellenspruchs als bloße Textdatei genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
a) Nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Betriebsrat zuzuleiten. Die Vorschrift enthält eine verbindliche Handlungsanleitung für den Vorsitzenden der Einigungsstelle. Bereits der Wortlaut dieser Bestimmung macht deutlich, dass ein Einigungsstellenspruch nur wirksam ist, wenn er schriftlich niedergelegt und mit der Unterschrift des Vorsitzenden versehen beiden Betriebsparteien zugeleitet wird.
b) Das dem Wortlaut des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG folgende Normverständnis wird durch den sich aus dem gesetzlichen Gesamtzusammenhang ergebenden Zweck der Regelung bestätigt. Diese dient in erster Linie der Rechtsklarheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und dokumentiert den Willen der Einigungsstellenmitglieder (BAG 29. Januar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 100, 239). Für die Betriebsparteien und für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer wird damit rechtssicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthält. Die Beurkundung und Dokumentation ist erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt (Fitting BetrVG 25. Aufl. § 76 Rn. 93; Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. Bd. II § 76 Rn. 136 f.; Richardi BetrVG 12. Aufl. § 76 Rn. 30) und ihm erst dann die gleiche normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) zukommt wie einer von den Betriebsparteien geschlossenen Betriebsvereinbarung. Da der Arbeitgeber gem. § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG den Spruch an geeigneter Stelle auszulegen hat, können die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer so erkennen, dass das ausgelegte und vom Vorsitzenden unterzeichnete Regelwerk auch tatsächlich von der Einigungsstelle beschlossen wurde und damit auf einer erzwungenen Einigung der Betriebsparteien beruht (BAG 14. September 2010 - 1 ABR 30/09 - Rn. 18, EzA-SD 2010, Nr. 25, 13).
c) Die Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann nach dem Rechtsdanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) und auch nicht durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist eine auf dem Normcharakter des Einigungsstellenspruchs beruhende Sonderregelung.
2. Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform ist Wirksamkeitsvoraussetzung eines Einigungsstellenspruchs. Den Betriebsparteien muss ein vom Vorsitzenden unterzeichnetes Schriftstück, das den Spruch enthält, zugeleitet werden. Fehlt es hieran, ist der von der Einigungsstelle zuvor beschlossene Spruch wirkungslos. Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksamkeit ist der Zeitpunkt, in dem der Einigungsstellenvorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der Absicht der Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermittelt hat. In Angelegenheiten, in denen der Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, ist das Einigungsstellenverfahren erst mit dem Eingang des Spruchs bei den Betriebsparteien abgeschlossen. Ab diesem Zeitpunkt entfaltet er Wirkung und ist vom Arbeitgeber nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durchzuführen.
3. Eine nachträgliche, rückwirkende Heilung der Verletzung der in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG bestimmten Formvorschriften ist nicht möglich. Dagegen spricht bereits die unmittelbare und zwingende Wirkung des Einigungsstellenspruchs, der vom Arbeitgeber ungeachtet einer Anfechtung durchzuführen ist und damit sowohl das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Betriebsparteien gestaltet als auch Rechte und Pflichten der normunterworfenen Arbeitnehmer unmittelbar bestimmt. Diese normative Wirkung erfordert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit grundsätzlich einen von Anfang an formwirksamen Beschluss der Einigungsstelle.
4. Der Einigungsstellenspruch vom 28. Februar 2007 genügt nicht den Anforderungen des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG und ist deshalb unwirksam. Es kann zugunsten des Betriebsrats unterstellt werden, dass die Einigungsstellenvorsitzende ein Exemplar des Spruchs vor der Übermittlung an die Betriebsparteien unterzeichnet und zu ihren Unterlagen genommen hat. Die Unwirksamkeitsfolge ist eingetreten, weil ihnen der Spruch nur als Textdatei und nicht durch ein von der Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnetes Schriftstück übermittelt worden ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine unverzügliche Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs nach seiner Zuleitung an die Betriebsparteien den Formmangel beseitigen kann. Die erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufgrund eines richterlichen Hinweises erfolgte Zuleitung eines von der Vorsitzenden unterzeichneten Einigungsstellenspruchs konnte den Verstoß gegen das Formerfordernis aus § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG jedenfalls nicht mehr heilen.
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Schmidt |
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Linck |
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Koch |
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Berg |
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Zumpe |